Jüdische Fußballer
Gedenken an Julius Hirsch: Fans der SpVgg Greuther Fürth erinnern mit einer Choreografie an den von den Nazis ermordeten jüdischen Fußballspieler. © imago / Zink
Auf das Leben vor der Verfolgung blicken
16:15 Minuten
Forschende haben Biografien von bekannten jüdischen Fußballern rekonstruiert, die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Die daraus entstandenen Materialen sind wertvoll für die Bildungsarbeit in Vereinen.
Erich Gottschalk gilt in den 1930er-Jahren als großes Fußballtalent. Doch nach der Machtübernahme der Nazis dürfen jüdische Spieler wie er nur noch in jüdischen Vereinen auflaufen. Als Kapitän führt Gottschalk Hakoah Bochum 1938 zur jüdischen Meisterschaft. Es ist die letzte dieser Art.
„Die wichtigste Maßgabe in der Bildungsarbeit ist, dass wir Menschen, die verfolgt wurden, nicht als Opfer präsentieren, sondern als Menschen, die ein Leben hatten. Ein Leben vor der Verfolgung“, sagt Andreas Kahrs.
Porträts von Kickern
Der Historiker beschäftigt sich mit Biografien jüdischer Fußballer. Nach einjähriger Forschungsarbeit legt Kahrs seine Erkenntnisse nun in einer Publikation vor: „Fußballer im Fokus“. Herausgegeben von Arolsen Archives, einem der größten Archive zu Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. „Dazu gehört natürlich, darauf zu blicken, welch großartigen Anteil zum Beispiel die jüdischen Spieler an der Entwicklung des Sports - sowohl bei ihren Vereinen als auch für den Sport insgesamt - hatten.“
Kahrs und seine Mitstreiter porträtierten zwölf Fußballer, die mitunter zu den Besten ihrer Nationalteams in Polen, Ungarn oder in der Tschechoslowakei zählten. Spieler, die von den Nazis verfolgt wurden: Der Bochumer Erich Gottschalk wurde in Konzentrationslagern gedemütigt. Auf einem der „Todesmärsche“ gelang ihm die Flucht, doch seine Familie wurde in Auschwitz ermordet.
Die Forscher beleuchten unterschiedliche Ursachen der Verfolgung. Auch unter Fußballern gab es Regimegegner, sagt Henning Borggräfe, verantwortlich für Forschung und Bildung bei Arolsen Archives:
„Ein Beispiel ist der luxemburgische Fußballspieler Nicolas Birtz vom FC Düdelingen, der als Mitglied einer Widerstandsgruppe verhaftet wurde, die Flugschriften verteilte, Parolen malte, die luxemburgische Fahne hisste und alte Straßennamen wieder über die deutschen Schilder klebte.“
Dokumente der Täter
Nicolas Birtz überlebte. Er bestritt 1948 ein Länderspiel und wurde zum Bürgermeister von Düdelingen gewählt. Bei anderen Fußballern war es für die Forscher schwerer, an Informationen zu gelangen. Häufig standen ihnen vor allem Häftlingskarteien oder Deportationslisten zur Verfügung; Dokumente der Täter, die man kritisch lesen und in einen größeren Kontext einbetten müsse, sagt der Historiker Borggräfe:
„Um sich umfassend mit der Person zu beschäftigen, kommt man nicht umhin, weitere Quellen hinzuzuziehen. Was tatsächlich sehr hilfreich ist - und auch sehr gut funktioniert - ist, einfach selbst Onlinerecherchen durchzuführen. Wenn man sich zum Beispiel der Übersetzungsfunktion seines Browsers bedient und oftmals auf polnischen, tschechischen oder italienischen Blogs unterwegs ist, ist es wirklich erstaunlich, wie viele Informationen man findet.“
Theaterstück über Julius Hirsch
Kurt Landauer, Präsident des FC Bayern München. Walther Bensemann, Gründer des „Kicker“. Hermann Horwitz, Teamarzt von Hertha BSC in Berlin. Wissenschaftler und Fans stellen Öffentlichkeit für jüdische Fußball-Persönlichkeiten her, die von den Nazis verfolgt wurden. Die bekannteste unter ihnen: Julius Hirsch, einer von zwei jüdischen Nationalspielern in der Geschichte des deutschen Fußballs, ermordet 1943 in Auschwitz.
Inzwischen wurden Straßen und Sportplätze nach Julius Hirsch benannt. Das „Theater der Jungen Welt“ in Leipzig widmete ihm ein Stück mit anschließenden Workshops für Jugendliche. Das Stück ging auf Tour, erzählt Andreas Hirsch, einer der Enkel von Julius Hirsch:
„Die Schülerinnen und Schüler, die meistens als Publikum drinsitzen, bekommen dadurch ein Leben mit Höhen und Tiefen vorgestellt. Damit wird es erst begreifbar. Deshalb ist das Stück wunderbar. Das ist ein ganz wichtiges Werkzeug der Erinnerungsarbeit.“
Täter im Fußball
Weniger im Fokus der Forschung stehen Täter aus dem Umfeld des Fußballs. Der damalige DFB-Präsident Felix Linnemann war als führender Polizeibeamter für Deportationen von Sinti und Roma verantwortlich. Der einstige Hamburger Fußballer Otto Harder arbeitete als Wachmann in Konzentrationslagern.
Das Verbot des Frauenfußballs innerhalb der DFB-Strukturen 1955 wurde größtenteils von Funktionären forciert, die einst in der NSDAP waren. „Es gehört schon fast zum guten Ton, sich mit dem Nationalsozialismus zu beschäftigen, aber es passiert in einer relativ unkritischen Art und Weise“, sagt die Historikerin Juliane Röleke, die sich seit Langem mit Erinnerungsarbeit im Fußball beschäftigt. Sie plädiert dafür, neben den Biografien auch auf die Stadien und auf die Rolle langjähriger Sponsoren im Nationalsozialismus zu schauen.
„Was haben Fans gesehen, die damals ins Stadion gelaufen sind? Kamen die eigentlich an Zwangsarbeitslagern oder an KZ-Außenlagern vorbei? Wer nutzte das Stadion noch alles? War die SA oder die SS für Propagandaspiele eingeladen? Oder waren Sportstätten etwa Teil von Deportationen? Welche Akteure waren involviert? Wo waren die eigentlich in unserem Verein vor 1945 und nach 1945? So lange das nicht passiert, würde ich sagen, ist es vielleicht auch nicht 100 Prozent aufrichtige Beschäftigung mit der Vergangenheit.“
Bildungsreisen für Vereine
Auch in diesem Jahr organisieren Fangruppen und Vereine rund um den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar etliche Veranstaltungen wie Lesungen, Gedenkstättenfahrten, die Verlegung von Stolpersteinen. Arolsen Archives formulieren in ihrer neuen Broschüre „Fußballer im Fokus“ Ideen für Workshops und Projekttage.
Der Historiker Kahrs organisiert Bildungsreisen für Fans, Funktionäre und Sponsoren. Er sagt: „Anders als sich das vielleicht manchmal in Deutschland vorgestellt wird, kriegen nicht so viele Leute Angebote zu organisierten Bildungsreisen. Das ist eigentlich sehr stark begrenzt auf den schulischen Kontext, auf Universitäten, Gewerkschaften, Jugendverbände. Aber jLeute, die ganz normal in ihrem Arbeitsleben stehen, kriegen eigentlich kein Angebot zu einer mehrtägigen Bildungsreise sowie in einem Rahmen, der ihnen nahe ist, nämlich bei ihrem Verein. Ich wünsche mir, dass dieses Potenzial weiter erkannt wird.“
Das Potenzial ist größer
An etlichen Bundesliga-Standorten sind Partnerschaften zwischen Vereinen, Gedenkstätten und Stadtarchiven entstanden. Mitunter werden engagierte Fans dafür von Neonazis angefeindet. Die „Fußballer im Fokus“ sollen das Netzwerk stärken. Schon jetzt haben Klubs die Forschungen von Arolsen Archives in ihren sozialen Medien verbreitet, etwa Ajax Amsterdam und Cracovia aus Krakau. Mitarbeiter des SC Paderborn haben das Archiv für Dreharbeiten besucht.
Doch das Potenzial sei größer, sagt Kahrs: „Fußballvereine wirken für Außenstehende manchmal sehr groß und sehr unnahbar. Da ist es geboten, wenn der Fußballverein den Schritt macht und vielleicht mal den lokalen Gedenkort oder die jüdische Gemeinde vor Ort anspricht und fragt, was habt Ihr eigentlich für Bedürfnisse, was würdet Ihr euch von uns wünschen, was können wir tun.“
Kahrs wird sich weiter mit verfolgten jüdischen Fußballern beschäftigen, auch mit Erich Gottschalk. Demnächst soll in Bochum ein Platz nach ihm benannt werden. Fans und Schüler haben sich intensiv mit seinem Leben beschäftigt. Erich Gottschalk starb 1996, er wurde 90 Jahre alt.