"Menschen, die so vorgeführt werden, sind ruiniert"
Das Urteil der Öffentlichkeit im Fall Kachelmann stehe in bestimmter Hinsicht bereits vor Prozessende fest, sagt die "Spiegel"-Reporterin Gisela Friedrichsen. "Diese Menschen, die mal so vorgeführt werden, die sind ruiniert in gewisser Weise", sagt sie in Bezug auf Kachelmann und die aktuellen Vergewaltungsvorwürfe gegenüber IWF-Chef Strauss-Kahn.
Jörg Degenhardt: In Deutschland kann man das Wort "Wettermoderator" schon gar nicht mehr denken, ohne den Zusatz "da war doch was". Jörg Kachelmann, natürlich! Eine frühere Freundin beschuldigt den 52-Jährigen der Vergewaltigung und Bedrohung mit einem Messer. Nach mittlerweile 41 Verhandlungstagen werden die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage heute plädieren, am 24. Mai folgen die Plädoyers der Verteidigung, am 31. schließlich will das Landgericht Mannheim dann sein Urteil verkünden.
Wer sich nicht täglich mit diesem Prozess beschäftigt hat, der kann schon mal den Überblick verlieren. Alles genau verfolgt hat dagegen Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin des "Spiegel". Sie begrüße ich jetzt zum Gespräch in Deutschlandradio Kultur. – Dieser heutige Tag stellt ja so was wie eine Zäsur dar. Bevor wir darüber reden, lassen Sie uns einen Blick zurückwerfen. Sie haben vor dem Prozess in einem Interview gesagt, die Sache ließe Sie kalt, Sie hätten schon spannendere Prozesse erlebt. Wie langweilig war es denn bisher?
Gisela Friedrichsen: Nun ja, langweilig ist eigentlich kein Kürzel. Es war nur so, dass es in der Tat Prozesse gibt, die in gewisser Weise aufregender sind, wenn man nun nicht gerade daran interessiert ist, was andere Leute so in ihrem Privatleben treiben. Aber das ist halt doch für viele, viele Menschen, fürs Publikum irgendwie doch bei aller Aufgeklärtheit immer noch ein sehr interessantes Thema: was tut ein Mann wie Kachelmann, der ein Bekannter ist – er kam ja zu den Leuten ins Wohnzimmer –, was tut der so in seinem Privatleben? Und da kam doch einiges ans Tageslicht, und für mich ist dann immer interessant, was die Justiz damit macht.
Degenhardt: Auch der "Spiegel" hat ja Details aus Kachelmanns Privatleben öffentlich gemacht. War das notwendig?
Friedrichsen: Nun ja, was der "Spiegel" gemacht hat, war, wenn man so will, eine Replik auf die zunächst wirklich gnadenlose Vorverurteilung, die dadurch entstanden ist, dass bestimmte Ermittlungsergebnisse ganz gezielt an die Medien gegeben wurden, die eindeutig zu Lasten von Kachelmann waren, und die Verteidigung hat dann ja ein Glaubwürdigkeitsgutachten über diese Anzeigenerstatterin auf den Weg gebracht und das sah dann schon anders aus. Und irgendwie war das so ein bisschen der Versuch, ein Gleichgewicht wieder herzustellen, also nicht nur immer alles zu Lasten dieses Mannes, sondern es gab eben auch andere Stimmen und die sollten eben auch mal zu Wort kommen.
Degenhardt: Was erwarten Sie von den Plädoyers heute?
Friedrichsen: Ich bin sehr gespannt auf die Plädoyers, weil man sich einerseits gar nicht vorstellen kann, wie man eigentlich zu einem Strafantrag gegen diesen Angeklagten kommen will nach diesen 41 Tagen Hauptverhandlung. Auf der anderen Seite habe ich es aber auch schon erlebt, dass es Staatsanwaltschaften gibt, die sozusagen mit dem Rücken an der Wand gleichwohl noch mal ein donnerndes Plädoyer halten und wirklich eine schwere Strafe beantragen, wissend, dass es sowieso nichts wird, dass es auf einen Freispruch hinausläuft, aber man will noch mal die Bühne nutzen, um noch mal zu sagen, wir hatten schon recht, dass wir ihn angeklagt haben, und man macht noch mal eine richtige Show daraus.
Degenhardt: Stichwort Show. Das Prozessfinale soll ja öffentlich stattfinden, im Gegensatz zu anderen Verfahrensteilen. Macht das Sinn, oder werden die Betroffenen dann nicht noch einmal mit weniger schönen Einzelheiten aus ihrem Privatleben konfrontiert?
Friedrichsen: Nun ja, wenn noch nicht mal die Urteilsverkündung öffentlich wäre, dann hätten wir ja nun wirklich Zustände wie vor Hunderten von Jahren. Der Strafprozess ist einmal grundsätzlich öffentlich und die Öffentlichkeit oder das Publikum hat das Recht zu wissen, was da passiert ist und was die Justiz zu diesem Tatvorwurf sagt und wie der Angeklagte zu bestrafen, oder ob er freizusprechen ist, und das muss auch öffentlich sein. Ich bin mir sicher, dass dieses Gericht keine privaten Details in der Urteilsbegründung verkünden wird, die nicht an die Öffentlichkeit gehören. Das ist eigentlich auch überhaupt nicht interessant. Ich habe nie verstanden, warum man die Öffentlichkeit unbedingt hat ausschließen müssen bei Frauen, die sich den Medien gegenüber in Interviews über ihr Sexualleben mit Herrn Kachelmann längst geäußert hatten. Da muss sich die Justiz eigentlich was einfallen lassen, wie man künftig damit umgeht. Die Details aus dem Intimleben, die interessieren keinen Menschen eigentlich, oder die haben keinen Menschen zu interessieren, aber man möchte sich doch als Gerichtsreporter oder als jemand, der über den Fall dann die Öffentlichkeit unterrichten soll, ein Bild machen können, um wen es sich hier überhaupt dreht.
Degenhardt: Die Haltung der Richter ist unbekannt. Sie müssen in jedem Falle eine schwierige Entscheidung treffen. Ich weiß von Ihnen, Frau Friedrichsen, dass Sie ungern über Urteile spekulieren. Eine andere Frage: Wie wichtig ist das Urteil der Öffentlichkeit in diesem Fall, oder steht das schon fest?
Friedrichsen: Das Urteil der Öffentlichkeit steht in bestimmter Hinsicht fest. Man hat über Herrn Kachelmanns Privatleben so viel erfahren, dass er gleichsam nackt vor der Öffentlichkeit steht. Man weiß, dass er da verschiedene Freundinnen hatte und was er mit denen gemacht hat, was er denen versprochen hat, und und und. Das sind alles Dinge, die eigentlich niemand etwas angehen, aber so ein Verfahren oder so eine Geschichte, die bringt es dann halt an den Tag, und wir erleben das gleiche jetzt gerade bei Herrn Strauss-Kahn in Amerika. Diese Menschen, die mal so vorgeführt werden, die sind ruiniert in gewisser Weise. Vielleicht hat ein Mensch wie Kachelmann, der ja über einen gewissen gesunden Egoismus verfügt, die Chance, irgendwann das abzuschütteln, aber an anderen bleibt es hängen und die erholen sich von so einem Verfahren nie wieder.
Degenhardt: Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin des "Spiegel". Im Kachelmann-Prozess haben heute nach 41 Verhandlungstagen Staatsanwaltschaft und Nebenklage das Wort. Vielen Dank für das Gespräch.
Friedrichsen: Gerne.
Wer sich nicht täglich mit diesem Prozess beschäftigt hat, der kann schon mal den Überblick verlieren. Alles genau verfolgt hat dagegen Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin des "Spiegel". Sie begrüße ich jetzt zum Gespräch in Deutschlandradio Kultur. – Dieser heutige Tag stellt ja so was wie eine Zäsur dar. Bevor wir darüber reden, lassen Sie uns einen Blick zurückwerfen. Sie haben vor dem Prozess in einem Interview gesagt, die Sache ließe Sie kalt, Sie hätten schon spannendere Prozesse erlebt. Wie langweilig war es denn bisher?
Gisela Friedrichsen: Nun ja, langweilig ist eigentlich kein Kürzel. Es war nur so, dass es in der Tat Prozesse gibt, die in gewisser Weise aufregender sind, wenn man nun nicht gerade daran interessiert ist, was andere Leute so in ihrem Privatleben treiben. Aber das ist halt doch für viele, viele Menschen, fürs Publikum irgendwie doch bei aller Aufgeklärtheit immer noch ein sehr interessantes Thema: was tut ein Mann wie Kachelmann, der ein Bekannter ist – er kam ja zu den Leuten ins Wohnzimmer –, was tut der so in seinem Privatleben? Und da kam doch einiges ans Tageslicht, und für mich ist dann immer interessant, was die Justiz damit macht.
Degenhardt: Auch der "Spiegel" hat ja Details aus Kachelmanns Privatleben öffentlich gemacht. War das notwendig?
Friedrichsen: Nun ja, was der "Spiegel" gemacht hat, war, wenn man so will, eine Replik auf die zunächst wirklich gnadenlose Vorverurteilung, die dadurch entstanden ist, dass bestimmte Ermittlungsergebnisse ganz gezielt an die Medien gegeben wurden, die eindeutig zu Lasten von Kachelmann waren, und die Verteidigung hat dann ja ein Glaubwürdigkeitsgutachten über diese Anzeigenerstatterin auf den Weg gebracht und das sah dann schon anders aus. Und irgendwie war das so ein bisschen der Versuch, ein Gleichgewicht wieder herzustellen, also nicht nur immer alles zu Lasten dieses Mannes, sondern es gab eben auch andere Stimmen und die sollten eben auch mal zu Wort kommen.
Degenhardt: Was erwarten Sie von den Plädoyers heute?
Friedrichsen: Ich bin sehr gespannt auf die Plädoyers, weil man sich einerseits gar nicht vorstellen kann, wie man eigentlich zu einem Strafantrag gegen diesen Angeklagten kommen will nach diesen 41 Tagen Hauptverhandlung. Auf der anderen Seite habe ich es aber auch schon erlebt, dass es Staatsanwaltschaften gibt, die sozusagen mit dem Rücken an der Wand gleichwohl noch mal ein donnerndes Plädoyer halten und wirklich eine schwere Strafe beantragen, wissend, dass es sowieso nichts wird, dass es auf einen Freispruch hinausläuft, aber man will noch mal die Bühne nutzen, um noch mal zu sagen, wir hatten schon recht, dass wir ihn angeklagt haben, und man macht noch mal eine richtige Show daraus.
Degenhardt: Stichwort Show. Das Prozessfinale soll ja öffentlich stattfinden, im Gegensatz zu anderen Verfahrensteilen. Macht das Sinn, oder werden die Betroffenen dann nicht noch einmal mit weniger schönen Einzelheiten aus ihrem Privatleben konfrontiert?
Friedrichsen: Nun ja, wenn noch nicht mal die Urteilsverkündung öffentlich wäre, dann hätten wir ja nun wirklich Zustände wie vor Hunderten von Jahren. Der Strafprozess ist einmal grundsätzlich öffentlich und die Öffentlichkeit oder das Publikum hat das Recht zu wissen, was da passiert ist und was die Justiz zu diesem Tatvorwurf sagt und wie der Angeklagte zu bestrafen, oder ob er freizusprechen ist, und das muss auch öffentlich sein. Ich bin mir sicher, dass dieses Gericht keine privaten Details in der Urteilsbegründung verkünden wird, die nicht an die Öffentlichkeit gehören. Das ist eigentlich auch überhaupt nicht interessant. Ich habe nie verstanden, warum man die Öffentlichkeit unbedingt hat ausschließen müssen bei Frauen, die sich den Medien gegenüber in Interviews über ihr Sexualleben mit Herrn Kachelmann längst geäußert hatten. Da muss sich die Justiz eigentlich was einfallen lassen, wie man künftig damit umgeht. Die Details aus dem Intimleben, die interessieren keinen Menschen eigentlich, oder die haben keinen Menschen zu interessieren, aber man möchte sich doch als Gerichtsreporter oder als jemand, der über den Fall dann die Öffentlichkeit unterrichten soll, ein Bild machen können, um wen es sich hier überhaupt dreht.
Degenhardt: Die Haltung der Richter ist unbekannt. Sie müssen in jedem Falle eine schwierige Entscheidung treffen. Ich weiß von Ihnen, Frau Friedrichsen, dass Sie ungern über Urteile spekulieren. Eine andere Frage: Wie wichtig ist das Urteil der Öffentlichkeit in diesem Fall, oder steht das schon fest?
Friedrichsen: Das Urteil der Öffentlichkeit steht in bestimmter Hinsicht fest. Man hat über Herrn Kachelmanns Privatleben so viel erfahren, dass er gleichsam nackt vor der Öffentlichkeit steht. Man weiß, dass er da verschiedene Freundinnen hatte und was er mit denen gemacht hat, was er denen versprochen hat, und und und. Das sind alles Dinge, die eigentlich niemand etwas angehen, aber so ein Verfahren oder so eine Geschichte, die bringt es dann halt an den Tag, und wir erleben das gleiche jetzt gerade bei Herrn Strauss-Kahn in Amerika. Diese Menschen, die mal so vorgeführt werden, die sind ruiniert in gewisser Weise. Vielleicht hat ein Mensch wie Kachelmann, der ja über einen gewissen gesunden Egoismus verfügt, die Chance, irgendwann das abzuschütteln, aber an anderen bleibt es hängen und die erholen sich von so einem Verfahren nie wieder.
Degenhardt: Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin des "Spiegel". Im Kachelmann-Prozess haben heute nach 41 Verhandlungstagen Staatsanwaltschaft und Nebenklage das Wort. Vielen Dank für das Gespräch.
Friedrichsen: Gerne.