"Betrüger sind sehr eloquent"
Ob ihre Mandanten tätowiert sind oder schlechte Zähne haben, das sieht sie nicht. Die fast blinde Strafverteidigerin Pamela Pabst muss sich über die Stimme ein Bild des Gegenübers machen. Das habe durchaus Vorteile, meint sie.
Korbinian Frenzel: „Ich sehe das, was ihr nicht seht“ – das ist kein Kinderspiel, was wir jetzt mit Ihnen vor haben, sondern das ist die selbstbewusste Ansage einer Frau, die ich jetzt bei mir im Studio begrüße und zu der ich Ihnen so viel verraten kann: Sie ist 35 Jahre jung, sie ist Strafverteidigerin und sie ist so gut wie blind. Pamela Pabst, guten Morgen!
Pamela Pabst: Guten Morgen!
Frenzel: Sie haben ein Buch geschrieben mit eben diesem Titel, „Ich sehe das, was ihr nicht seht“. Das müssen Sie uns verraten. Was ist das, was Sie sehen?
Pabst: Ja. Das was ich sehe, sind grobe Umrisse, hell und dunkel. Ich kann, wenn ich in einem Raum stehe, zum Beispiel beurteilen, wo sich das Fenster befindet, oder ob das Licht an- und ausgeschaltet ist. Aber ich kann keine normale Schrift lesen. Ein Blatt Papier, wo Text drauf ist, ist für mich ein weißes Blatt Papier. Und ich kann Personen nicht am Gesicht unterscheiden. Ich kann zwar sehen, dass jemand vor mir steht, aber wenn Sie jetzt den Platz dort tauschen würden mit jemandem anders, dann würde ich das optisch jedenfalls nicht erkennen können.
Frenzel: Ich bleibe erst mal hier, versprochen.
Pabst: Danke.
Frenzel: Das ist ja alles erst mal weniger, was Sie beschreiben, im Vergleich zu dem, was ich jetzt sehe. Gibt es auch ein mehr, was Sie sehen?
Pabst: Ich denke, dass ich aufgrund meiner Sehbehinderung einen besseren Tastsinn habe, einen besseren Geruchssinn, vielleicht auch einen besseren Geschmackssinn und natürlich mehr auf die Stimme eines Menschen geprägt bin als jetzt jemand, der sieht, weil jemand, der sieht, der lässt sich ja viel leichter ablenken von dem, was er sieht. Und deswegen kann man vielleicht durchaus sagen, dass ich mehr sehe als andere.
Frenzel: Was ist denn das andere, wenn wir auf Ihren Beruf als Strafverteidigerin schauen? Was ist da anders als bei einem voll sehenden Strafverteidiger?
"Die Akten lasse ich mir von meiner Assistentin vorlesen"
Pabst: Was ist anders? – Anders ist natürlich, dass ich selbst die Akten nicht lesen kann. Jura ist ja immer mit viel Lesen verbunden. Die Akten lasse ich mir vorlesen von meiner Assistentin, die bei mir für viele, viele Stunden in der Woche angestellt ist. Ich brauche Begleitung auf Wegen, das ist sicherlich anders. Und ich habe natürlich eine andere Wahrnehmung meiner Mandanten, als jetzt ein sehender Strafverteidiger. Meine Mandanten – ich habe sie mal gefragt, wie sie das so wahrnehmen -, die sagen eigentlich, dass sie es sehr angenehm finden, dass ich sie nicht nach dem Äußeren beurteilen kann. Oft sehen die ja auch wohl nicht so gut aus, haben schlechte Zähne, sind sehr tätowiert. Natürlich ist das auch ein gewisses Klischee, es gibt auch welche, die sehen so aus wie Sie und ich. Ich weiß ja nicht, wie Sie aussehen, aber die sehen so aus, wie Sie und ich.
Viele sagen, dass ihnen das Mut macht. Sie haben in ihrem Leben nichts auf die Reihe bekommen, deswegen sitzen sie jetzt im Gefängnis, und ich habe was auf die Reihe bekommen, übe diesen Beruf aus, für den man ja auch fleißig sein muss. Andere sagen, wenn ich mich durchs Studium durchgekämpft habe, dann kann ich mich auch bestimmt durch ihren Fall durchkämpfen. Das ist sicherlich anders als bei anderen Strafverteidigern. Andere Strafverteidiger, die können im Grunde nur ihre juristische Leistung verkaufen, und ich kann unbewusst noch was mit verkaufen, was eben nur ich verkaufen kann. Das war mir am Anfang gar nicht so bewusst. Ich habe am Anfang nicht gedacht, dass Inhaftierte so was denken könnten, und fand es natürlich dann sehr schön, als die mir das dann auch gesagt haben.
Frenzel: Ich gebe zu, dass ich einen Gedanken hatte. Den möchte ich Ihnen mal darstellen. Mit Blick auf diese juristische Situation: Sie haben zu tun mit Drogen-Dealern, mit Vergewaltigern, mit Menschen, die ja wirklich zum Teil schlimme Dinge gemacht haben. Da ist bei mir der erste Gedanke, man muss diesen Menschen ins Gesicht schauen, man muss auch sich fragen, was sind das für Menschen, um eine Einschätzung finden zu können. Wie machen Sie das, wenn Sie das nicht sehen können?
Pabst: Grundsätzlich ist ja bei einem Menschen, den ich neu kennen lerne, immer die Stimme das Zentrale. Natürlich die Sachen darum herum, wenn er nicht gut riecht oder wenn er irgendwie sehr laut ist, sehr polterig, das kommt natürlich alles noch hinzu. Aber grundsätzlich ist die Stimme das, was für mich an erster Stelle steht, und wenn ich mit ihm rede, dann muss ich natürlich über die Stimme versuchen, mir einen Eindruck zu verschaffen.
Betrüger sind sehr eloquent. Ich sage zu denen immer, na ja, wenn Sie nicht so angenehm rüberkommen würden, hätte es ja auch mit den Betrügereien nicht geklappt. Da muss man dann natürlich auch, sage ich mal, ein bisschen vorsichtig sein, darf sich davon nicht blenden lassen.
Wenn ich ausländische Mandanten habe, die gar nicht direkt mit mir sprechen können, wo alles übersetzt werden muss, da finde ich es sehr schwer, so einen persönlichen Draht zu bekommen. Aber an erster Stelle steht natürlich die Stimme und ich muss aufgrund der Stimme mir überlegen, kann ich das glauben, was der sagt. Ich muss ja eine Einschätzung treffen, ob das, was er mir sagt, der Richter glaubt. Ich muss ja beurteilen, ob wir mit der Geschichte durchkommen. Ob das wirklich die Wahrheit ist, was er mir erzählt, das weiß ich manchmal selber nicht so genau, aber ich muss natürlich schon die Stimme auf mich wirken lassen. Das ist ja klar.
Frenzel: Pamela Pabst, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch. Ich danke Ihnen für den Besuch hier im Studio.
Pabst: Vielen Dank für die Einladung.
Frenzel: „Ich sehe das, was ihr nicht seht“ – so heißt ihr Buch, das Buch der ersten blinden deutschen Strafverteidigerin in Deutschland. Erschienen ist es im Hanser Verlag.
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