Menschenrechte gelten auch im Gefängnis

Von Peter-Alexis Albrecht |
Überbelegte Anstalten, Personalmangel, unzureichende Weiterbildung der Mitarbeiter: Diese und andere Mängel prägen den Alltag in vielen deutschen Gefängnissen. Doch wer daran etwas ändern will, bekommt es schnell mit einer erregten öffentlichen Meinung zu tun, meint der Kriminologe Peter-Alexis Albrecht.
Die Geschichte des Strafvollzugs ist eine Geschichte von Forderungen. Sie verbinden das Strafen mit sozialer Hilfe, um Menschen, die von der Schattenseite kommen, in die Gesellschaft einzugliedern – für ein Leben ohne Straftaten. Wenig von alledem wird umgesetzt. Das Klagen der Verantwortlichen an der Front des Strafvollzugs ist aktuell und unüberhörbar.

Das Mängelprofil ist folgendes: stark überbelegte Anstalten vor allem in den Ballungszentren, unter den Strafgefangenen ein hoher Anteil an Ausländern, was deren sozialstrukturelle Benachteiligung manifest belegt, Personalmangel, unzureichende Weiterbildung der Mitarbeiter, Übersicherung bis zum letzten Tag der Entlassung und das alles bei angespannter Haushaltslage.

Die Berliner Gefängnischefs brachten es kürzlich auf den Punkt: Zwar könne die Sicherheit in den Gefängnissen gerade noch gewährleistet werden, die Vorbereitung von Gefangenen auf ein straffreies Leben in Freiheit werde aber immer schwieriger.

Angesichts dieses Versagens der Kriminalpolitik bleibt nur das gerichtliche Einfordern von Menschenrechten, was in der Öffentlichkeit leider meist Kopfschütteln hervorruft. Aber der Rechtsstaat gebietet dieses Einfordern.

Die Gewähr von Menschenrechten im Strafrecht und im Strafvollzug steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers. Sie sind nicht beliebig einsetzbare Instrumente in der Hand der Justiz, um Strafgefangene zu beeinflussen, zu bestrafen oder zu belohnen, weil die Gesellschaft vor Rückfallkriminalität geschützt werden soll. Zentrale Menschenrechte sind um ihrer selbst willen staatlich zu garantieren.

Sie basieren auf der anthropologischen Erkenntnis, dass alle Menschen – frei oder gefangen – allein aufgrund ihres Menschseins mit gleichen Rechten ausgestattet sind. Oberstes Ableitungsprinzip der Menschenrechte ist die Menschenwürde. Sie ist vorrechtlich erkämpft, ist damit dem Gesetzgeber vorgegeben und unverfügbar, egal welches Unrecht geschehen ist.

Der schlimmste Rückfallproduzent ist die Gesellschaft selbst
Menschenrechte sind dem Schutz des Bundesverfassungsgerichts unterstellt. Dieses setzt auch dem Strafvollzug unüberwindbare Schranken - zugunsten der Menschenwürde der Strafgefangenen. Doch das Kriminaljustizsystem neigt dazu, diese Auflagen zu missachten – aus alter deutscher Tradition, staatlicher Allmacht und Willkür oder schlichter Angst vor erregter öffentlicher Meinung.

Der Rechtsstaat hat zwar das Recht der Freiheitsentziehung durch Strafrecht, darf darüber hinaus aber keine weiteren Zwecke rechtlich erzwingen. Schon gar nicht ist ihm erlaubt, Menschenrechte zu verweigern, um ein bestimmtes Verhalten einzufordern oder den Strafvollzug kostengünstig zu gestalten. Denn Menschenrechte sollen vor staatlichem Zugriff auf Psyche und Autonomie schützen.

Deshalb haben Strafgefangene ein Recht auf soziale Kommunikation, das heißt auf regelmäßige Kontakte zu ihrer Familie oder anderen Bezugspersonen, auf soziale Hilfe bei der Rückkehr aus dem Anstaltsleben.

Aber schauen wir nicht nur auf den Staat. Der schlimmste Rückfallproduzent ist die Gesellschaft selbst. Bürgerinnen und Bürger sind in den seltensten Fällen bereit zu helfen, entlassene Strafgefangene wiedereinzugliedern, ihnen beispielsweise Arbeit und Wohnraum zu geben. Da kann der Strafvollzug sich noch so viel mühen.

Das Umdenken muss bei uns draußen anfangen. Die Achtung der Menschenwürde ist keineswegs nur ein Thema für den Staat. Das geht uns alle an. Und daran sollten wir denken, wenn bei schweren Straftaten nur der rituelle Ruf nach mehr Härte erschallt. Denn das produziert aus der Sicht fast aller Experten nur eines: Rückfall. Ein Teufelskreis.

Peter-Alexis Albrecht, geboren 1946, ist Jurist, Sozialwissenschaftler und Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Goethe Universität Frankfurt am Main. Seine Forschungsgebiete sind das Strafrecht in seinen Bezügen zur Kriminologie, zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie sowie die Methoden empirischer Sozialwissenschaften zur Erforschung der Wirkungsweisen des Kriminaljustizsystems. Veröffentlichungen u.a.: "Die vergessene Freiheit" (2. Auflage, 2006) und "Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft – Auf der Suche nach staatskritischen Absolutheitsregeln" (2010). Er ist Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift "Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft".
Prof. Dr. Peter Alexis Albrecht
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