Chance auf Veränderung
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Der Profisport tut sich oft schwer mit einem konsequenten Bekenntnis zu Menschenrechten und unternehmerischer Verantwortung. Immerhin: Vereinzelt zeigen sich Hoffnungsschimmer. Und eine klare Haltung könne auch Chancen bieten, sagen Experten.
"Wir sind natürlich hier, um den Sport zu betreiben", sagte Michael Schumacher im April 2012 am Rande des Formel-1-Rennens in Bahrain, mitten im Arabischen Frühling. "Das Politische ist eine Sache, da versuchen wir, uns rauszuhalten." Kurz zuvor war bei einem Zusammenstoß von Demonstranten und Sicherheitskräften ein Mensch ums Leben gekommen. Wie schon im Vorjahr wurde daraufhin von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen und Oppositionellen eine Absage der Veranstaltung gefordert. Ohne Erfolg.
2011 hatte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen ein bedeutendes Dokument verabschiedet: Die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (PDF), in denen "es darum geht, dass Unternehmen erstmalig in dieser international vereinbarten Form dazu angehalten werden, sich dem Respekt der Menschenrechte zu verschreiben, sprich: die Menschenrechte in ihrem Handeln, in ihren Geschäftstätigkeiten zu achten und zu respektieren", erklärt Jonas Burgheim.
Burgheim ist Gründer und Geschäftsführer des Cares Project, das unter anderem in den Bereichen Wirtschaft und Menschenrechte sowie Menschenrechte und Sport beratend tätig ist. Denn die Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte im Sinne der UN-Leitprinzipien obliegt auch den Akteuren des organisierten Sports. Vor allem gewinnorientierte Unternehmen aus der Welt des Sports sollten sich demnach zu einer Politik der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht bekennen.
"Das geht los bei einer allgemeinen Policy-Erklärung, in der man sich auf höchster Ebene der Organisation der Achtung der Menschenrechte verschreiben soll. Das geht dann weiter über Risikoanalysen, Maßnahmen zur Abwendung oder Minderung von Menschenrechtsrisiken bis hin zur Berichterstattung, Kommunikation und auch Abhilfemaßnahmen, wenn denn doch Menschenrechtsverstöße im Umfeld von einem Unternehmen passieren."
Nach Russland und Katar stieg der Druck
Nicht alle Akteure zeigen sich einsichtig und überzeugt von der Notwendigkeit, ihre Haltung zu ändern. Lange wurde gern das Argument von der der nötigen Trennung zwischen Sport und Politik bemüht. Erst nach der Doppelvergabe zweier Fußball-Weltmeisterschaften an Russland und Katar passierte etwas. Sylvia Schenk, Vorstandsmitglied und Leiterin der AG Sport bei Transparency International:
"Da kamen ja unter anderem die Menschenrechtsdebatten und Migrantenarbeiter und die FIFA sagte erst mal: 'Hab ich nix mit zu tun, ich will doch nur Fußball spielen.' Und dann gab es international Druck von Nichtregierungsorganisationen, von Gewerkschaften, die sagten: Natürlich hast du was damit zu tun, du bist ein Wirtschaftsunternehmen. Dann gelten die UN-Leitlinien auch für einen Sportverband wie die FIFA."
John Ruggie, ehemaliger UN-Sonderbeauftragter und geistiger Vater der UN-Leitlinien, wurde 2016 – noch unter dem später unter unrühmlichen Umständen zurückgetretenen FIFA-Boss Joseph Blatter – damit beauftragt, ein Umsetzungskonzept dieser Leitlinien für den Weltfußballverband auszuarbeiten. Ergebnis: Im Mai 2017 beschloss der FIFA-Rat entsprechende Leitprinzipien. Artikel 3 der FIFA-Statuten (PDF) lautet:
"Die FIFA bekennt sich zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein."
"Wir hatten Angst um unsere Sicherheit"
Papier ist geduldig, ließe sich einwenden. Gibt es nicht nach wie vor skandalöse Zustände auf den Baustellen in Katar? Werden nicht nach wie vor nepalesische Gastarbeiter nach dem berüchtigten Kafala-System entrechtet und ausgebeutet? Ein System, bei dem ausländischen Arbeitskräften für die Dauer ihres Arbeitsvertrags die Pässe entzogen werden können? Ein System, das von Menschenrechtsorganisationen wegen der meist unzumutbaren Wohn- und Arbeitsschutzkonditionen als eine Art moderne Sklaverei kritisiert wird?
So heißt es in einer Reportage des WDR-Magazins "Sport inside" von 2019: "Wir hatten Angst um unsere Sicherheit, vor allem in großer Höhe. Zwei Arbeiter sind vor meinen Augen im Stadion gestorben. Wir standen unter Schock. Wir haben uns geweigert weiterzuarbeiten, doch die Vorgesetzten zwangen uns."
Die Lage bessert sich
Sylvia Schenk arbeitete seinerzeit als ehrenamtliches Mitglied im FIFA-Beratungsausschuss für Menschenrechte mit. Bei der Doppelvergabe der Weltmeisterschaften an Russland und Katar im Jahr 2010 hätten menschenrechtliche Aspekte noch keine Rolle gespielt, sagt sie. Dennoch sei unter dem Eindruck der neuen Politik einiges in Bewegung gekommen. Selbst in Katar.
"Es gibt ein Verhandlungsergebnis mit der International Labour Organisation und dem Land Katar, wonach das Kafala-System noch mal weiter reformiert wird, also weitere Lockerungen für die Arbeiter. In Katar hat sich eine ganze Menge getan, das ist auch umgesetzt worden. Das wäre ohne die WM, ohne die FIFA und ohne den Druck nicht passiert."
Bei aller Kritik an der FIFA, so findet sie, müssten solche Fortschritte gewürdigt werden. Menschenrechtlich schwierige Situationen in fremden Ländern könnten schließlich nicht von heute auf morgen verbessert werden.
"Was nicht heißt, dass alles funktioniert. Was auch nicht heißt, dass nicht auch die FIFA immer noch Fehler macht. Die machen auch deutsche Unternehmen in der Menschenrechtspolitik. Und zu Migrantenarbeitern sag ich dann immer nur: Schlachthöfe, Gurkenbauernhöfe. Es ist ja nicht so, dass hier bei uns alles wunderbar ist. Katar hat Probleme, aber wir haben auch ein paar Probleme."
Olympische Bewegung in der Kritik
Anders als die FIFA verfügt die olympische Bewegung noch nicht über eine ausdifferenzierte Menschenrechtspolitik. Immerhin sieht die Olympische Charta (PDF) vor, "der Schaffung einer friedlichen Gesellschaft förderlich zu sein, die sich der Bewahrung der Menschenwürde verpflichtet fühlt."
Regel 3, Punkt 2 lautet:
"Jede Form der Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Geschlecht oder aus politischen und sonstigen Gründen ist mit der Zugehörigkeit zur olympischen Bewegung unvereinbar."
Würden diese Prinzipien ernst genommen, so argumentieren Kritiker, hätten in Sotschi oder in Peking keine Olympischen Spiele stattfinden dürfen. In Russland würden sexuelle Minderheiten diskriminiert, in China die Religionsgemeinschaft der Uiguren unterdrückt. Pressefreiheit? Fehlanzeige!
Konfrontiert mit solchen Vorwürfen, reagiert der deutsche IOC-Präsident, Thomas Bach, in der Regel so: "Die Verantwortung des IOC bezieht sich auf die Olympischen Spiele. Wir sind keine Weltregierung, die dafür Sorge tragen kann, dass ein souveränes Land Gesetze verabschiedet, bestimmte Standards einhält."
Sylvia Schenk von der Transparency International gibt ihm recht: "Das IOC kann – übrigens genauso wenig wie die FIFA – in ein Land hineinregieren."
Auch Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, sieht nur einen begrenzten Einfluss der olympischen Bewegung auf die Menschenrechtslage in autoritär regierten Staaten. Man dürfe aber solche Regimes nicht unnötig hofieren oder durch Besuche aufwerten:
"Müssen beispielsweise die Mitgliedsverbände des IOC Trainingslager in Ländern abhalten, in denen Menschen ohne jedes rechtsstaatliche Verfahren in Gefängnissen landen, in denen Presse und Meinungsfreiheit auf das Übelste unterdrückt werden?"
Michael Windfuhr, Stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, betont: "Man muss nicht jeden autoritären Staat sofort ausschließen. Es kann aber auch Kriterien geben, wo man das tut, weil dort keine Pressefreiheit ist, weil Minderheiten zu stark bedroht werden. Aber auch dafür müsste das IOC natürlich einen Kriterienkatalog haben."
Eine Politik der kleinen Schritte
Sylvia Schenk plädiert für eine stärkere Orientierung an kleinen, machbaren Schritten anstelle unrealistischer Maximalforderungen. Die globale Durchsetzung von Menschenrechten sei eben ein langwieriger Prozess.
"Die UN-Leitlinien sagen eben nicht: Ich muss mich um alles kümmern, was in dem Land passiert. Das wäre auch eine Überforderung. Dann weiß man ja gar nicht, wo man anfangen kann und wo man aufhören soll."
Im Lichte jüngerer Erfahrungen mit wenig nachhaltigen Olympischen Spielen setzt Michael Windfuhr in der Zukunft auf klare Vergaberegeln:
"Das Wichtigste ist, dass die olympische Bewegung jedem Land, das sich bewirbt, klarmacht: Ihr müsst ein glaubhaftes Menschenrechtskonzept haben und zum Beispiel nachweisen, dass ihr keine Menschen zwangsumsiedelt, dass es nicht zu Problemen mit der Wasserversorgung kommt, dass ihr für Spielstätten keinen Fluss umlegen müsst. Es darf nicht zum ökologischen Desaster führen in Bergregionen, wo Hänge planiert werden, die später vielleicht abrutschen. Es gibt eine Menge dieser Themen. Das muss sehr sorgfältig in den Griff genommen werden."
"Menschenrechte sind kein Gemischtwarenladen"
Der Druck auf das IOC wächst, auch von Seiten der Sportler und Sportlerinnen. In einem Offenen Brief schlugen 2019 zahlreiche internationale Athletenvertretungen eine Ergänzung der Olympischen Charta um ein klares Bekenntnis zu den Menschenrechten vor, analog zu den UN-Leitprinzipien von 2011.
"Wir finden es unglaublich wichtig, dass das IOC sich zu der ganzen Palette der Menschenrechte bekennt", sagt Johannes Herber, der Geschäftsführer der Athleten Deutschland. "Nicht nur aus dem Grund, dass die Athletinnen und Athleten davon profitieren, sondern alle Menschen, die von der Ausrichtung der Olympischen Spiele berührt werden."
Athleten Deutschland ist ein vor drei Jahren gegründeter Verein, der sich für die Rechte deutscher Kaderathleten sowie grundlegende Reformen im deutschen und internationalen Sportsystem einsetzt. Die bisherige menschenrechtliche Position des IOC und auch des Deutschen Olympischen Sportbundes hält Herber für defizitär. In den Verbandssatzungen sei eigentlich nur das Verbot der Diskriminierung jeglicher Art festgelegt. Er vermisst ein Bekenntnis zu fundamentalen Menschenrechten.
"Ich glaube, man muss anerkennen, dass Menschenrechte kein Gemischtwarenladen sind. Man kann nicht sagen: 'Ich möchte das eine und das andere möchte ich nicht.' Ich glaube schon, dass es wichtig ist, eine klare Haltung zu finden."
Dabei geht es den Athletinnen und Athleten auch um Fragen wie Machtmissbrauch, sexualisierte Gewalt oder den fahrlässigen Umgang mit der Gesundheit der Athleten. Jüngstes Beispiel: das Lavieren des IOC-Präsidenten bei der erst spät erfolgten coronabedingten Verschiebung der Spiele von Tokio.
Der DFB engagiert sich – auch wegen der EM
"Der DFB bekennt sich zur Achtung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für die Achtung dieser Rechte ein."
So heißt es im neuen § 2 der DFB-Satzung (PDF), die der Deutsche Fußballbund auf seinem 43. Bundestag 2019 verabschiedete. Als einer der ersten Nationalverbände gelobt der DFB, sich proaktiv für menschenrechtliche Belange wie die Förderung von Integration, Fair Play und die Teilhabe aller Menschen zu engagieren. Und zwar sowohl im Breiten- wie im Spitzenfußball. Michael Windfuhr, stellvertretender Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, war an der Entwicklung dieser Strategie beratend beteiligt.
"Ich glaube, der DFB hat sich dieses Themas angenommen, als klar war, dass man sich für die Europameisterschaft 2024 bewerben will. Und das war natürlich auch ein wichtiges Argument zum Beispiel gegenüber dem Mitbewerber Türkei, dass man an dieser Stelle positiv auftritt."
Tatsächlich gab unter anderem das Fehlen eines menschenrechtlichen Aktionsplans in der türkischen Bewerbung den Ausschlag zugunsten des DFB. Erstmals hatte der Europäische Fußballverband UEFA spezifische menschenrechtliche Anforderungen an die Bewerber gestellt. Die UEFA Euro 2024 wird somit das erste internationale Fußballturnier auf Grundlage der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, zu der sich auch die zehn deutschen Ausrichterstädte bekennen.
"Da ist der DFB vielleicht einer der wichtigsten Multiplikatoren, um für eine rassismusfreie Gesellschaft zu werben. Er ist wahrscheinlich auch der wichtigste Akteur, weil er Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in seinen Reihen hat, die wie alle anderen auch normal Mitglied sind. Das ist natürlich ein einmaliges Setting, bedeutet aber auch eine hohe Verantwortung, sich damit auseinanderzusetzen."
Man darf gespannt sein, wie sich diese neue Politik in der Praxis bewährt. In der Vergangenheit war der DFB nicht immer in vorderster Linie zu finden, wenn es darum ging, die Verletzung von Menschenrechten in autoritär regierten Ländern und Diktaturen öffentlich zu verurteilen.
Der FC Bayern trainiert weiter in Katar
Das gilt auch für viele Mitgliedsvereine des DFB. Seit Jahren richtet etwa der FC Bayern München Trainingslager in Katar aus, weilt auch mal zu Freundschaftsspielen in Saudi-Arabien. Die Fluggesellschaft Katar Airways ist sogar Premium-Partner des deutschen Rekordmeisters. Selbst unter den Fans ist dieses Engagement hochumstritten. In der Südkurve wird immer wieder mit kritischen Bannern dagegen protestiert. Kostprobe: "Und wieder fliegen mit Katar Airways die Menschenrechte davon."
Der Menschenrechtsberater Jonas Burgheim glaubt, "dass Aufenthalte in menschenrechtlich sensiblen Regionen der Welt und auch Geschäftsbeziehungen von Sportvereinen oder Sportverbänden mit solchen Regionen, Regierungen, Staaten, bestimmten Unternehmen aus diesen Regionen ein sehr gutes Beispiel dafür sind, welche Sensibilität für diese Themen erforderlich ist."
Auf politischer Ebene ist Frankreich Vorreiter
Vielleicht kommt demnächst durch Regierungshandeln Bewegung in die Sache. Die UN-Leitprinzipien, so die Vorstellung der Vereinten Nationen, sollen durch die Einführung nationaler Aktionspläne für Wirtschaft und Menschenrechte, kurz NAP, verallgemeinert werden. Bereits 2016 wurde ein solcher nationaler Plan im Grundsatz beschlossen.
Allerdings setzte die Bundesregierung bislang auf freiwillige Maßnahmen von Unternehmen, anstatt sie gesetzlich festzuschreiben. Im Gegensatz dazu hat Frankreich schon 2017 ein Gesetz zur verbindlichen Verankerung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht für Menschenrechte verabschiedet. Laut Koalitionsvertrag von 2018 will die Bundesregierung deutsche Unternehmen ab einer Belegschaftsstärke von mehr als 500 Beschäftigten dazu verpflichten, "dass sie Menschenrechtsstandards in den Lieferketten überwachen und einhalten."
Gemeint sind damit nicht nur klassische Freiheitsrechte, sondern unter anderem auch arbeitsrechtliche, ökologische und soziale Mindeststandards. Auch dem Profisport, vor allem dem Profifußball stünde es gut an, sich aufgrund seiner gesellschaftlichen Verantwortung in diesem Sinne zu verpflichten. Selbst wenn in der Bundesliga nicht allzu viele Player die angegebene Unternehmensgröße erreichen, findet Sylvia Schenk von Transparency International:
"Das Geld kommt ja, weil die Fernsehgelder kommen, weil viele Menschen am Sport interessiert sind. Ich gehe davon aus, dass damit der Sport eine weitergehende Verpflichtung hat als ein anderes Unternehmen knapp unter der Grenze von 500 Beschäftigten. Insofern sollten auch die ganzen Fußball-Bundesligisten sich daran orientieren, ganz egal, wie viele Beschäftigte sie haben."
Der HSV legt einen Nachhaltigkeitsreport vor
Einige deutsche Profiklubs haben bereits weitreichende Konzepte entlang einer menschenrechtlichen Risikoanalyse entwickelt. Der Hamburger Sportverein zum Beispiel legte schon 2009 als erster Bundesligist einen Nachhaltigkeitsreport vor. Seither hat der Klub sein Instrumentarium in Bezug auf ausgewählte Menschenrechtsaspekte beständig verfeinert.
"Dazu zählen unter anderem Maßnahmen rund um die Spieltage, die sich primär auf Anti-Diskriminierungs- und Inklusionsthemen erstrecken", erklärt Vorstandsreferentin Marieke Patyna, "aber auch Maßnahmen zu Arbeits- und Sozialstandards entlang von Lieferketten sowie zu Kinder- und Jugendschutzkonzepten."
Unlängst nahmen Vertreter der Merchandisingabteilung des HSV und anderer Bundesligisten an der Eröffnung der "Green Factory" im südindischen Tiruppur teil. Die Fabrik zeichnet sich durch eine besonders umweltfreundliche und nachhaltige Produktion aus. Dort wird auch die "Rothosen"-Kollektion des HSV produziert. Dabei agiert der Klub jedoch nicht selbst als Importeur. Vielmehr bezieht er die Ware von einem vor Ort engagierten deutschen Textilunternehmen, Brands Fashion.
"Zu unseren allgemeinen Einkaufsbedingungen für Waren zählt auch ein Code of Conduct, der Regelungen zur Umsetzung von Arbeits- und Sozialstandards, aber zum Beispiel auch von Umwelt- oder Jugendschutz umfasst", sagt Patyna. "Die Verkäufer garantieren uns unter anderem die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Mindeststandards in Bezug auf Arbeitnehmerrecht, in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsschutz."
Nachhaltigkeit ist nur der Anfang
Gerade große Sportvereine haben aufgrund ihrer spezifischen Geschäftsbeziehungen besonders wirkungsvolle Hebel, bei externen Partnern auf die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflicht zu drängen. Eine menschenrechtliche Risikoanalyse erschöpft sich aber nicht in einer Prüfung der Beschaffung, sondern umfasst wesentlich mehr, meinen die Menschenrechtsberater Michael Windfuhr und Jonas Burgheim:
"Umgang mit Vielfalt im Verein, Umgang mit Vielfalt in Stadion, also Rassismus – das sind natürlich Themen, die adressiert werden müssen, weil das Lieferkettengesetz oder die Leitlinien der Vereinten Nationen befassen sich nicht nur mit dem, was man einkauft, sondern auch, wie es im Betrieb selber aussieht."
"Das geht los bei Kinderrechten, geht über die Gleichberechtigung der Geschlechter, geht über Inklusion bis hin zu Fragen von Diskriminierung – Bereich Rassismus, Integration –, die alle menschenrechtliche Bezüge haben."
Maßnahmen gegen Diskriminierung
Einige dieser Forderungen hat der Hamburger SV in seinem Stadionkonzept bereits aufgegriffen. Zum Beispiel das Thema Inklusion: "Wir haben ein taktiles Wegeleitsystem im Volksparkstadion installiert, mithilfe dessen sehbeeinträchtigte und blinde Fans sich im Stadion leichter orientieren können und leichter zu den Hörplätzen finden."
Zum Beispiel Antidiskriminierung: "Wir haben 2019 auf Initiative des Netzwerks ‘Erinnerungsarbeit’ einen Antidiskriminierungsparagrafen in die Stadionordnung für das Volksparkstadion aufgenommen und haben dann zur Rückrunde der vergangenen Saison im Sinne dieses Antidiskriminierungs-Paragrafen eine Anlauf- und Schutzstelle im Volksparkstadion geschaffen."
Diese Anlaufstelle namens "Ankerplatz", so Patyna, solle ein sicherer Hafen für Hilfe- und Ratsuchende sein, die am Spieltag Diskriminierung oder Gewalt miterlebt haben. Das Ordnerpersonal im Volksparkstadion sei entsprechend geschult worden.
Solche "Best-Practice"-Beispiele, findet Michael Windfuhr, könnten vom DFB durchaus als wegweisend ausgezeichnet und anderen Vereinen empfohlen werden: "Das könnte der DFB selber vielleicht zertifizieren, langfristig, wenn es gute Trainingskonzepte, wenn es guten Umgang mit jungen Spielern gäbe, wenn man eine gute Antirassismusarbeit hat – das könnte ein Ansporn sein für Vereine, die unterschiedlichen Bereiche zu beleuchten."
"Riesenpotenzial und Chance"
Trainingslager in Risikoländern überdenken? Lieferketten durchleuchten? Antirassismusprogramme entwickeln? Klingt nach Mehrarbeit und erhöhtem Konfliktpotential. Mancher Vereinsvorstand dürfte allein bei der Vorstellung Schweißausbrüche bekommen. Das muss aber nicht sein, meint Michael Windfuhr:
"Es soll nicht heißen: Gott, jetzt kommt auch noch das auf uns zu! Es müsste eher umgekehrt sein. Zu sagen: Das ist eine echte Chance, das Thema noch mal durch alle Vereinsgremien durchzubuchstabieren und vielleicht auch mit ein bisschen Spaß dranzugehen. Weil gerade wenn man kulturell so vielfältig ist wie viele Sportvereine, kann da auch ein Riesenpotential drin liegen, das zu besprechen und vertieft anzugehen. Ich glaub, da kann man auch im Umgang miteinander sehr viel lernen."
Gerade Vereine mit starker internationaler Ausstrahlung, sagt Jonas Burgheim, könnten die Erfahrung machen, "dass es für einen international sichtbaren Sportverein auch von großem Vorteil sein kann, sich proaktiv damit auseinanderzusetzen, dass der Respekt vor den Menschenrechten im eigenen Handeln eine Rolle spielt."
Die Sportler erheben ihre Stimmen
FIFA, IOC, DFB und Vereine – sie alle kommen unter dem wachsenden gesellschaftlichen Druck nicht mehr darum herum, sich ihrer menschenrechtlichen Verantwortung zu stellen. Und wie steht es mit den Sportlern und Sportlerinnen selbst? Dagmar Freitag, Vorsitzende im Sportausschuss des Deutschen Bundestags, erkennt positive Signale:
"Rund um den Globus schließen sich mittlerweile Athleten, Athletinnen in unabhängigen Interessenvertretungen zusammen und erheben zurzeit sehr wahrnehmbar ihre Stimmen. Denken Sie nur an die Diskussion um den Tod des Amerikaners George Floyd und die Frage: Darf man mit niederknien, um seinen stillen Protest ausdrücken?"
Auch in der hiesigen Fußball-Bundesliga wurde nach entsprechenden Protestaktionen von Spielern vor einigen Monaten in den FIFA- und DFB-Gremien darüber debattiert, ob dies sanktioniert werden müsse. Für Johannes Herber von "Athleten Deutschland" ein Beleg dafür, wie wenig Mitspracherechte die sportlichen Akteure in solchen Fragen haben: "Es ist eine sehr kontrollierte Partizipation von Athletinnen und Athleten. Es ist eher eine Form der Konsultation und nicht eine der tatsächlichen Mitbestimmung."
Aber auch das Verhalten mancher Sportler erscheint nicht immer widerspruchsfrei. Zum Beispiel Deutschlands Vorzeige-Athlet Jan Frodeno, mehrfacher Ironman-Champion und Triathlon-Olympiasieger von 2008. Während der Coronapandemie begeisterte er mit einem Triathlon im Homeoffice und sammelte Spenden für wohltätige Zwecke. Andererseits prangt seit 2015 auf seinem Trikot das Sponsoren-Wappen des Bahrein-Elite-Triathlon-Teams. Gründer dieser Elitetruppe ist Prinz Nasser al-Khalifa, ein Mitglied der Königsfamilie, die aufgrund der Menschenrechtslage in Bahrain häufig kritisiert wird.
Lassen sich Sport und Politik trennen?
Womit wir wieder bei der Ausgangsfrage wären: Lassen sich Sport und Politik so einfach trennen? Auch wenn dabei die Menschenrechte unter die Räder geraten? Sportlerkarrieren sind meist kurz. Was manche in Versuchung führe, wirtschaftlich das Beste dabei für sich herauszuschlagen, meint Johannes Herber:
"Ich glaube aber, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht, die man dann im Zweifel durch seine Leistung reinwäscht, also dieses Sportswashing begeht, dann muss man schon ganz genau abwägen, wie das im Verhältnis zu dem finanziellen Benefit steht."