Menschenrechte

"Sie leben in der Hölle"

Moderation: Matthias Hanselmann · 17.03.2014
Homosexuelle in Kamerun werden willkürlich verhaftet und müssen oft Erniedrigungen durch Polizisten über sich ergehen lassen, sagt die Anwältin Alice Nkom. Die Kirche habe "einen großen Anteil an dieser homophoben Stimmung". Nkom erhält in diesem Jahr den Amnesty Menschenrechtspreis für ihr Engagement für die Rechte von Lesben und Schwulen in ihrer Heimat.
Matthias Hanselmann: Vor zehn Jahren gründete sie in Kamerun den Verein ADEFHO, der Homosexuellen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen Aufklärung, Rechtsberatung, medizinische und psychologische Betreuung bietet. Frau Nkom hat in mehr als 50 Gerichtsverfahren Angeklagte verteidigt, und das in einem Land, in dem Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht garantiert sind und in dem sie Todesdrohungen bekommt für ihren mutigen Einsatz. Ich habe vor der Sendung mit Alice Nkom gesprochen und sie zunächst gefragt, wie es ihr geht, wie sie sich hier in Deutschland fühlt.
Alice Nkom: Ich fühle mich ganz wunderbar. Ich freue mich sehr, hier in Deutschland sein zu können, ich bin hier auf Einladung von Amnesty International Deutschland, um einen Preis entgegenzunehmen, der mir sehr viel bedeutet. Für mich persönlich, für mein Leben und auch für meine Arbeit, die darin besteht, mich für die Rechte von sexuellen Minderheiten einzusetzen.
Hanselmann: Sie sind hier in einem Land, das bis vor Kurzem einen homosexuellen Außenminister hatte, die Hauptstadt Berlin hat einen homosexuellen Bürgermeister, ein berühmter Fußballer hat sich vor Kurzem geoutet. Homosexuelle Paare dürfen bei uns ganz legal gemeinsame Kinder haben, auch andere Formen von Sexualität wie Transgender oder Intersexuelle können wenigstens ein halbwegs freies Leben führen in unserem Land. Wie damit in Kamerun umgegangen wird, das ist für viele von uns absolut unvorstellbar. Erzählen Sie uns davon, wie wird in Ihrem Heimatland mit sexuellen Minderheiten umgegangen?
Nkom: Es bedrückt mich wirklich sehr, von dieser Situation überhaupt sprechen zu müssen. Sie müssen sich vorstellen, dass sexuelle Minderheiten bei uns einen sehr schwierigen Alltag haben, um nicht zu sagen: Sie leben in der Hölle. Und eigentlich ist es ja so oder sollte es so sein, dass in jedem Land die Bevölkerung vom Staat Schutz erwarten kann, Schutz hinsichtlich seiner persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten, Schutz hinsichtlich seines Eigentums, um sich als Person und Teil der Gesellschaft entfalten zu können und so auch seinen Beitrag für den Aufbau des Landes, für den Fortschritt eines Landes leisten zu können.
Nun haben wir aber in Kamerun eine Gesetzgebung, die aus einem Vertreter einer sexuellen Minderheit automatisch einen Straftäter macht, und wo jeder das Gefühl hat, dass er eine solche Person völlig zu Recht verhaften kann, festhalten kann, ins Gefängnis bringen kann oder eben von der Gesellschaft ausschließen kann. Und Sie können sich sicherlich vorstellen, dass unter diesen Umständen eine persönliche Entfaltung dieser Menschen nicht möglich ist. Kurzum: Es herrscht eine wirklich schwierige Situation.
Ja, wie wird man denn nun als Mensch, wenn man den üblichen Schutz nicht bekommt, wenn die klassischen Schutzwälle versagen, die Familie, der Staat, das Justizsystem? Dann überlegt man nur noch, wie man am allerschnellsten wegkommt, wie man sich in Sicherheit bringt, woanders hin, in ein anderes Land, in ein Land vielleicht wie Deutschland, wo man noch ein richtiges, selbstbestimmtes Leben führen kann. Das alles sind Gedanken, die aufkommen, wenn einem Freiheit und Würde genommen werden.
Hanselmann: Drei bis fünf Jahre Gefängnis steht auf Homosexualität in Kamerun. Geben Sie uns vielleicht ein Beispiel für solch ein Verfahren! Wer entscheidet, wer homosexuell ist, wer klagt einen solchen Menschen an, wie und wofür wird er bestraft?
Kamerun - Weltmeister im Verletzen von Menschenrechten
Nkom: Ja, es ist so, dass Kamerun leider zum Weltmeister hinsichtlich der Verletzung der Rechte von Menschen und von Homosexuellen geworden ist. Und das, obwohl es in Kamerun im Gegensatz zu Uganda und Nigeria kein solches Gesetz gibt, das Homosexualität verbietet. Es gibt sicherlich einen Artikel im Strafgesetzbuch, der sozusagen gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen zwei Personen als Straftatbestand darstellt, aber das setzt erst einmal voraus, dass diese sexuelle Handlung stattgefunden hat. Und das setzt vom Gesetz her auch voraus, dass sie außerhalb der Privatsphäre stattgefunden hat.
Denn die Privatsphäre gilt in unserer Verfassung als schützenswert und als unantastbar. Und in dieser Privatsphäre äußert sich ja sexuelle Freiheit, Selbstbestimmung, Entfaltung, der Akt der Liebe. Und insofern dürfte dieses theoretisch keine gesetzeswidrige Handlung darstellen, da die Privatsphäre in unserer Verfassung als unantastbar gilt.
Die Strafprozessordnung gestattet es theoretisch keinem Richter, überhaupt jemanden aufgrund einer Annahme festhalten zu lassen. Was aber geschieht in der Realität, sind Razzien punktueller Art durch die Polizei, dann werden Menschen festgehalten, in Untersuchungshaft gebracht, und dort müssen sie sich erniedrigende Behandlungen gefallen lassen.
Unter anderem wird dann ein Militärarzt gerufen, ein Amtsarzt, der gegen den Willen der Festgehaltenen eine rektale Untersuchung durchführt und daran dann erkennen will, ob diese Person homosexuell ist. Wohl gemerkt: homosexuell ist. Es geht nicht darum, einen gleichgeschlechtlichen Akt nachzuweisen.

Die Anwältin Alice Nkom aus Kamerun (im gelben Kostüm) mit Moderator Matthias Hanselmann im Studio von Deutschlandradio Kultur.
Die Anwältin Alice Nkom aus Kamerun mit Moderator Matthias Hanselmann im Studio von Deutschlandradio Kultur.© Deutschlandradio - Matthias Hanselmann
Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Ich spreche mit Alice Nkom, sie ist Rechtsanwältin und Menschenrechtlerin und Gründerin der Organisation zur Verteidigung der Rechte von Homosexuellen in Kamerun, einem Land, in dem Homosexualität unter Strafe steht und überall verfolgt wird. Gibt es außer Ihrer oder der von Ihnen gegründeten Organisation in Kamerun andere Gruppen, die Ihren Kampf unterstützen, Ihren Kampf gegen die Diskriminierung der Homosexualität? Wie verhalten sich zum Beispiel die Kirchen?
"Die Kirchen haben einen großen Anteil an dieser homophoben Stimmung"
Nkom: Die Kirche hat leider eine sehr negative Rolle bei der ganzen Sache gespielt. Zur damaligen Zeit, als diese Hetzkampagnen begannen, wurde sogar an das tägliche Gebet in den Kirchen, in den Stadtvierteln ein Satz hinzugefügt, ganz am Ende: "Möge Gott uns von der Geißel der Homosexualität bewahren!" Das heißt, die Kirche war also mit eine treibende Kraft auch gegen Homosexualität und es war der Bischof der Stadt Yaoundé, der diesen Kreuzzug durch eine Rede auslöste.
Er ist inzwischen zurückgetreten, seitdem der neue Papst im Amt ist. Aber er hat das Ganze ins Rollen gebracht. Er hatte damals in einer Rede Homosexuelle generell verdächtigt und beschuldigt, Kinder zu verführen, negativen Einfluss auf Kinder zu haben, zu versuchen, in hohe Ämter zu gelangen und derlei Dinge mehr. Das Ganze wurde dann von den Medien aufgegriffen und verbreitet, und das führte dazu, dass sogar eine Liste mit Namen veröffentlicht wurde von hohen Würdenträgern, von hohen Beamten des Staatsapparates als vermeintliche Homosexuelle.
Die Kirchen haben also einen großen Anteil an dieser homophoben Stimmung und diese Veröffentlichung der Namen führte zum Beispiel dazu, dass sich die Kinder dieser Beamten weigerten, in die Schule zu gehen, aus Angst vor ihren Klassenkameraden, dass sie mit Selbstmord drohten, weil sie diesen Namen, den Namen des Vaters oder der Mutter in dieser Liste gesehen hatten. Und insofern hatten die Journalisten auch einen großen Anteil an dieser negativen Stimmung.
Am 10. Februar 2006 sprach dann unser Staatspräsident ein Machtwort anlässlich des Festes der Jugend und sagte den Journalisten, dass sie damit aufhören sollen. Er sagte: Redefreiheit, Pressefreiheit, alles schön und gut, aber sie stößt in dem Moment an ihre Grenzen, wo die Privatsphäre beeinträchtigt und verletzt wird. Hier hat er sich ausnahmsweise in seiner Rolle als Staatsoberhaupt gezeigt und als Bewahrer der Rechte, und der verfassungsmäßig garantierten Rechte und Freiheiten aller Bürger.
Denn Homosexualität ist ja vom Gesetz her als ein Grundrecht verankert und nicht als Straftat. Damals, 2006, hatten wir sehr viel Hoffnung nach dieser Rede durch unseren Staatspräsidenten. Wir hofften, dass also die Exekutive – Richter, Polizeibeamte – nunmehr aufhören würden mit ihren Verhaftungswellen, denn der Präsident hatte schließlich ein Machtwort gesprochen. Aber leider führte diese Rede nur zu noch mehr Festnahmen, zu neuen Verhaftungswellen.
Und es gab auch verschiedene Bemühungen, diesen Artikel 347a nachträglich zu modifizieren, es gab einen Gesetzesentwurf, es gab Bemühungen. Aber nach 2006 schwieg leider unser Staatspräsident, er äußerte sich nicht mehr und versteckte sich hinter den Worten der Regierungssprecher, die damit argumentierten, dass 97 Prozent der kamerunischen Gesellschaft Gläubige seien, muslimischer oder kirchlicher Religionen und damit gegen Homosexualität, und dass damit automatisch Kamerun gegen Homosexualität sei. Und das ist der Lauf der Dinge seit dieser Zeit.
Hanselmann: Madame Nkom, eine letzte Frage habe ich noch: Sie selbst haben ja auch immer wieder Drohungen erhalten, Todesdrohungen, auch gegen ihre Familie. Haben Sie nie daran gedacht, mit dieser Arbeit aufzuhören?
"Man darf auf keinen Fall aufhören"
Nkom: Nein, nein und nochmals nein! Es gibt keine Alternative zu diesem Kampf. Und natürlich bedeutet Kampf Gefahr und natürlich bedeutet Kampf möglicherweise Opfer. Aber alle großen Kämpfe haben ihre Opfer gefordert. Denken wir an die Sezessionskriege unter Lincoln: Er war weder schwarz noch Sklave und hat diesen Krieg geführt und hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Oder denken wir an Nelson Mandela, der dafür ins Gefängnis kam. Oder an die vielen anderen, die zum Beispiel mit ihrem Kampf, mit ihrem Engagement dafür gesorgt haben, dass ich heute als schwarze Frau hier sein kann, diesen Kampf weiterführen kann, hier in Deutschland eingeladen sein kann.
Ich habe also eine gewisse Schuld abzutragen, eine Schuld zu begleichen, einmal gegenüber meinen Vorfahren, die mir mein Leben heute ermöglicht haben durch ihren Kampf.
Und natürlich muss man vorsichtig sein, muss man dafür Sorge tragen, dass keine unnötigen Opfer geschehen, aber man darf auf keinen Fall aufhören, nicht nachlassen in diesem Kampf. Denn wenn dieser Kampf nicht fortgeführt wird, welche Zukunft haben wir zu erwarten, hat die Menschheit zu erwarten?
Wir haben eigentlich keine Wahl. Es gibt keine Alternative, um die Menschheit zu retten. Andernfalls wird sie zerstört werden.
Und dann ist da auch noch die junge Generation, der gegenüber ich eine Schuld abzutragen habe. Mein 16-jähriger Enkel ist eines Tages zu mir gekommen und sagte: Großmutter, den einzigen Erbteil, den ich von dir einfordere, ist dein Kampf, ist dein Engagement; ich weiß nicht, ob ich ihn so gut fortsetzen werden kann wie du, aber ich werde ihn auf jeden Fall fortsetzen, das verspreche ich dir.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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