Menschenrechtlerin beklagt Gewalt gegen afghanische Frauen

Monika Hauser im Gespräch mit Ute Welty · 06.10.2011
Rund 80 Prozent der afghanischen Frauen werden zwangsverheiratet, die Hälfte von ihnen ist jünger als 16 Jahre alt. Das liege auch an einer falschen Politik in der Region, sagt die Ärztin Monika Hauser. Die internationale Gemeinschaft habe "den zivilen Wiederaufbau dem militärischen Ansatz untergeordnet".
Ute Welty: Soweit Kai Küstner aus Afghanistan, und ich versuche jetzt, einen Ausblick und eine Bewertung zusammen mit Monika Hauser, die Trägerin des Alternativen Nobelpreises ist und vielfach ausgezeichnet wurde für ihre Arbeit beim Medica Mondiale. Die Ärztin engagiert sich dort für Frauen, die im Krieg Opfer sexueller Gewalt werden. Guten Morgen Frau, Hauser!

Monika Hauser: Ja, guten Morgen!

Welty: Medica Mondiale hat mehrere Projekte in Afghanistan angeschoben. Wie ist es zurzeit um die bestellt?

Hauser: Ja, wir haben 02 mit der Arbeit in Afghanistan begonnen und mittlerweile Projekte aufgebaut in Kabul, Masar-i-Scharif und Herat, auch in Kandahar hatten wir eine juristische Beratungsstelle, die mussten wir sehr schweren Herzens Ende 08 aufgeben, weil es einfach für die einheimischen Mitarbeiterinnen deutlich zu gefährlich wurde. Diese Arbeit, die wir nun seit neun Jahren aufgebaut haben, haben nun die 70 afghanischen Mitarbeiterinnen in Eigenregie Anfang dieses Jahres übernommen.

Das Projekt Medica Afghanistan ist zu einer afghanischen Organisation geworden, und weiterhin geschieht das, was wir eben aufgebaut haben, das heißt psychosoziale Beratung, gruppentherapeutische, individuelle therapeutische Angebote für schwer traumatisierte Frauen. Wir müssen uns vorstellen, 80 Prozent der afghanischen Frauen werden zwangsverheiratet, ungefähr 50 Prozent dieser Frauen oder Mädchen – muss man sagen – sind unter 16 Jahren, also die Gewalt ist allgegenwärtig für afghanische Frauen und daher ist eben neben der psychosozialen Arbeit uns auch sehr wichtig, dass wir sie juristisch begleiten. Wir geben der afghanischen …

Welty: Aber insgesamt klingt Ihre Bilanz doch sehr positiv, jetzt mal abgesehen von diesem Wermutstropfen Kandahar.

Hauser: Ich habe vom Projekt Medica Afghanistan gesprochen, und das ist tatsächlich auch eine Erfolgsgeschichte, dass es uns trotz der schwierigen Bedingungen gelungen ist, diese Organisation aufzubauen, und ist natürlich auch vor allem dem Mut der afghanischen Frauen zu verdanken, die aber – das möchte ich natürlich betonen – unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten, unter verschlechterter Situation, und dass weiterhin diese Arbeit aufrecht erhalten, die sehr viel Kraft bedeutet, aber natürlich in der Gesamtkonstellation, die alles andere als optimistisch ist. Wir waren 02 optimistisch, sehr viel schien möglich, aber auch durch die falsche Politik der Internationalen hat sich die Situation in den Jahren absolut verschlechtert.

Welty: Inwieweit müssen Sie auch mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko kämpfen?

Hauser: Ja, wir analysieren das natürlich regelmäßig und sehen, dass die Organisation nicht nun gezielt als Zielscheibe da ist, aber wir arbeiten, wie das so schön heißt, Low-Profile, also möglichst unauffällig: keine Schilder am Haus, mit unauffälligem Auto. Aber natürlich hat man immer das Gefühl, die Sorge, am falschen Moment am falschen Ort zu sein.

Welty: Sie und ihre Mitarbeiter reisen auch nach Afghanistan, fliegen da hin. Wie reagiert dann zum Beispiel Ihre Familie, wenn eine solche Reise ansteht?

Hauser: Na ja, die Familien von mir und Kolleginnen, die regelmäßig diese Reise tun, leben auch mit dieser Arbeit – meine Familie zum Beispiel seit Gründung, seit 18 Jahren – und weiß, dass es einfach eben zu dieser Arbeit dazugehört. Natürlich ist man in Sorge, wenn man wieder von aktuellen Anschlägen hört, aber wir versuchen ja auch als Organisation hier mit unserem Sicherheitskonzept immer auch auf die Situation adäquat zu reagieren.

Welty: Wie reagieren Sie denn zum Beispiel als Arbeitgeberin auch, wenn sie Mitarbeiterinnen nach Afghanistan schicken?

Hauser: Genau dadurch, dass wir ein Sicherheitskonzept – als wir eben 06 gesehen haben, dass es sich deutlich verschlechtert, mit unserem Sicherheitskonzept darauf reagiert haben. Dieses Low-Profile ist sehr wichtig, dass wir bestimmte Orte, bestimmte Aktivitäten nicht mehr tun können, dass wir nun versuchen, uns entsprechend zu verhalten, und es ist sicherlich immer wieder ein ungutes Gefühl, und man freut sich, wenn eine Kollegin wieder heil zurückkommt. Aber ich möchte noch mal betonen, die afghanischen Kolleginnen vor Ort sind einem ganz anderen Druck und ganz anderen Gefahren ausgesetzt als wir.

Welty: Was hat sich verändert seit 2009, seitdem auch die Bundesregierung die Leitplanken für den Einsatz in eine andere Richtung gelenkt hat?

Hauser: Na ja, man hat definitiv, glaube ich, erkannt, dass dieser Ansatz der vernetzten Sicherheit, dass der definitiv, wenn überhaupt, viel zu spät kam, dass der nicht mehr mit der Realität Afghanistans übereinstimmte, und dass es hier um einen massiven Strategiewechsel geht. Der ist leider nach wie vor weder insgesamt von der Internationalen Gemeinschaft noch von der Bundesregierung wirklich eingeleitet worden. Dieser Grundfehler in Afghanistan, dass man eben den zivilen Wiederaufbau und den Aufbau von staatlichen Institutionen dem militärischen Ansatz untergeordnet hat, nicht als ein eigenständiges politisches Handlungsfeld begriffen hat, dieser Fehler rächt sich ja in massivster Weise, dass wir heute davor stehen, dass wir keine aufgebaute Verwaltung haben, dass wir keine Rechtsstaatlichkeit haben, dass wir extreme Korruption haben. Hier wären ganz andere Prioritäten von Anfang an zu setzen gewesen …

Welty: Welche wären das gewesen?

Hauser: Ja, das sind die Prioritäten, die auch von Frauen von Anfang an angemahnt wurden. Leider hat man schon sein Petersberg mit Kriegsherren verhandelt und hat eben nicht in maßgeblicher Weise kompetente Frauen herangezogen …

Welty: Hätten die was anderes gemacht?

Hauser: Ja, die hätten sicherlich andere Prioritäten gesetzt, davon können wir absolut ausgehen, und sowohl auf der afghanischen Seite als auch auf internationaler Seite. Und wenn man sich vorstellt, dass wir tatsächlich in 2010 rund eine Milliarde Euro von deutscher Seite für den Militäreinsatz ausgegeben haben, dann ist das bei dem Resultat, was wir haben, verheerend.

Wir hätten Rechtsstaatlichkeit von Anfang an in ganz anderer Weise, in hartnäckiger und kontinuierlicher Weise hätte das passieren müssen – eben ein funktionierendes Justizsystem, denn die Beendigung der allgegenwärtigen Straflosigkeit ist eine der wichtigsten Aufgaben. Diese Gesellschaft verroht doch deswegen immer mehr, weil sie sieht, dass sich die mit dem Geld eben alles kaufen können. Und wie soll ein Glaube an eine gerechte Gesellschaft sich aufbauen, wenn die einfachen Leute sehen, dass sie keine Chance haben?

Versöhnungsprozess ist ein wichtiges Stichwort. Das heißt für uns, die wir auch friedenserhaltende Maßnahmen machen wollen, eben nicht einfach nur die Machtaufteilung zwischen Taliban und Warlords, sondern Versöhnungsprozess heißt wirklich, dass sich die ehemals verfeindeten und bis heute – die Gruppen, die nicht miteinander sprechen, dass man versuchen muss, hier Versöhnung von unten zu schaffen, dass sie sich an einen Tisch setzten. Und hier selbstverständlich von Anfang an Stärkung der Zivilgesellschaft.

Das ist ein Schlüsselwort: Ohne Zivilgesellschaft können wir nicht vorankommen, und wir sehen ja überall diese zarten Pflänzchen, die sich trotz der schwierigen Bedingungen entwickelt haben – auch eine Frauenbewegung, die es gibt. Das wird aber größtenteils ignoriert vom Westen, und anstatt hier auf diese demokratisch gesinnten Kräfte zu setzen, hat man immer auf Militär gesetzt, und wie kann man einen Sicherheitsprozess gewährleisten, ohne auf allen Ebenen eben auch Frauen mit einzubeziehen?

Welty: Monika Hauser von Medica Mondiale im Interview der "Ortszeit". Ich danke und ich wünsche Ihnen und der Arbeit viel Erfolg!

Hauser: Ja, ich danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.