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"Das spottet doch allen Prinzipien einer Wahl!"
Genozid, Bürgerkrieg, Embargo - Kambodscha ist ein traumatisiertes Land. Bis heute gebe es keine Versöhnung, so die Menschenrechtsaktivistin Naly Pilorge. Die Parlamentswahlen im Juli hält sie für eine Farce. Einen Hoffnungsschimmer sieht sie aber doch.
Opposition? Kritische Medien? In Kambodscha: Fehlanzeige! Im Juli 2018 stehen Parlamentswahlen an. Das Land wird seit über drei Jahrzehnten von Ministerpräsident Hun Sen regiert. Deshalb findet auch Naly Pilorge, kommissarische Leiterin der renommierten Menschenrechtsorganisation Licadho in Kambodscha: "Das ist ein Ein-Parteien-Staat, also raten Sie mal, wer gewinnt?! Das spottet doch allen Prinzipien einer Wahl!"
Und zieht einen überraschenden Vergleich: "Das ist so, als ob Ihre Kanzlerin eines Tages beschlossen hätte, alle gewählten Abgeordneten zu entfernen und die Plätze mit ihren Statthaltern zu besetzen. Und – on the top of it – die befreundeten Staaten Frankreich und die USA würden das gutheißen. Verstehen Sie? So ist das in Kambodscha! Der Premierminister entfernt die Oppositionsparteien, und China unterstützt das!"
Die Vergangenheit diktiert die Zukunft
Kambodscha ist ein traumatisiertes Land, immer noch. Der Genozid unter der Herrschaft der Roten Khmer bis 1979, danach Bürgerkrieg, das Embargo des Westens. Seit Anfang der 90er-Jahre herrscht Frieden. Frieden? "Bis heute gibt es hier keine Versöhnung und auch keine Idee, wie die Wunden, die durch den Genozid entstanden sind, geheilt werden könnten", erklärt Naly Pilorge.
"Die Menschen, die das erlebten, haben Angst, haben gesundheitliche und psychische Probleme – die sind in einem dauernden Überlebenskampf-Modus. Aber auch die junge Generation, die die Rote Khmer nicht erlebt haben, tragen dieses Erbe mit sich herum: sie hören von ihren Eltern die Erzählungen, ohne sie zu verstehen. Denn niemand will wirklich darüber reden."
Das Schlimmste, so die kommissarische Leiterin von LICADHO, einer NGO, die sich um diese Menschen kümmert, sei dabei die "stille" Gewalt "gegen sich selbst. Damit meine ich chronisch negative Gefühle und emotionalen Missbrauch. Damals wurden die Menschen gezwungen, über alles zu schweigen – und nun können sie es nicht rauslassen, sondern es frisst sie von innen auf."
Die Hoffnung liegt auf der Jugend
Die Hoffnung für einen Wandel liegt auf der Jugend, immerhin beträgt das Durchschnittsalter in Kambodscha knapp 22 Jahre. Die jungen Leute wissen und zeigen, was sie nicht mehr wollen.
"Social Media, Zugang zu den neuen Technologien, Reisen – das alles zeigt ihnen, dass ihr Land nicht so ist wie andere. Gleichzeitig wollen sie aber auch das, was sie dort kennenlernen: Sicherheit, angemessene Gesundheitsversorgung, gute Bildung. In Kambodscha ist jede Sache politisch, egal, ob es darum geht, genug zu essen zu haben oder medizinisch versorgt zu werden. Die jungen Leute nehmen das nicht mehr hin. Und deshalb glaube ich, dass sich mit ihnen etwas ändert im Land, dass sie die ökonomische und politische Macht übernehmen."
(mag)