"Wie im Krieg"
In Honduras spitzt sich die Lage immer weiter zu. Wer sich gegen die Privatisierungspläne der Regierung zur Wehr setzt, wird bespitzelt, stigmatisiert und verfolgt. Eine der Leidtragenden ist die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Tomasa Morales. Bei einem Hungerstreik von Studenten sei die Lage eskaliert, sagt sie.
Ellen Häring: Tomy, warum genau sind Sie hier?
Tomasa Morales: Seit acht Jahren arbeite ich als Journalistin und Aktivistin für Menschenrechte und seit 2014 haben wir die Studentenproteste in Honduras begleitet. Wir haben in diesem Zusammenhang sehr viele Menschenrechtsverletzungen beobachten müssen und das haben wir publik gemacht. Im letzten Jahr hat sich die Lage zugespitzt. Wir wurden verfolgt, überwacht, unsere Profile auf Facebook wurden geklaut und missbraucht, wir wurden schlussendlich verantwortlich gemacht für die Krise an der Universität.
Häring: Was hat das für Auswirkungen gehabt auf die Arbeit der Gruppe?
Morales: Die Überwachung habe ich schon erwähnt. Wir wurden fotografiert, wenn wir vor Ort waren. Wie bekamen Anrufe mit unbekannten Nummern, wenn wir zurückgerufen haben, dann existierten diese Nummern nicht. Wir entdeckten gefälschte Profile von uns in den sozialen Netzwerken. Wir wurden stigmatisiert in den Medien, die im Besitz der Regierung sind, unser Namen wurden veröffentlicht, wir waren also persönlich bekannt. Letztes Jahr musste ich bereits in Holland um Schutz suchen. Ich war drei Monate weg und habe dort psychologische Hilfe bekommen. Es war gut, um durchatmen zu können und etwas Abstand zu gewinnen. Als ich zurückkam, habe ich wieder gearbeitet. Im Juni sind einige Studenten in den Hungerstreik getreten. Wir von der Menschenrechtsorganisation haben den Streik 50 Tage lang begleitet. Schließlich ist die Lage eskaliert, am 8. September wurde die Universität zwangsgeräumt, 500 Bewaffnete drangen ein, Wasserwerfer, Tränengas, es war wie im Krieg. Nach diesem Überfall war ich krank, ich hatte Herzbeschwerden, konnte nicht mehr atmen und bin auf ärztlichen Rat hin zuhause geblieben. Wenn ich aber mal aus dem Haus gegangen bin zum Einkaufen zum Beispiel, dann wartete schon jemand vor der Haustür auf mich, folgte mir, fotografierte mich und meine Wohnung. Ich wollte Anzeige erstatten, aber das wurde abgewiesen. Angesichts dieser Zustände habe ich mit meinen Kollegen besprochen, dass es besser ist außer Landes zu gehen, bis sich die Lage etwas beruhigt hat.
Strom, Wasser, Bildung - alles wird privatisiert
Häring: Warum protestieren die Studenten der nationalen Universität in Honduras eigentlich schon so lange?
Morales: Nach dem Putsch hat sich in unserem Land der Neoliberalismus in schwindelerregendem Tempo entwickelt. Die Schürfrechte für die Minen, die Flüsse, die Bodenschätze, Sonderwirtschaftszonen, Strom und Wasser sind privatisiert. Der Staat sieht sich auch außerstande, das Gesundheitssystem weiter zu finanzieren. Dasselbe gilt für die Bildungseinrichtungen. Langsam aber sicher werden sie privatisiert. Und die Studenten wollen verhindern, dass ihre Universität privatisiert wird.
Häring: Wenn Sie zurückkommen nach Honduras irgendwann im Dezember oder Januar, was wird Sie dann erwarten? Es sind ja jetzt Wahlen, wird sich irgendetwas ändern?
Morales: Ich glaube, es wird schlimmer werden. Die Wiederwahl dieses Präsidenten ist illegal, gegen das Gesetz. Die ganze Macht liegt in der Hand des Präsidenten, die staatlichen Institutionen sind inzwischen alle abhängig von einer einzigen Person.
Häring: Wie ist es soweit gekommen, dass Honduras so autoritär regiert wird?
Morales: Es gab ja 2009 einen Putsch, das Militär wurde gestärkt und danach hat sich eine unglaublich Straflosigkeit breit gemacht. Verbrechen werden nicht mehr verfolgt. Seit dem Putsch wurden 78 Journalisten ermordet. Unsere Justiz funktioniert jetzt nur noch für die Barfüßigen, wie wir sagen: Wenn jemand ein Huhn klaut oder im Supermarkt was zu essen für die Familie, dann kommt er vor Gericht. Genauso wie Menschenrechtsaktivisten und Umweltaktivsten.
Häring: Welche Rolle spielt die organisierte Kriminalität in Honduras, die ja in der ganzen Region Politik und Justiz unterwandert?
Morales: Im Machtgefüge ganz oben gibt es Leute, die verwickelt sind. Das hat gerade die New York Times aufgedeckt. Sie gehören zu den Kartellen. Zum Beispiel der Bruder des Präsidenten wird verdächtigt, einem Drogenkartell vorzustehen. Der Sohn des Ex-Präsidenten sitzt sogar in den USA im Gefängnis wegen Verbindungen zur Drogenmafia.
"Es ist traurig, aber Honduras ist der Hinterhof der USA"
Häring: Wie erklären Sie sich denn, dass trotz allem die USA den derzeitigen Präsidenten unterstützt?
Morales: Die Vereinigten Staaten von Amerika spielten beim vergangenen Putsch eine zentrale Rolle. Wenn dieser Mann jetzt an der Macht ist, dann weil das den USA so gefällt. Und wenn er wieder an die Macht kommt, dann deshalb, weil die USA das so will. Die wissen genau, wo in die Drogenbarone bei uns wirken, sie haben 13 Militärbasen in Honduras. Es ist traurig für mich, das sagen zu müssen, aber Honduras war immer schon der Hinterhof der USA. Geografisch gesehen kann man von hier aus andere Länder angreifen, und das wurde ja auch schon gemacht in Nicaragua während der Revolution. Von Honduras aus agierten die Contras.
Häring: Wenn Sie zurückgehen nach Honduras, wie sehen Sie dann ihre Zukunft, wie wird es weitergehen?
Morales: Wenn ich zurückkomme, werde ich die Situation sehr genau analysieren müssen. Wir sind in der Defensive und können uns nicht kopflos exponieren. Ich habe vor meiner Abreise meine Wohnung gekündigt, ich will niemand anderen in Gefahr bringen. Ich werde also überlegen müssen, wie genau ich weitermache.