Menschheitsgeschichte

Historiker im Zwist mit Evolutionsbiologen

Eine Mitarbeiterin des Max-Planck-Instituts betrachtet in einer Ausstellung zur Menschheitsgeschichte einen hinter Glas ausgestellte Nachbildung eines Neandertaler-Kopfes.
"Der Mensch ist mehr als sein Zahn", sagt einer der Kritiker des historischen Anspruchs der Evolutionsbiologen. © picture alliance / ZB / Waltraud Grubitzsch
Von Ludger Fittkau |
Im 2014 gegründeten Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte hocken keine Historiker zwischen Bücherregalen, sondern Genetiker im Labor. Mit Hilfe der Evolutionsbiologie soll Geschichte neu geschrieben werden. Klassischen Historikern gefällt das gar nicht - das wurde bei einer Tagung in Darmstadt deutlich.
Die Historiker fühlen sich von Genetikern und Evolutionsbiologen herausgefordert. Denn seit zwei Jahren gibt es in Jena das Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. Dort leitet Wolfgang Haak eine Forschungsgruppe mit dem Namen "Molekulare Anthropologie". Haak erläuterte diesen Forschungsansatz auf dem Darmstädter Podium den skeptischen Geschichtswissenschaftlern am Beispiel von Genanalysen, die sein Team aus Jahrtausende alten menschlichen Überresten gewann. Es geht um Ähnlichkeiten und Unterschiede im Erbgut der Jäger und Sammler gegenüber den ersten Ackerbauern:
"Es hat sich da herausgestellt basierend auf den genetischen Analysen, dass die Jäger und Sammler sich ganz deutlich von den Früh-Bauern unterscheiden in ihrer genetischen Zusammensetzung. Die Jäger und Sammler haben eine genetische Komponente, die ist sehr homogen, egal wo wir schauen in Europa. Die spanischen Jäger und Sammler sehen so aus wie die südskandinavischen. Eine Probe, die wir aus Luxemburg hatten, sieht sehr ähnlich aus wie die aus Russland."
"Der Mensch ist mehr als sein Zahn"
Die Früh-Bauern wiederum hätten teilweise andere Gene, lauten die Laborergebnisse der Jenaer Evolutions-Biologen. Nur: Was sagt uns das konkret über die Ereignisse dieser historischen Epoche oder gar die Entwicklung der gesamten Menschheitsgeschichte? Die Historiker auf dem Darmstädter Podium warnten vor biologischen Determinismus.Jörg Feuchter, Mittelalter-Historiker der Berliner Humboldt-Uni:
"Der Mensch macht sich seine Geschichte selbst. Kulturell. Und nicht aufgrund von irgendwelchen evolutiven Dingen. (...) Da sehe ich einen brandgefährlichen Punkt, dass letztlich die beiden Fächer völlig aneinander vorbei reden. Ich fordern von ihnen nicht, dass sie das aufgeben, was sie tun, das wäre auch illusorisch."
Doch die Genetiker sollten ganz vorsichtig sein mit Schlüssen, die den Menschen als von seinen Genen gesteuert sehen. Das forderte auch der Münsteraner Historiker Jan Keupp. Laboranalysen, die anhand von Zähnen etwa die Wanderungsbewegungen oder Verwandtschaftsverhältnisse frühgeschichtlicher Menschengruppen wie der Langobarden rekonstruieren sollen , sagen aus seiner Sicht nicht viel darüber aus, wie diese Gruppen wirklich gehandelt haben. An diesem Punkt wurde der schon etwas eingeebnet geglaubte Unterschied der Denkstile von Geistes- und Naturwissenschaften wieder sehr sichtbar: zwei Wissenschaftskulturen, die weit auseinanderliegen können. Jan Keupp:
"Der Mensch ist mehr als sein Zahn. Man weiß aus kleinen genetischen Sampeln noch relativ wenig darüber, was ein Mensch praktiziert, was seine Kultur ausmacht und auch gerade die Frage, was seine Identität ausmacht, herausnehmen."
Der Jenaer Evolutionsbiologe Wolfgang Haak verteidigte seine Forschungsmethoden auf dem Darmstädter Podium Auch mit dem Argument, dass seine "molekulare Anthropologie" Erkenntnisgewinne insbesondere für die Archäologie mit sich bringt. Das begründete Haak noch einmal am Beispiel der ersten Bauern in Europa:
"Und wir konnten jetzt auch in einer Nachfolgestudie die Herkunft klären, indem wir Früh-Bauern untersucht haben und zwar nicht nur aus Zentraleuropa und von der iberischen Halbinsel, sondern die Spur zurückverfolgt haben, die uns die Archäologie aufgezeigt hat. Und die führt nämlich in den Nahen Osten, den fruchtbaren Halbmond, von wo wir auch die Überlieferung der materiellen Kultur kennen. Das heißt, das Wissen um die bäuerliche Lebensweise hat sich verbreitet nicht nur als Idee, sondern war getragen von Menschen und ist dementsprechend auch in der genetischen Signatur wiederzufinden."
Kritik am Welterklärungs-Anspruch der Evolutionsbiologen
Ist die "Archäogenetik" eine reine Hilfswissenschaft für die Archäologie – dann haben die Historiker auf dem Darmstädter Podium damit kein Problem. Sie rieben sich vor allem am Welterklärungs-Anspruch der Jenaer Evolutionsbiologen, der sich ja tatsächlich schon im Titel "Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte" ausdrückt. Wolfgang Haak erklärte dazu, er habe bei der Namenswahl nicht mitgewirkt, halte aber ihn aber für gerechtfertigt, um zu dokumentieren, dass man nicht nur Hilfswissenschaft für Archäologen oder Historiker sein wolle:
"Wir wollen doch ein bisschen mehr. Wir haben natürlich keinen Allmachtsanspruch, um das gegenüberliegende Extrem zu bemühen, aber wir wollen doch was dazu beitragen und uns zumindest auf die gleiche Ebene stellen."
Jörg Feuchter von der Berliner Humboldt-Uni appellierte an seine Historiker-Kollegen, diesen Anspruch der Jenaer Genetiker ernst zu nehmen:
"Das heißt, wir haben hier Genetiker, die nicht erst seit jetzt – seit 20, 30 Jahren – praktisch nichts anderes machen, als als Historiker arbeiten. Nur mit ihrer Methode. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Die sind auch in ihrer eigenen Disziplin inzwischen anerkannt. (...) Das müssen wir nicht anerkennen in dem Sinne, dass wir glauben, was die sagen oder schreiben, das müssen wir nicht glauben. Wir müssen aber anerkennen, dass es sie gibt. Das es in ihrer Disziplin und auch in der Öffentlichkeit Anerkennung gibt. Sonst gäbe es sie nämlich nicht, sonst würde keine Max-Plack-Gesellschaft so ein Institut finanzieren. Während es übrigens keines für Geschichte mehr gibt."
Die Historiker fragten den Genetiker Wolfgang Haak auf dem Podium auch, ob die Pharmaindustrie Interesse an seiner Forschung angemeldet habe. Geld fließe bisher noch nicht, antwortete Haak. Doch die Jenaer Forschung könnte langfristig für neue, individualisierte Medikamente interessant sein, glaubt er:
"Für die persönliche Medizin, wo das Feld der Medizin jetzt hingeht, dass man Wirkstoffe generiert, die jetzt auf Bevölkerungsgrüppchen maßgeschneidert sind. Ob man das möchte oder nicht, das werden wir nicht entscheiden. Aber das ist ein Trend, der momentan verfolgt wird."
Eurozentrischer Blick?
Als problematisch betrachteten einige Historiker in der Darmstädter Diskussion auch die Tatsache, dass die Jenaer Genetiker insbesondere mit Genmaterial aus Europa arbeiten. Das liegt daran, dass sich Jahrtausende alte menschliche Überreste in wärmeren Regionen – etwa in Afrika – schlechter halten als im kühleren Europa.
Diese Einschränkung der materiellen Forschungsbasis könnte einen eurozentrischen Blick hervorbringen, monierte etwa Johannes Paulmann, Direktor des Leibniz-Institutes für Europäische Geschichte in Mainz. Er glaubt auch, dass die Jenaer Evolutionsbiologen zu sehr an einem problematischen Begriff des biologischen "Ursprungs" festhalten, der machtpolitische Ursachen aktueller politischer Konflikte eher verschleiern könnte:
"Ich frage mich, was passiert, wenn ich anfange, Genetik in die heutigen Konflikte mit hineinzunehmen. Muss ich dann unterscheiden zwischen Mazedoniern und Griechen? Zwischen Türken und Griechen? Zwischen Syrern und Sachsen? (Lachen). Sie merken schon, in dem Augenblick, in dem ich Genetik rein bringe, bekommen wir zumindest für die gegenwärtige Diskussion vor dem Hintergrund dessen, was im 19. und 20. Jahrhundert für Vorstellungen von Bevölkerung, von Kultur, von Gesellschaften und von Nationen gesprochen wurde, große Schwierigkeiten überhaupt mit diesen Begriffen zu sprechen."
Fazit der Darmstädter Diskussionsrunde: Die Historiker werden in Zukunft wohl stärker wahrnehmen, was das Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte so treibt. Doch die disziplinäre Distanz von Genetik und Geschichtswissenschaften bleibt riesengroß. Menschliche Handlungsfreiheit und biologischer Determinismus sind die Eckbegriffe dieser schwer zu überwindenden Entfernung.
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