Drohender Phosphormangel

Menschliche Fäkalien als Dünger

Eine vergoldete Toilette
Wertvolle Schüssel für wertvollen Inhalt: Fäkalien sind zu nützlich, als dass sie einfach weggespült werden sollten, findet die Journalistin Annette Jensen. © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Ein Kommentar von Annette Jensen |
Unser Kot und Urin auf dem Gemüseacker? Igitt, würden wohl die meisten sagen. Doch die Fäkalien enthalten wertvolle Nährstoffe und vor allem Phosphor – und der werde weltweit knapp, sagt die Autorin Annette Jensen: Höchste Zeit, dass wir umdenken.
Schei...Psst, das Wort sagt man nicht. Das weiß doch jedes Kind – kurz nachdem es seine anale Phase hinter sich gebracht hat. Hochglanzmagazine mit schönen Essensbildern verkaufen sich bestens. Auch ist es modern, das gerade servierte Gericht erst einmal zu fotografieren. Doch was ein paar Stunden später auf dem stillen Örtchen damit passiert, gilt als unaussprechlich.
Dabei enthält das, was in der Kloschüssel landet, wertvolle Nährstoffe. Zum Beispiel Phosphor. Phosphor ist für jede Pflanze, jedes Tier und jeden Menschen lebensnotwendig. Ohne Phosphor wächst kein Knochen und keine Knospe. Jede Kleingärtnerin liebt Mist, weil Rhabarber, Tomaten und Erdbeeren dann üppiger sprießen. Früher wurden auch menschliche Fäkalien selbstverständlich als Dünger genutzt – und so kehrte das, was auf die Teller kam, wenig später in veränderter Form auf den Acker zurück. Dieses Prinzip, dieselben Stoffe immer und immer wieder für neues Leben zu nutzen, praktiziert die Natur seit Milliarden Jahren. 

Gestörter Stoffkreislauf

Inzwischen aber sind die Stoffkreisläufe katastrophal gestört. Und auch, wenn sich heute alle aufs Klima fokussieren – den menschlichen Umgang mit Phosphor halten viele ForscherInnen für ein mindestens ebenso großes Problem. Darüber zu sprechen ist aber ungleich schwieriger – denn was in der Toilette landet, ist ja tabu. Weltweit gilt es als Ausdruck von Zivilisation, Fäzes und Urin in einer weißen Porzellanschüssel zu deponieren und mit viel frischem Wasser wegzuspülen. Aber ist das wirklich sinnvoll?  
Ihren Anfang nahm die Entwicklung im 19. Jahrhundert. Damals wurde nicht nur der Kunstdünger entwickelt, der Kompost und Mist zunehmend ersetzte. Zugleich herrschten in den rasch wachsenden Städten auch katastrophale hygienischen Bedingungen. Überall lag Kot in den Straßen herum, Seuchen breiteten sich aus. So wurden zuerst in Wien und London, später auch in anderen Großstädten Kanalisationen gebaut.
Bald zeigte sich jedoch, dass die Flüsse das Abwasser nicht einfach auf Nimmerwiedersehen abtransportierten – und so errichteten die Kommunen Kläranlagen. Phosphor filterten sie zunächst jedoch nicht heraus. So vermehrten sich Algen massenhaft, Fische und Wasserpflanzen erstickten. Wieder sollte eine neue Technik das Problem lösen. Heute kippen die Klärwerksbetreiber Metallsalze ins Abwasser, an die sich der Phosphor anlagert. Das Ganze sinkt ab in den Klärschlamm, der mit viel Energieaufwand getrocknet, verbrannt und deponiert wird.

Phosphor geht unwiederbringlich verloren

Doch huch – allein in Deutschland gehen auf diese Weise Jahr für Jahr 50.000 Tonnen Phosphor unwiederbringlich verloren. Weil der Stoff endlich ist und in der Landwirtschaft dringend gebraucht wird, kann das auf Dauer nicht funktionieren. Also wieder die Suche nach einer technischen Lösung. Mit Hilfe großer Mengen Chemikalien lässt sich der Phosphor von den Metallen trennen und zurückgewinnen. Eine teure Angelegenheit, doch sie wird kommen. Die Klärschlammnovelle schreibt vor, dass Phosphor zurückgewonnen werden muss.

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Warum aber nicht den Kloinhalt sammeln und in Dünger verwandeln? Mit Trocken-Trenn-Toiletten geht das. Auch Keime und Medikamentenrückstände können unschädlich gemacht werden. Eine DIN-Spezifikation gibt es dafür. Ihre Grenzwerte sind strenger als die für Gülle und Klärschlamm – und die landen heute in großen Mengen auf den Äckern.
Doch die deutsche Rechtslage verbietet es, menschliche Fäkalien in der Landwirtschaft einzusetzen. Auch die Abwasserinfrastruktur steht dagegen. Und – unsere Vorstellung von Zivilisation. Das ist doch Schei....oh, Entschuldigung.  

Annette Jensen ist freie Journalistin und Buchautorin in Berlin. Sie studierte Politikwissenschaften und Germanistik an den Universitäten inHeidelberg und Hamburg. 1992 war sie Mitbegründerin des Ressorts „Wirtschaft und Umwelt“ bei der Tageszeitung „taz“. Ihre Schwerpunkte sind ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit sowie gesellschaftliche Transformation. Jensen engagiert sich im Ernährungsrat Berlin und hatte die redaktionelle Verantwortung für das Buch „Berlin isst anders – ein Zukunftsmenü für Berlin und Brandenburg“, das als Open Source erschienen ist.

Porträtaufnahme der Autorin Annette Jensen
© Britta Knäbel
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