Menschliche Wärme bei McDonald’s
Wie wir mit materiellen Objekten umgehen, sagt viel über uns und unser Verhältnis zu anderen Menschen aus - für "Der Trost der Dinge" hat der Soziologe Daniel Miller auch mit einer Mutter gesprochen, die über billige Spielfiguren aus dem Fast-food-Restaurant ihren Kindern ihre Liebe zeigt.
Immer sind wir umgeben von allerlei unterschiedlichen Gegenständen, und selbst wenn unsere Wohnung nicht überquillt von Büchern, Möbeln, Nippes, so tragen wir doch Kleider auf dem Leib und haben uns auch sonst irgendwie eingerichtet, jeder auf seine Weise. Natürlich gibt es Ähnlichkeiten; milieuspezifisch oder altersabhängig hängt ein Kunstdruck oder ein Playgirl-Poster an der Schlafzimmerwand. Aber welche Beziehung wir zu den uns umgebenden Dingen haben, ist doch individuell unterschiedlich, welche Erinnerungen wir mit ihnen verknüpfen und welche Bedeutung wir ihnen zumessen.
Mehr noch: Wie wir mit materiellen Objekten umgehen, sagt viel über uns und unser Verhältnis zu anderen Menschen aus. Das zeigen auf sehr überzeugende Weise die fünfzehn Portraits des Bandes "Der Trost der Dinge". Das Buch basiert auf einer Studie des Londoner Soziologen Daniel Miller. Miller hat für diese Studie gemeinsam mit einer Doktorandin siebzehn Monate lang hundert Einwohner einer Londoner Straße über ihr Leben und ihr Verhältnis zu den Gegenständen in ihren Wohnungen befragt. Waren die befragten mitunter zu Anfang eher zurückhaltend, so wurden sie, auf ihre Wohnungseinrichtung, auf Photoalben, Haustiere und CD-Sammlungen hin befragt, sehr gesprächig.
Es zeigte sich, dass es anhand der betreffenden Dinge vielen erheblich leichter fiel, sich mitzuteilen und darzustellen. Zum Beispiel Marina. In ihrem Haushalt bemerkte der Soziologe allerlei Plastikfiguren aus dem "Happy Meal"-Menü von McDonald’s. Wie sich herausstellte, war es für Marina und ihre Kinder jahrelang der Höhepunkt der Woche, zu McDonald’s zu gehen, ein "Happy Meal" zu essen und mit den neuen Plastikfiguren zu spielen. Wer nun denkt, Marina stamme aus eher einfachen Verhältnissen und hätte deswegen einen Hang zu billigem Essen und geschmacklosem Spielzeug, der könnte nicht falscher liegen.
Marinas eigene, wohlhabende Eltern nämlich besitzen einen starken Hang zu exklusiven Objekten, vor allem zu Antiquitäten. Da Marinas Verhältnis zu ihren Eltern aber sehr gespannt ist, sie sie als kalt und herzlos empfindet, dienen ihr die Happy-Meal-Figuren vielmehr dazu, sich einerseits von ihren Eltern abzugrenzen und andererseits ihren eigenen Kind ein Gefühl von Wärme und Familiarität beim gemeinsamen McDonald’s-Ausflug zu vermitteln.
Es bedürfte gar nicht des wissenschaftlichen Rahmens. Schon als individuelle Geschichten sind die einzelnen Portraits spannend genug zu lesen, handeln sie nun von Marina und McDonald’s, von den Quietscheentchen eines schwulen Paares, vom Laptop eines nomadischen Aborigines oder den Tätowierungen einer Wrestlerin. Und doch ist Daniel Millers eigene Sicht auf die Dinge ebenfalls interessant: Für den Soziologen spiegelt die beobachtete Dingkultur ein je eigenes Ordnungssystem wider, eine ganz private Kosmologie. So sieht er in unserer säkularen Gesellschaft keineswegs die Gefahr des extremen Individualismus. Denn gerade durch die Dingwelt, so Miller, sei der Mensch immer auch mit anderen verbunden.
Besprochen von Tobias Lehmkuhl
Daniel Miller: Der Trost der Dinge
Aus dem Englischen von Frank Jakubzik
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
228 Seiten, 15 Euro
Mehr noch: Wie wir mit materiellen Objekten umgehen, sagt viel über uns und unser Verhältnis zu anderen Menschen aus. Das zeigen auf sehr überzeugende Weise die fünfzehn Portraits des Bandes "Der Trost der Dinge". Das Buch basiert auf einer Studie des Londoner Soziologen Daniel Miller. Miller hat für diese Studie gemeinsam mit einer Doktorandin siebzehn Monate lang hundert Einwohner einer Londoner Straße über ihr Leben und ihr Verhältnis zu den Gegenständen in ihren Wohnungen befragt. Waren die befragten mitunter zu Anfang eher zurückhaltend, so wurden sie, auf ihre Wohnungseinrichtung, auf Photoalben, Haustiere und CD-Sammlungen hin befragt, sehr gesprächig.
Es zeigte sich, dass es anhand der betreffenden Dinge vielen erheblich leichter fiel, sich mitzuteilen und darzustellen. Zum Beispiel Marina. In ihrem Haushalt bemerkte der Soziologe allerlei Plastikfiguren aus dem "Happy Meal"-Menü von McDonald’s. Wie sich herausstellte, war es für Marina und ihre Kinder jahrelang der Höhepunkt der Woche, zu McDonald’s zu gehen, ein "Happy Meal" zu essen und mit den neuen Plastikfiguren zu spielen. Wer nun denkt, Marina stamme aus eher einfachen Verhältnissen und hätte deswegen einen Hang zu billigem Essen und geschmacklosem Spielzeug, der könnte nicht falscher liegen.
Marinas eigene, wohlhabende Eltern nämlich besitzen einen starken Hang zu exklusiven Objekten, vor allem zu Antiquitäten. Da Marinas Verhältnis zu ihren Eltern aber sehr gespannt ist, sie sie als kalt und herzlos empfindet, dienen ihr die Happy-Meal-Figuren vielmehr dazu, sich einerseits von ihren Eltern abzugrenzen und andererseits ihren eigenen Kind ein Gefühl von Wärme und Familiarität beim gemeinsamen McDonald’s-Ausflug zu vermitteln.
Es bedürfte gar nicht des wissenschaftlichen Rahmens. Schon als individuelle Geschichten sind die einzelnen Portraits spannend genug zu lesen, handeln sie nun von Marina und McDonald’s, von den Quietscheentchen eines schwulen Paares, vom Laptop eines nomadischen Aborigines oder den Tätowierungen einer Wrestlerin. Und doch ist Daniel Millers eigene Sicht auf die Dinge ebenfalls interessant: Für den Soziologen spiegelt die beobachtete Dingkultur ein je eigenes Ordnungssystem wider, eine ganz private Kosmologie. So sieht er in unserer säkularen Gesellschaft keineswegs die Gefahr des extremen Individualismus. Denn gerade durch die Dingwelt, so Miller, sei der Mensch immer auch mit anderen verbunden.
Besprochen von Tobias Lehmkuhl
Daniel Miller: Der Trost der Dinge
Aus dem Englischen von Frank Jakubzik
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
228 Seiten, 15 Euro