Menstruation

Der Kampf gegen ein uraltes Tabu

Blut auf weißer Fläche
Wenn es um die Monatsblutung geht, wirken sich Tabus und Vorurteile noch immer auf das Leben junger Frauen aus. © picture alliance / dpa / Fritz Schumann
Von Susanne Billig und Petra Geist |
Bis heute schweigen viele junge Frauen über ihre Periode. Laut einer Studie spricht nur eine von fünf Frauen mit ihrem Partner über ihre Menstruation. Unter dem Motto "period positivity" melden sich jedoch immer mehr Frauen zu Wort und sprechen offen über ihre Erfahrungen.
"Wir wissen nach heutigem Stand der Forschung, dass die Nichtbefruchtung des Eies den Eitod bedeutet. Jede Menstruation ist damit eine grundsätzliche Enttäuschung der Natur. Sie ist die blutige Träne, welche die Frau ihrem verlorenen Kinde nachweint."
Eberhard Schätzing, Frauenarzt, in seinem Buch "Die verstandene Frau", 1954
"Hi, wie geht's? Ich bin Steffi. Ich weiß, das ist irgendwie komisch darüber zu reden, aber was soll's. Jedes Mädchen muss damit irgendwann klarkommen, also, als ich zuerst meine Periode bekommen hatte, hatte ich keine Ahnung, was mich erwartet."
"Keine Frau wird sich einbilden, sie könne ihre Zähne nur durch Abwaschen des Mundes reinigen. Dabei sind die Zähne nur zwei Centimeter vom Lippenrande entfernt. Während die inneren Geburtsteile zwanzig Centimeter entfernt im Inneren liegen. Und auf diese weite Strecke soll äußeres Abwaschen helfen, soll der Gebrauch der Reinigungsspritze nicht nötig sein zur Reinlichkeit?"
Carl Reclam in seinem Buch "Des Weibes Gesundheit und Schönheit" von 1883. Frauen sollten sich viermal täglich die Geschlechtsorgane waschen und zur Scheidenspülung Spritzen verwenden."
Youtuberin Steffi:
"Am Anfang wusste ich nicht mal, dass es überhaupt meine Periode war. Das mag jetzt vielleicht ein bisschen mehr Information sein, als euch lieb ist – aber es sah eher braun als rot aus, aber wie sich dann herausstellte, kann die Periode unterschiedliche Farbtöne haben, von rot bis braun."
"Nicht nur für den praktischen Irrenarzt ist die Berücksichtigung des Menstrualprozesses von hoher Wichtigkeit, sondern auch für den Gerichtsarzt bezüglich der Beurteilung so mancher psychischer Zustände beim Weibe."
Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie, 1858
"Um euch mal ein Beispiel zu nennen: Als mein ehemaliger Biologie-Lehrer uns erklären sollte, wie halt eine Menstruation funktioniert, wie Tampons funktionieren und so weiter, hat er sich in der Klasse vor allen Leuten so lustig über das Thema gemacht und meinte halt, wenn Frauen und Mädchen ihre Tage bekommen, dann werden sie unausstehlich, und es ist eine Sauerei, und das Blut und bäh, ganz ehrlich, wenn ich heute so drüber nachdenke: O mein Gott, was für ein Arschloch …"
"Mein Name ist Theresa Lehmann, ich bin 26 Jahre alt und studiere Politikwissenschaft und wohne in Berlin, mir ist im Netz aufgefallen, dass immer mehr darüber geredet wird. Dass es mehr Seiten gibt, die das Thema auf dem Schirm haben, Künstler Menstruation aufgreifen, da passiert doch gerade was und irgendwie drängt das Menstruationsblut wieder an die Oberfläche, wenn man so will, und vielleicht ist es Zeit, das alles mal zu sammeln und zu analysieren."
Aufklärungsfilm bei YouTube:
"Warum gibt es überhaupt eine Monatsblutung? Im Laufe eines Monats bereitet sich die Gebärmutter auf eine mögliche Befruchtung vor. Die Schleimhaut an der Innenwand der Gebärmutter wächst, damit sich eine befruchtete Eizelle einnisten kann und mit Nährstoffen zum Weiterwachsen versorgt wird. Wenn es nicht zu einer Befruchtung kommt, stirbt dieser Teil der Schleimhaut wieder ab. Die Monatsblutung dient dazu, die Schleimhautreste aus dem Körper zu spülen. Dieser Vorgang wird durch Hormone beeinflusst."
"2014 veröffentlichte die indische Künstlerin Rupi Kaur auf Instagram ein Foto, das sie in Joggingkleidung mit dem Rücken zur Kamera auf dem Sofa liegend zeigte. Zwischen ihren Beinen sah man einen kleinen Blutfleck."

Eine Riesenwelle

Theresa Lehmann: "Und dieses Bild – so ruhig und entspannt und eben so unaufgeregt, wie es eben ablaufen kann – hat eine Riesenwelle ausgelöst. Das Bild wurde von Instagram gesperrt daraufhin, und ich würde sagen, das hat maßgeblich dazu beigetragen, dass das Thema auch wieder so aufgelebt ist, gab es einen Riesen-Shit-Storm, es wurde von feministischen Blogs und in Zeitungen thematisiert und als Beweis angeführt, wie unterdrückt Weiblichkeit auch immer noch ist und wo denn da jetzt das Problem darin liegt, dieses Bild hochzuladen – das hat auf jeden Fall ganz viel angeregt."
Aus der Frauenzeitschrift "Brigitte", Oktober 2016:
"Blutrotes Wasser fließt durch die Brunnen Zürichs – an mehreren Stellen der Stadt haben Aktivistinnen das Wasser eingefärbt. Unter dem Hashtag #happytobleed protestieren Frauen weltweit gegen die Tabuisierung der Menstruation – so nun auch in Zürich. Tampons und andere Hygieneartikel werden in der Schweiz als Luxuskonsumgüter mit einer höheren Mehrwertsteuer belegt, was sie absurd verteuert."
Kommentar eines männliches #happytobleed Nutzers:
"Dieser Hashtag gehört zu den Alltime-Top-Five der geschmacklosesten Hashtags. Euer Östrogenknopf klemmt doch."
Sabine Zinn-Thomas: "Das war im medizinhistorischen Diskurs jener Zeit üblich, dass die Frauen eben in jener Zeit nicht zurechnungsfähig waren und das war überwiegend schon auch männliche Ärzte, die das vertreten haben. Nicht geschäftsfähig, nicht zurechnungsfähig – und das findet man ja heute immer noch."
Die Freiburger Kulturanthropologin Professorin Sabine Zinn-Thomas:
"Wenn Frauen kompliziert werden, zickig sind oder einfach sich nicht so verhalten, wie manche das erwarten oder wünschen, dann wird schnell mal gesagt: Na, die hat halt ihre Tage. Die Menstruation hatte vor allen Dingen Symptom- und Symbol- Wert für die weibliche Schwachheit in der Vergangenheit. Frauen, die menstruierten, galten als psychisch labil, die weibliche Körper sei durch die Menstruation insgesamt schwächer als der männliche Körper, wobei der männliche Körper sowieso als die Norm angesehen wurde. Dazu gehört auch, dass die Körperausscheidung für andere unsichtbar gemacht und unmerklich vernichtet werden müssen."
"Wenn eine Frau ihren Blutfluss hat, so soll sie sieben Tage für unrein gelten. Wer sie anrührt, der wird unrein bis zum Abend. Und alles worauf sie sitzt oder liegt wird unrein."
Drittes Buch Mose, Altes Testament.

Vor sich selber ekeln – wer braucht das denn?

Theresa Lehmann: "Und also was ich auch viel gefragt worden bin: Ja was wollen Sie denn jetzt? Wollen Sie jetzt, dass alle wild auf der Straße rumbluten? Also, so Splatter-Szenarien mir aufzeichnen und das schon für eine gewisse Provokation halten, was ich tue, und, nein, natürlich will ich das nicht. Auch viel von Frauen, die sich gewundert haben oder teilweise sogar sehr wütend waren, dass es thematisiert wird, und, ja, die Frage in den Raum gestellt haben: Warum? Warum brauchen wir das? Warum muss es sichtbar sein? Warum kann es nicht einfach da bleiben, wo es ist? Dann gab es natürlich auch Reaktionen, die angenervt waren oder ihren Ekel auch zum Ausdruck gebracht, und ich finde es halt schon echt krass, dass es Menschen gibt, die es völlig okay finden anscheinend, sich einmal im Monat vor sich selber zu ekeln – also, wer braucht das denn?"
"Menstruationsblut ist eine Unflat, dem kein Gift auf Erden gleichen mag – schädlicher als alles andere."
Der Schweizer Arzt und Philosoph Paracelsus, Vorreiter der naturwissenschaftlichen Medizin
Sabine Zinn-Thomas: "Die Vorstellung war eben: Frauen, die menstruieren und eben nicht schwanger waren, machten halt irgendwas falsch, weil – in dem Moment, wo eine Frau menstruiert, ist ein Ei nicht befruchtet gewesen und das fließt mit dem Menstrualblut ab."
"Es entspricht dem Geschlechtszwecke und ist normal, dass die Frau, sofort nach Eintritt der Gechlechtsreife concipiren, ihr Kind austragen, nähren und während des Stillens wieder empfangen, also bis zum Aufhören ihrer Geschlechtstätigkeit überhaupt niemals menstruireren würde. Die menstruierende Frau ist durch unsere kulturellen Verhältnisse zwar zur alltäglichen Erscheinung geworden, doch dies vermag den der Blutung als solcher anhaftenden pathologischen Charakter wohl zu verdecken, aber nicht aufzuheben."
Gynäkologische Fachzeitschrift von 1884
Theresa Lehmann: "Um die Menstruation ranken sich seit jeher die tollsten Geschichten und Sagen, also Frauen durften, wenn sie ihre Tage hatten, bestimmte Sachen nicht anfassen, Blumen würden anscheinend welken, die Milch würde sauer und wenn man eine Frau berührt hat, die ihre Tage hat, dann galt man auch als unrein und sie natürlich sowieso auch. Bis 1958 war nicht bewiesen, dass Menstruationsblut toxisch ist, das klingt jetzt natürlich erstmal erschreckend – und das wirkt alles bis heute nach."
Menotoxin. 1920 beschreibt der Wiener Professor für Pädiatrie, Bela Schick, in einer klinischen Wochenzeitschrift den Giftcharakter des Menstruationsbluts. In seinen Experimenten gibt er menstruierenden Versuchspersonen frischgeschnittene Blumen in die Hand und misst, nach welcher Zeit die Blüten welken. 1924 kann eine Folgestudie das Gift Menotoxin in Schweiß, Speichel, Milch, Tränen und im Urin menstruierender Frauen nachweisen.
Sabine Zinn-Thomas: "Das Menstrualblut, das ist anderes Blut oder wird als anderes Blut wahrgenommen und es wird deutlich unterschieden zwischen dem Menstrualblut und dem normalen Blut, das fließt, wenn man sich etwa in den Finger geschnitten hat. Überwiegend ältere Frauen haben mir berichtet, dass es verboten sei, in dieser Zeit zum Beispiel Obst oder Sachen haltbar zu machen, etwa Sauerkraut oder Obst oder auch Pflaumen oder sowas, die man einkochen kann, aber auch Sahne, die man schlagen würde während der Menstruation, die würde nicht steif werden. Manche sagten, auf keinen Fall während der Menstruation sich eine Dauerwelle machen lassen. Andere behaupteten wiederum, unbedingt genau in dieser Situation hält die Dauerwelle besten."
Eduard Krieger, 1869, in seiner Studie "Die Menstruation":
"Durchschnittseintritt der Menarche, untersucht an 3411 Mädchen. Ergebnis der Untersuchung:
Blondinen: im Alter von 15,55 Jahren
Brünette: im Alter von 15,26 Jahren"
Auszug aus: "Ebbe und Blut – ein Nachschlagewerk zur Menstruation mit Texten und Illustrationen".
"Manchmal können wir unsere Periode riechen, mal mehr und mal weniger. Sollte der Geruch störend sein, kann man die äußeren Teile der Vagina mit milder Seife waschen. Achtung: Besser nicht übertreiben mit der Seife! Sie sollte nämlich nicht in die Scheide gelangen. Und Vorsicht bei duftenden Binden, Tampons und auch Vaginaldeos. Diese können Reizungen verursachen, zu Infektionen führen und den Geruch sogar verschlimmern. Darüber hinaus sind sie total unnötig."
Die Autorinnen sind:
"Also ich bin die Eva Wünsch."
"Und ich bin Luisa Stömer, hallo. Der Ursprung für die Idee lag einfach in unserer eigenen Unwissenheit. Dass wir festgestellt haben, das in dieser offenen und aufgeklärten Gesellschaft, in der wir scheinbar leben, der eigene Körper trotzdem noch ein Ding ist, mit dem wir uns nicht wirklich auskennen, und dass einfach keine umfassende Aufklärung stattgefunden hat bei uns. Und das war der Grund, warum wir uns dann gedacht haben, selber ein Buch zu machen."
"Ebbe und Blut", das nun bei Gräfe und Unzer erscheint, geht zurück auf eine Bachelorarbeit, die im Sommersemester 2016 zur besten Abschlussarbeit der Technischen Hochschule Nürnberg gekürt wurde.
"Wir haben unsere Tage, die Periode, Besuch aus Rotenburg, den Blutsbruder oder unsere Menstruation. Wie immer wir es auch nennen mögen, die Schleimhaut der Gebärmutter läuft uns Richtung Unterhose. In den ersten zwei Menstruationstagen handelt es sich um dickes, nicht gerinnendes Uterusblut."
Luisa Stömer: "Es ist zum Beispiel so, dass der weibliche Zyklus in den Medien meistens auf seine Optik, reduziert wird, bestes Beispiel, dass in der Werbung für Tampons oder Binden das Blut immer blau dargestellt wird. Dabei müssen wir ja nicht lange diskutieren, dass es definitiv rot ist. Der Witz dabei ist, dass man sich überhaupt nicht traut, die Dinge so darzustellen oder zu besprechen, wie sie faktisch sind."
"Das Tageblut ist das nährstoffreichste Blut des gesamten Körpers. Da es kein gewöhnliches Blut ist, sondern eigentlich eine Brutstätte für den Embryo sein sollte, gerinnt es nicht. Es ist auch nicht so flüssig wie normales Blut und es ist reich an Vitaminen, Eiweißstoffen, Kupfer, Eisen und einigem mehr."

"Mit der Aufklärung der 50er-Jahre noch nicht durch"

Luisa Stömer: "Da boten sich Collagen einfach total an. Wir haben als Material ganz viele uralte Frauenzeitschriften und Playboy-Hefte verwendet, also eigentlich Material aus den letzten hundert Jahren, die wir eben neu zusammengefügt haben, und wir sind mit der Aufklärung der 50er-Jahre noch nicht durch. Das ist so ein bisschen der Grund für diese Optik."
"Wir sollten unser Menstruationsblut ehren, wir bluten hochgerechnet nämlich ungefähr 2.300 Tage lang – in ca. 35 bis 40 Jahren. In den ersten beiden Tagen verlieren wir mindestens zwei Drittel der gesamten Tageblutmenge einer Menstruation. Auf die restlichen anderen Tage verteilt, sickert das letzte Drittel."
Eva Wünsch: "Ich glaube, dass diese Illustration das auch ein bisschen ausdrückt – also diese Stärke der Frauen. Das sind drei Frauen, die quasi, also es sieht aus, als würden sie einfach eine Straße entlanglaufen, und sie sehen auch sehr selbstbewusst aus und haben alle drei blutige Höschen. Also man sieht einen Blutfleck zwischen den Beinen."
Luisa Stömer: "Genau, die gehen eigentlich erhobenen Hauptes in eindeutig weiblichen Kleidungsstücken, aber vollgeblutet die Straßen entlang."
"Ganz typisch für Indien ist zum Beispiel, dass man, während man seine Menstruation hat, nicht in einen Tempel gehen darf ..."
Ina Jurga, Leiterin der Kommunikationsabteilung für Verhaltensänderung bei der Organisation "WASH United", die sich weltweit für bessere Toiletten und Sanitäranlagen einsetzt. Ina Jurga leitet auch das internationale Sekretariat des "Menstruationshygienetags", der jährlich am 28. Mai stattfindet.
Ina Jurga: "Man darf manchmal auch nicht im gleichen Zimmer wie die Familie schlafen, man hat eigene Besteck und Teller und Gabeln. Es gibt auch ganz typisch in Indien, aber auch in Afrika, dass man, während man seine Menstruation hat, keine Tiere anfassen darf oder keine Pflanzen anfassen darf, weil die Milch sonst sauer wird von den Kühen oder die Pflanze eingeht; man darf nicht baden zwischendurch, also es gibt eine Menge, wenn man anfängt, mal zu bohren."
Kölner Stadtanzeiger, 21. Dezember 2016:
"In Nepal ist ein Mädchen in einem Schuppen ums Leben gekommen, weil es wegen eines seit Langem verbotenen Brauches während der Menstruation von seiner Familie weggeschickt wurde. Vermutlich erstickte die 15-Jährige an einem Feuer, mit dem sie sich warmhalten wollte."

Das größte Tabu ist das Schweigetabu

Ina Jurga: "Das größte Tabu ist eindeutig das Schweigetabu, nicht nur bei Mädchen und Frauen, sondern bei Männern und Jungs, eigentlich in der ganzen Gesellschaft, das zieht sich durch – und dadurch, dass darüber nicht gesprochen wird, wird auch das Thema nicht angegangen. Als ich in Indien, 2012 war das, durch Indien gereist bin und wir hatten unsere Toilette wirklich einmal durch das ganze Feld - ich musste wirklich abends einmal durch das ganze Feld - und mir war dann so bewusst, was man emotional durchmachen muss, wenn man seine Tage hat und dann einmal durch ein dunkles Feld, wo vielleicht eine Schlange drin ist oder auch ein Mann irgendwo sich versteckt hält, auf die Toilette, seine Binde wechselt und dann gibt es kein Wasser – das selber zu erfahren, was das bedeutet, eine indische Frau oder ein Mädchen zu sein, das war für mich sehr augenöffnend."
UNICEF-Studie, 2010:
"Neun von zehn Mädchen gehen in Indien während ihrer Periode nicht zur Schule, 23 Prozent der 12- bis 18-Jährigen verlassen das Bildungssystem sogar endgültig nach dem Einsetzen der ersten Periode. Grund sind meist Scham und Unwissenheit. 83 Prozent der Mädchen werden von der ersten Blutung völlig überrascht und wissen nicht, was ihnen widerfährt. Sie glauben, sie müssten sterben oder seien von einer schweren Krankheit betroffen."
Ina Jurga: "Sie redet darüber nicht mit ihrer Mutter, weil sie sich schämt, oder sie redet nicht darüber mit ihrem Vater, der eigentlich das Geld für die Menstruationsbinden zur Verfügung stellen soll, aber das ist natürlich auch dann für Politiker – sei es der Gesundheitsbereich oder der Schulbereich: Wenn da nicht darüber gesprochen wird, dass Menstruation stattfindet, dann wird es dazu auch keine Lösung geben. Dann werden auch Schultoiletten nicht auf die Bedürfnisse von Mädchen gebaut."
Youtuber ClemensAlive: "Hallo ihr Menschen, jetzt mal so gefragt, was gibt es an Frauen eigentlich Mysteriöseres als ihre Periode? Viele Frauen beklagen sich ja auch über Regelschmerzen und auch bei mir gibt es Dinge, bei denen bekomme ich in der Regel Schmerzen, haha, ich hab einen Witz gemacht! Und dann kommen so Reaktionen, so: "Küss mich, aber fass mich nicht an. Sag mir schöne Sachen, aber rede nicht mit mir."
Youtuberin Andrea Morgenstern: "Hallo Leute, das Ding kann man Menstruationskappe oder Menstruationstasse nennen, also es gibt verschiedene Begriffe dafür und ich habe ehrlich gesagt vor zwei Jahren oder so, da haben mich alle Firmen angeschrieben und gefragt, ob ich sowas testen möchte, und ich immer so: Iiihhh, nein, danke, bitte nicht, was soll ich damit, wie unhygienisch ist das denn, ich nehme das dann immer wieder raus und wieder rein und, ääähhh, wie eklig ist das denn."
Youtuberin Jacko Wusch: "Ich hab mir das irgendwie eklig vorgestellt, ist es aber überhaupt nicht. Man kippt es sowieso direkt in die Toilette, danach geh ich halt immer zum Waschbecken oder zur Dusche und spül das einmal ab."
Die jungen Youtuberinnen wissen nichts mehr von der feministischen Bewegung der Vor-Wende-Zeit. Die Freiburger Kulturanthropologin Sabine Zinn-Thomas:
"Also in den 80er-Jahren ging es im Kontext mit der Menstruation vor allem auch um das weibliche Körpererleben und es wurde damals sehr stark propagiert, dass man seine Menstruation spürt, das heißt also auch spüren, wie das Blut heraus fließt. Und damals kamen auch Binden auf den Markt, die einen Mooskern hatten, also zurück zur Natur gingen. Aber auch stark propagiert wurde eben das Schwämmchen, was man auswaschen und wiederverwenden kann und zu jeder Situation wieder neu benutzen."
Netzaktivistin Theresa Lehmann fordert eine neue Offenheit:
"Es ist gerade eine neue Studie, die SCA Hygiene Reports, sind rausgekommen; ein Ergebnis davon ist, dass nur jede fünfte Frau mit dem Partner über ihre Menstruation schon mal gesprochen hat. Ich verstehe das nicht. Ich habe mit meinen Partnern immer über meine Menstruation gesprochen und ... es scheint wirklich sehr krass tabuisiert zu sein."
"Ich bin Alisa Fluhrer. Das Projekt ging über zwei Semester im Rahmen der Untersuchung von verschiedenen Gesundheits-Apps, also wir als Gruppe von vier Forscherinnen haben uns Zyklus-Apps angeschaut und uns die Fragen gestellt: Wie werden Zyklus-Apps genutzt und welches Wissen wird dabei produziert?"
Mens-App, Zyklus-App, Period Tracker, Kinderwunsch-App, Verhütungs-App. Zahl der Downloads des Marktführers "Clue": 50 Millionen.
"Mein Name ist Cosima Wiemer. Zuerst fand ich, dass deutlich wird, dass großes Unwissen herrscht bezüglich Menstruationszyklus überhaupt generell und oft dann ein Aha-Effekt aufkommt, wenn sich die Frauen mit ihrem Menstruationszyklus dann durch die App damit befassen. Aus unseren Interviews ging hervor, dass einige Nutzerinnen die Zyklusapp wie ein Lerninstrument genutzt haben, durch die Benützung gemerkt haben, dass ihr Zyklus individuelle Zykluslänge hat – und das war sicherheitsstiftend."
Aus der Eigenwerbung einer Zyklus-App:
"Mit dieser App kannst du:
- Erfahren, wann deine nächste Periode ist
- Die einzigartigen Muster deines Zyklus herausfinden."
Alisa Flurer: "Eine Hypothese, die wir auch aus den Interviews gezogen haben ist, dass die App quasi ein Medium ist, in das der Zyklus wandert, also der Zyklus wird extern, dadurch entsteht ein gewisser Abstand und durch diesen Abstand wird es für die Nutzerin einfacher, über den Zyklus zu sprechen – und dass die App auch noch eine Sprache anbietet, wie man über den Zyklus sprechen kann."
"Tracke Sex, Schmerzen, Stimmung, Ausfluss, Pillen-Einnahme und vieles mehr. Und verbinde dich mit deinem Partner, Freunden und Deiner Familie, um mit ihnen über das Thema Menstruations-Gesundheit ins Gespräch zu kommen."

Datenfrage ist problematisch

Alisa Flurer: "Gleichzeitig ist die Darstellung in den Apps aber: Man sieht auf keinen Fall Blut. Das höchste der Gefühle wäre vielleicht noch ein Blutstropfen, aber oft wird die Periode als pinkfarbene Unterhose dargestellt und Eisprung als Küken. Oder hüpfendes Ei. Ich sehe da eine Parallele zur blauen Ersatzflüssigkeit, weil es sehr clean ist und die Darstellungen nicht mit dem tatsächlichen Körper der Frau zu tun haben. 'Clue' bewirbt auf der eigenen Webseite, dass sie Daten an amerikanische Webseiten weitergeben, ich denke, dass die Datenfrage generell problematisch ist. Gleichzeitig ist es so, dass diese Daten genutzt werden können für Forschungsprojekte die der weiblichen Gesundheit zuträglich sein können."
Cosima Wiemer: "Dass Frauen nicht mehr damit abgetan werden, na ja, das gehört halt dazu - sondern dass das wirklich schon pathologisch ist."
16. Februar 2016, aus der britischen Zeitung "The Telegraph":
"Menstruationsschmerzen können so schwer sein wie ein Herzinfarkt, darauf wies ein Experte für Reproduktive Gesundheit in London hin. Dennoch würden Menstruationsschmerzen wissenschaftlich kaum erforscht. Wenn auch Männer an diesen Schmerzen litten, würde das Problem sicher ernster genommen."
Rupi Kaur wollte nicht akzeptieren, dass der Webdienst Instagram das Foto löscht, auf dem sie mit einem Blutfleck auf der Jogginghose zu sehen ist. Die indische Künstlerin machte die Löschung öffentlich. Die Welle der Empörung war so groß, dass sich der Facebook-Konzern entschuldigte. Theresa Lehmann:
"Sie haben sich entschuldigt, aber sie haben es nicht wirklich begründet, nein. Ähnliche Aktionen gab es zu Hauf – in der Musik, Comedians – es ist schon sehr präsent, alles mit einem zwinkernden Auge, und es gab zum Beispiel vor zwei, drei Jahren eine Aktion in Köln, wo eine junge Aktivisten auf Binden feministische Botschaften geschrieben hat. Der bekannteste Spruch war so: 'Wenn Männer sich so sehr vor Vergewaltigung ekeln würden wie vor Menstruation, dann hätten wir weniger Probleme.'"
Im April 2015 nimmt die US-amerikanische Musikerin Kiran Gandhi am Marathon in London teil.
Theresa Lehmann: "Sie hatte halt sehr lange auf den Marathon trainiert, und hat am Morgen des Marathons in London ihre Tage bekommen und wusste aus Trainingserfahrungen, wie unangenehm das ist über so einen langen Zeitraum und bei ständiger Bewegungen ein Tampon oder Ähnliches zu tragen und dann hat sie sich dafür entschieden, eben dies nichts zu tun, und dann ja free bleeding zu praktizieren, wie man das nennt, also es einfach laufen zu lassen."

Keinen Zugang zu Tampons

"Ich rannte mit dem Blut, das meine Beine hinunterlief, für meine Schwestern, die keinen Zugang zu Tampons haben. Für Schwestern, die ihre Periode trotz Krämpfen und Schmerzen verstecken und so tun, als ob sie nicht existiere."
Theresa Lehmann: "Und das wurde von den Medien megaskandalisiert auch und es gibt ganz viele Bilder wo sie in ihrem Laufdress im Ziel einläuft und man halt die Blutflecken sieht, und dann wurde das zu so einer Aktion eigentlich stilisiert, und jetzt setzt sie sich auch weiter dafür ein. Also sie hat da auch einen Nerv getroffen. Und ich glaube, dass ist ihr vielleicht auch erst in der Situation bewusst geworden."
Auch Ina Jurga von WASH United schätzt die Marathon-Läuferin:
"Ja, Kiran Gandhi finde ich toll! Ich habe sie dieses Jahr auch auf einer Konferenz kennengelernt. Ich weiß nicht, ob sie eine Gallionsfigur ist, aber sie ist auf jeden Fall sehr inspirierend für viele. Was toll ist, dass dieses Thema so einen Aufschwung erfährt, period positive movement, wie man das auch so schön nennt – die Scham und die Tabuisierung existiert eigentlich global. Auch dass Mädchen sich unwohl fühlen, in die Schule zu gehen, das kenne ich auch von meiner Schulzeit damals. Also so eine grundnegative Einstellung ist eigentlich überall gegeben und deswegen finde ich es wichtig, das auch als globales Thema zu sehen.
"Madame Gandhi, wenn Sie rumrennen und bluten, schaffen Sie kein Bewusstsein für irgendwas. Sie sehen einfach nur ekelhaft aus."
Eine empörte Reaktion auf Twitter.
Ina Jurga: "Wenn eine arme Frau oder Mädchen, das ist egal, ob sie jetzt in Indien oder Afrika ist, sich die Produkte nicht leisten kann, weil sie zu teuer sind, dann benutzen die Mädchen oder Frauen alternative - 'Absorbants' nennt man das - alternative Produkte, um das Blut aufzufangen. Typisches Produkt sind Stoffe, die von einem Sari kommen oder von einem afrikanischen Stoff. Das wird gefaltet und dann meistens auch gewaschen wiederverwertet; es gibt auch Möglichkeiten, Watte oder Toilettenpapier, weniger weit verbreitet, und dann in ganz extremen Fällen, in Studien wurde das erforscht, benutzen Frauen oder Mädchen auch wirklich alte Socken oder Blätter oder alles, was irgendwie aufsaugt. Und diese Materialien sind extrem unhygienisch oder sorgen dann auch für gesundheitliche Schwierigkeiten."
An einer indischen Universität beklebten Studentinnen die Wände mit Binden, die mit Frauenrechtsparolen beschrieben waren. Als ein Hindu-Priester ankündigte, er werde vor Tempeln Scanner aufstellen lassen, um unreine, menstruierende Frauen vom Tempel-Besuch abzuhalten, riefen indische Internet-Nutzerinnen zu einer Gegenkampagne auf.
Ina Jurga: "Meine schönste Erfahrung war, als ich mit Mädchen in Bangladesch gearbeitet habe. Wir hatten da mehrere Trainingssessions und danach hat man wirklich gesehen: Die waren so offen, so neugierig, so selbstbewusst! Wir sind mit denen zu den Müttern gegangen und die haben ihren Müttern davon erzählt, was sie gelernt haben und auch die Mütter waren so dankbar und sagten, jetzt wissen wir über unsere Töchter, wie man das besser macht, wie man die Stoffe besser wäscht. Und das war so wichtig, dass sie sagten: Wir wollen auch moderner sein und wir schätzen das so sehr, was wir bekommen haben - das war toll."
Ina Jurga: "Allen Menschenrechten liegt die Würde des Menschen zugrunde, und diese Würde, die jeder Mensch haben sollte, das ist einfach die grundlegende Sache – und gilt auch dann für die Menstruation und die Periode."
Mehr zur Kulturgeschichte der Menstruation