Neues von der Grande Dame des argentinischen Liedes
Mercedes Sosa galt als die Stimme Lateinamerikas und hat mit ihrem Tod vor sechs Jahren eine riesige Lücke in der argentinischen Musikszene hinterlassen. Nun erscheint posthum "Lucerito", ein Album mit teilweise unveröffentlichten Songs.
Im flotten Rhythmus einer Chacarera, einem der beliebtesten Folklorestile und -tänze Argentiniens, wird all jener gedacht, die im sozialen, im ökonomischen Abseits sind. "El Olivado – der Vergessene" eine vor allem in Mercedes Sosas Interpretation bekannt gewordene Komposition von Duende Garnica, einem jüngeren, im Norden des Landes verankerten Barden. Die Sängerin vermag es, diese – wie jedes der von ihr ausgewählten Weisen – mit eigenem Leben zu füllen und zu berühren.
"Nach innen gehen, ganz in sich gehen. Und dann an das denken, was ich gerade singe, wie das Lied ist, das ich singe. Die Personen vor sich sehen, die ich besinge. Ich begebe mich komplett dorthin. Wenn ich etwas nicht kenne, muss ich es mir vorstellen. Und von dem aus singe ich, vom Kopf aus – er ist es, der den Künstlern alles sagt, was zu tun ist. Ich mag es nicht, über etwas zu singen, das ich nicht fühle. Wenn ich das täte, wie kann ich dann zu einer Vorstellungskraft gelangen, wie mir etwas vorstellen können, das ich nicht fühle? Ich kann sagen, dass ich ein großes Glücksgefühl verspüre so wunderschöne Lieder zu singen - nur mit Gitarre und mir - nichts weiter. Gerade das ist viel schwieriger."
Diese essenzielle Allianz aus Gesang und Gitarre, DEM Instrument der argentinischen Musik, suchte Mercedes Sosa immer wieder. In ihrer fast ein halbes Jahrhundert währenden Laufbahn umgab sie sich mit den besten Gitarristen. Auch bei der nun veröffentlichten Sammlung jener im Jahr 2000 erstmals und teils auch einmalig aufgenommenen 14 Songs war mit Nicolás Brizuela ein Saitenvirtuose am Werk. Er stand Sosa auch als Arrangeur und musikalischer Direktor mehr als 20 Jahre zur Seite.
Etliche Stücke auf "Lucerito" haben poppige oder jazzige Anklänge
Die an drei intensiven Studiotagen im Jahr 2000 entstandene Aufnahme fand seinerzeit bei keiner Plattenfirma Interesse. Zum Leidwesen der sonst so unerschrocken-kämpferischen Mercedes Sosa, wie sich ihr Sohn und Nachlassverwalter Fabián Matus erinnert. Jene Ignoranz vermochte sich wohl auch keiner der beteiligten Musiker zu erklären. Alles exzellente Instrumentalisten und wie zum Beispiel der interessante Akzente setzende Tastenmannn Popi Spatocco, gut eingespielte, langjährige Begleiter der Sängerin. Sosa hatte im selben Jahr ihre emblematische "Misa Criolla" veröffentlicht und ihren Vertrag beim Label Universal beendet.
Rockiges Schlagzeug, Synthesizer und traditionelle Charango-Gitarre kommen in Einklang im CD-Titel gebenden Lied "Lucerito" – zu Deutsch: kleiner Stern. Trotz folkloristischer Anbindung haben etliche Stücke poppige, teils auch jazzige Anklänge. Schließlich begab sich Mercedes Sosa damals mit ihrem neuen Liedrepertoire auch in ein bei Rockmusikern und Singer-Songwritern beliebtes, legendäres Studio in Buenos Aires und unter die Fittiche von Jorge "Portugués" Da Silva, einem der versiertesten argentinischen Soundingenieure:
"Die Folklore erneuert sich ständig, es gibt junge Leute, die derzeit wundervoll komponieren, wirklich toll! Und sie verdienen nicht damit, weil sie niemand promotet, weil sie niemand ins Radio bringt. Sie sind ernsthaft wie einst zum Beispiel Atahualpa, all die Leute. Und genau wegen dieser Ernsthaftigkeit wird ihr Werdegang auch mehr Zeit brauchen. Diese ohnehin lange und keinesfalls kurze Laufbahn."
Und das Tun der nachfolgenden Musikergenerationen hat die Grande Dame des argentinischen, des lateinamerikanischen Liedes stets verfolgt. Sie arbeitete mit den Jüngeren zusammen, interpretierte gerne deren Stücke, wie auch auf "Lucerito" zu hören. Sie haben von Mercedes Sosa den Staffelstab übernommen, werden ihr Werk mit viel Respekt und Liebe auf eigene Art weiterführen.