Kybernetikerin statt "Kompromissmaschine"
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Mehr als 100 EU-Gipfel hat Bundeskanzlerin Merkel in 16 Jahren mitgestaltet. Sie habe dabei gezeigt, wie meisterhaft sie ihr Gegenüber einschätzen könne, sagt Ines Geipel. Doch die Erwartungen an Merkel bezeichnet die Autorin als maßlos.
Bei ihrem mutmaßlich letzten EU-Gipfel in dieser Woche hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Standing Ovations bekommen – und ein etwas seltsam klingendes Kompliment des luxemburgischen Premiers Xavier Bettel. Er bezeichnete Merkel als "Kompromissmaschine", die Vorschläge gemacht habe, wenn es oft nicht weiterging.
Das Wort Maschine findet die Schriftstellerin Ines Geipel merkwürdig und "sehr hart". Merkel habe in dem "hoch entzündlichen Europa" vielmehr dank ihrer Fähigkeit zu denken, über den Intellekt, Lösungen für Konflikte gefunden: "Ich habe sie immer ein bisschen als Kybernetikerin verstanden", sagt Geipel.
Die Kanzlerin habe es zu einer Meisterschaft darin gebracht zu schauen, wohin das "feindliche Geschoss" gehe. Das Prinzip beschreibt die Professorin für Verskunst so: "Wie operiert das Gegenüber und was kann ich tun, um auch einmal zur Seite zu gehen, das Stöckchen, das mir da hingelegt wird, auch mal liegenzulassen."
Merkel habe über die vielen Jahre auch "massiv Kontrahenten" gehabt und "wahnsinnig viel Kritik" einstecken müssen, gibt Geipel zu bedenken. Aus ihrer Sicht ist es nicht verwunderlich, dass es auch Unzufriedenheiten gibt:
"Bei einer so großen Politikerin mit einer so langen politischen Karriere liegt es auf der Hand, dass da Dinge auch liegenbleiben. Dass jede Größe auch einen Schatten wirft, glaube ich, das ist klar."
Vorwürfe, Merkel habe gerade im Umgang mit Staaten wie Ungarn und Polen nicht rechtzeitig rote Linien gezogen, weist Geipel zurück: "Es ist maßlos zu glauben, dass eine einzige Person die ganze Europapolitik machen kann. Da haben sich ja auch einige ziemlich versteckt." Über die Zeit hin werde sichtbarer werden, was Merkels wirklich große politische Leistung sei.