Merkels Hinterland

Von Almuth Knigge |
Der Wahlkreis 15 (Stralsund - Nordvorpommern - Rügen) ist eine Region voller Gegensätze und auf Rügen hat eine PDS-Landrätin das Sagen. Aus dem Wahlkreis kommt der verbissendste Widerstand gegen die Verwaltungsreform des Landes. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Wanderungsverlust enorm. Und der CDU-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern? Er gilt als zerstritten und hofft nun auf neuen Rückenwind. Die Spaltung des Landesverbandes soll bald überwunden werden, der Machtwechsel in Schwerin wird thematisiert.
Trinwillershagen, Nordvorpommern, kurz vor Stralsund, Anfang Juni. Zu DDR-Zeiten war das der Ort des berühmten Fußballclubs Rotes Banner Trinwillershagen – das Lieblingsdorf von Walter Ulbricht - mit Vorzeige-LPG und Kulturhaus – heute – ein ziemlich verlassenes Dorf im Nirgendwo. Nun also großer Bahnhof für die Kandidatin. Drei Fernsehteams und unzählige Fans warten auf Angela Merkel – die - in rotem Jackett - Hände schüttelt und - lächelt. Heimspiel – Seit Jahren holt die CDU-Bundesvorsitzende hier, in ihrem Wahlkreis, das Direktmandat – zuletzt mit über 40 Prozent der Stimmen. Nur 1998 war es mal knapp Trotzdem, das Procedere will es so – die Kandidatin muss sich bewerben, vorstellen und Rede und Antwort stehen.

Merkel: "Ich bin am 17. Juli 1954 in Hamburg geboren, ich bin in der Uckermark aufgewachsen, ich habe Physik dann studiert in Leipzig und später an der Akademie der Wissenschaften in Berlin gearbeitet. Ich habe während der Wendezeit bin ich Mitglied des demokratischen Aufbruch geworden und habe mich dann entschlossen auch längerfristig wie man sieht in die Politik zu gehen. "

Es folgt ein Parforceritt durch die politische Karriere - stellvertretende Regierungssprecherin, Ministerin für Frauen und Jugend, für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Generalsekretärin und seit 2000 CDU-Parteivorsitzende. Die Weiterentwicklung und Mehrheitsfähigkeit der Christlich-Demokratischen- Union – das sei ihr Streben. Das wissen natürlich alle – aber es ist immer wieder ein großer Spaß – und eine Seltenheit, wenn die Kandidatin "privates" preisgibt.

Merkel: "Meine Hobbys treten zeitweise sehr in den Hintergrund aber ich lese sehr gerne, höre sehr gerne Musik und freue mich eigentlich auch an der Gartenarbeit obwohl wegen mangelnder Pflege nicht alles so gut gelingt wie es sein könnte. Bestimmte Pflanzensorten kann ich gar nicht anbauen, Gurken zum Beispiel, die auf regelmäßige Wasserzufuhr angewiesen sind, habe ich inzwischen aufgegeben, dass ich so was anbaue, bin verheiratet mit einem Chemiker, Joachim Sauer. "

Der CDU-Kreisvorsitzende von Nordvorpommern, Gastgeber des Abends, treibt die Tagesordnung voran. Draußen am Spieß drehen sich Wildschweine.

"Ich darf aufrufen den Tagesordnungspunkt 6, Aussprache, wünscht jemand das Wort? "
Keiner – das Programm ist klar

"Dann schließe ich diesen Tagesordnungspunkt. ich rufe dann auf den Tagesordnungspunkt 7: Wahl eines Bewerbers für ein Direktmandat im deutschen Bundestag. "

Jeder weiß, um was es geht. Jeder weiß, wie die Wahl ausgeht. Bei ihrer ersten Nominierung musste sich Angela Merkel noch in einer Stichwahl durchsetzen.

Merkel: "Und ich weiß noch, als ich mit einstündiger Verspätung wegen der damals noch schlechten Verkehrsverbindung endlich zum Vorstellungsgespräch nach Grimmen kam, da waren die versammelten Honoratioren der Grimmener CDU gerade auf dem Weg, das Haus zu verlassen und sind dann aber dankenswerterweise - ich war stellvertretende Regierungssprecherin – noch mal wieder umgekehrt, wir haben uns rein bewegt und ich wurde dann einem relativ strengen Verhör unterzogen, ich fand Ja, das im Grunde darin gipfelte, das ich sagen sollte, bei welcher Bodenwertzahl man Zuckerrüben anbauen kann oder nicht und als ich das nicht wie aus der Pistole geschossen beantwortete, sondern immer davon sprach, dass in der Uckermark die Böden eigentlich auch recht sandig seien und ich glaubte schon ich verstünde was von ländlichen Räumen - man mir ernsthaft ein kleines Broschürchen in die Hand gab, und sagte, bis Übermorgen bis zur Nominierung, arbeiten sie sich bitte noch mal anständig ein. "

Die älteren Herren im Saal - und das ist die Mehrheit - erinnern sich und schmunzeln. Für sie ist die Parteichefin irgendwie immer noch - das "Mädchen". Und sie sind stolz auf sie – schließlich haben sie ihr quasi den Weg in die große Politik geebnet. Deshalb sind die Erwartungen an Angela Merkel, das politische Ruder kräftig rumzureißen, enorm. Auf Bundesebene – und ein Jahr später dann – soll auch auf Landesebene der Machtwechsel geschafft werden.

Merkel: "Und liebe Freunde ich glaub, wir sind uns einig, mit Jürgen Seidel müssen wir mit Mecklenburg-Vorpommern da nächstes Jahr auch nachziehen, damit wir im Norden hier nicht abfallen als Mecklenburg-Vorpommern. "

Nicht abfallen – nicht immer Schlusslicht sein. An diesem Abend sind alle einmal mehr überzeugt, dass sie es schafft. Und dass Mecklenburg-Vorpommern - und vor allem ihr Wahlkreis - davon profitieren wird.

Fan: "Ja, also das hoffen eigentlich alle, und da es ihr Wahlkreis ist, jeder Mensch ist irgendwo subjektiv, denke ich wird sie das auch sein. "

Schließlich hat Angela Merkel es geschafft, in den letzten 15 Jahren auch die bundespolitische Aufmerksamkeit auf den Nordosten zu lenken. Fast jedes Mitglied des Kabinetts von Helmut Kohl hat sie in ihrer Zeit als Ministerin zu einem Besuch in ihrem Wahlkreis beinahe genötigt, so erzählt man sich. Und als es schlecht um die Volkswerft in Stralsund stand, weil die Chefs der Bremer Vulkan-Werft die Privatisierungs-Millionen aus dem Osten illegal an die Weser schafften, hat sie an der Seite der Werftarbeiter vor dem Werktor gestanden und deren Rückgabe gefordert. Und auch der CDU-Bürgermeister von Stralsund, Hansestadt, Harald Lastovska erinnert sich, dass es bei den wichtigen Infrastrukturprojekten wie die Küstenautobahn oder die zweite Sundquerung nach Rügen sehr hilfreich gewesen ist, Angela Merkel an seiner Seite zu haben.

Lastovska: "Die A 20 ist Wirklichkeit, die Brücke wird gebaut und ohne unsere Ministerin, ohne Angela Merkel bin ich mir sicher, wäre das nie geworden. "

Es ist der Abend der Erinnerung, ein Abend, an dem man in Erfolgen schwelgt. Angela Merkel fühlt sich sichtlich wohl.

"Also, es war spannend und es ist spannend in diesem Wahlkreis und es ist inzwischen natürlich unendlich viel passiert und wenn man heute die doch immer weiter zusammenwachsenden Stücke der A20 sich anschaut, dann haben wir uns eben noch mal dran erinnert, dass die PDS, und das darf man nie vergessen, bis 1994 noch Wahlkampf gegen die A20 gemacht hat. "

Und diese PDS-Politiker stehen jetzt in der ersten Reihe, wenn wieder ein neues Stück der Autobahn eröffnet wird. Das wurmt die Kanzlerkandidatin, das sieht man ihr an. Und wenn dann im Dezember das letzte Teilstück freigegeben wird, dann will sie als Bundeskanzlerin die Eröffnung höchstpersönlich vornehmen. Hier in Trinwillershagen scheint das beschlossene Sache – hier wird Merkel gefeiert, als sei sie schon Kanzlerin.

Fan: "Die war einmalig gut, sie war überzeugend und in ihrer Sprache sehr verständlich und nah bei den Menschen. "

Fan: "Ja, wie war sie - wir haben sehr große Erwartungen an sie und alles in allem ist sie in ihren Reden doch immer sehr mitreißend und bringt die Sache auf den Punkt. Und insbesondere ist es hoch anzuerkennen, dass sie bei allem was sie sagt immer die Probleme der Menschen mit anspricht. "

Fan: "Ich mein ich kenne sie sehr persönlich, ich war auch schon mal bei einer Bürgersprechstunde und ich bin sehr zufrieden mit ihr auch als Mensch und ich sage mir immer, sie kann die Politik machen bloß sie muss auch zweiseitig sehen, das was sie wirklich will und das was sie auch möchte gegenüber den Menschen. Und sie vergisst auch nicht die Menschen hinter diesen Sachen, vergisst es nie. "

Stralsund, Weltkulturerbestadt, hier mitten in der Fußgängerzone, in einem alten Giebelhaus, hat Angela Merkel ihr Wahlkreisbüro.

Merkel: "Eines der Markenzeichen, wenn ich das mal so etwas vermessen sagen darf, meiner Arbeit als Bundestagsabgeordnete ist, dass ich trotz verschiedener Aufgaben immer versucht habe, regelmäßig Bürgersprechstunden in Stralsund zu machen. "

Ein 40 mal 30 cm großes Messingschild mit ihrem Namen gibt den Hinweis. Wenn es nicht gerade geklaut ist. Das Schild ist bereits das vierte.

Es ist Dienstagnachmittag – 15 Uhr – und keiner ist da.

"Da kann ich keine Auskunft gegen, das weiß ich nicht wann sie da ist und wie das Büro genau besetzt ist weiß ich auch nicht. "

Die Geschäftsleute links und rechts sind sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, über die prominente Nachbarin zu plaudern. Auch die Frau aus dem Zeitungsladen hat vergessen, welche Zeitungen Frau Merkel bei ihr kauft.

"Ich seh´ bloß immer die Urlauber, die sagen, och hier wohnt ja Frau Dr. Merkel, oder och das Haus gehört ihr wohl, das sind so amüsante Sachen. Wir kriegen mit, wenn hier die Leibwächter umherlaufen, ne, dann wissen wir, sie ist da, aber sonst. "

Sonst – hat sie aufgegeben, einen Termin bei Frau Dr. Merkel zu bekommen. Ein paar Mal hat sie es schon versucht – aber bis jetzt hat es noch nicht geklappt. Die Euphorie der Merkelschen Parteigenossen, die Hoffnung auf einen Aufschwung vor allem für Mecklenburg-Vorpommern, wird hier, in ihrem Wahlkreis, nicht uneingeschränkt geteilt.

"Also ich seh das genau gegenteilig muss ich sagen ich seh wenn sie wirklich Bundeskanzlerin ist, dann muss sie sich um die Bundesrepublik kümmern und sie muss sich auch gegen die Männerwelt in ihrer Partei in den anderen Regionen ziemlich mächtig zeigen und sie kann da nicht sagen also weil ich aus Mecklenburg-Vorpommern komm, also da mach ich dann besonders viel in Mecklenburg-Vorpommern, also das glaub ich nicht. "

Angela Merkel liegt in Mecklenburg-Vorpommern in der Beliebtheitsskala immer noch hinter Gerhard Schröder zurück.

"Also ich verknüpf damit keine Hoffnungen - im Moment bin ich mit keiner Partei einverstanden muss ich mal so sagen. "

Dabei ist Stralsund seit der Wende fest in CDU-Hand, genauso wie die benachbarten Wahlkreise Greifswald und die Landkreise in Vorpommern. Der Kreisverband Nordvorpommern ist mit 930 Mitgliedern der mitgliederstärkste in Mecklenburg- Vorpommern. Und auch der Konservativste. In der Kreisstadt Grimmen gründete sich unlängst – ohne Wissen des Landesvorstands, der so genannte Grimmener Kreis, der Zitat "konservativ-soziale Werte offensiver vertreten will." Ein Indiz dafür, dass die CDU im Land, seit Angela Merkel ihren Vorsitz im Jahr 2000 an den mittlerweile abgelösten Eckard Rehberg abgegeben hat, heftig zerstritten ist. Neuer Landeschef ist Jürgen Seidel – dass der sich nach langem Zögern an die Spitze der CDU hat wählen lassen, daran hat Angela Merkel nicht unerheblichen Anteil. Denn - ein Resultat aus den innerparteilichen Querelen ist: Mitten im CDU-Land hat eine PDS-Politikerin bei der Wahl zur Landrätin das Rennen gemacht. Kerstin Kassner profitierte davon, das wird unumwunden zugegeben, dass die CDU zu zerstritten war, um gemeinsam einen Kandidaten durchzubringen. Die findet überraschend lobende Worte für die Kanzlerkandidatin der Union.

"Ja also Frau Merkel ist wirklich gerade die ersten Jahre unwahrscheinlich aktiv gewesen. Also da hat sie viele Möglichkeiten gehabt und vielleicht auch noch mehr Zeit als sie damals nur Ministerin gewesen ist und hat sich wirklich um viele Belange gekümmert. Also bei mir kommen immer noch Bürger, die bringen Briefe von ihr mit und erzählen was sie für sie getan hat, also da hat sie sich auch wirklich einen Bonus bei den Bürgern erarbeitet. "

In Trinwillershagen – in dem Kulturhaus mit dem Charme der 70 er Jahre - wird über die Politik von morgen gesprochen. Wie man zum Beispiel trotz einer restriktiven Umweltpolitik Pensionen, Hotels und Sportboothäfen bauen kann – um den Tourismus zu entwickeln. Der Bürgermeister von Ribnitz-Damgarten, Jürgen Borbe, hat die Gelegenheit ergriffen und der Parteichefin sein Problem erklärt. In Ribnitz soll ein Sportboothafen gebaut werden. Das geht aber nicht, weil alles Naturschutzgebiet ist.

"Industrie bekommen wir hier nicht her aber das Land ist sehr schön, wir haben die Ostsee, da läuft der Tourismus gut und Ribnitz-Damgarten liegt aber am Bodden, der ist etwas hinter der Ostsee und wenn alles unter Naturschutz gestellt wird und wir keine Möglichkeit haben Ferienhäuser, Pensionen zu bauen, Marinas zu entwickeln, dann hilft uns die schöne Natur nicht, nur vom Anschauen der Natur werden wir nicht satt - und da haben wir zu viele Restriktionen, wir haben ein großes ehemaliges russisches Militärgelände, da soll etwas passieren und da ist jetzt überall FFH davor. "

Bei dem Thema stößt er bei Merkel auf offene Ohren. Naturschutz hin oder her. Ihr Wahlprogramm heißt "Vorfahrt für Arbeit". EU-Richtlinie sollen nur noch eins zu eins umgesetzt – und nicht von Bund und Ländern noch einmal verschärft werden.

Ribnitz-Damgarten gehört erst seit kurzem zum Merkelschen Wahlkreis 15 – die Bundestagswahkreise wurden im Frühjahr neu zugeschnitten – wegen Bevölkerungsverschiebungen, wie es im 16. Gesetz zu Änderung des Bundeswahlgesetzes heißt. Sprich: In manchen Wahlkreisen, wie in Mecklenburg-Vorpommern, wohnten einfach zu wenig Menschen. Deshalb hat die rot-rote Landesregierung eine umfassende Verwaltungsreform angeschoben, die gerade in der politischen Heimat von Angela Merkel das kommunalpolitische Thema Nr 1 ist. Ein Muss für Merkel, dazu Stellung zu nehmen.

"Und wenn man sich allein nur anschaut, was da jetzt an Vorschlägen für die Kreisgebietsreform gemacht wird, der Zukunft, da kann ich nur sagen, das hat alles nur mit Zentralismus zu tun, aber das hat nichts damit zu tun, eine Politik nah am Menschen zu machen. Mir muss mal einer erklären, warum ausgerechnet in dem dünn besiedeltsten Land der Bundesrepublik Deutschland die größten Landkreise der Bundesrepublik Deutschland existieren müssen. "

Eben weil das Land am stärksten von allen Bundesländern unter einem Bevölkerungsschwund leidet – und sich diese Form der Verwaltung mittel- und langfristig nicht leisten kann. Auch die CDU-Basis weiß, dass an der Reform kein Weg vorbei geht.

"Da bin ich etwas anderer Meinung als sie, man kann es, in einem Flächenland muss man auch ne Verwaltungsreform durchsetzen, man kann nicht sagen, hier wohnen weniger Menschen und das ist ein Flächenland und aus diesem Grunde müssen mehr Kreise sein, ich bin eigentlich für Straffung der Verwaltung, einfach eben zu Zeiten wo überall gespart werden muss, muss da auch am meisten gespart werden, in der Verwaltung. "

Mittlerweile sind im Saal die Stimmen ausgezählt. Weil Angela Merkel so lange geredet hat, wird die Stimmung langsam unruhig – das Wildschwein brutzelt langsam vor sich hin. Mit einer Nein Stimme – 99, 51 Prozent der Stimmen, votieren die Delegierten für ihre Kandidatin – größeren Zuspruch hatte sie noch nie.

"Jetzt müssen wir auch noch entsprechend dem Protokoll die Frage stellen: Parteifreundin Frau Dr. Angela Merkel: Nehmen Sie die Wahl an? Ja, ich nehme die Wahl an und ich möchte (Applaus) und ich möchte mich ganz herzlich für das überwältigende Vertrauen bedanken. "

Applaus – jetzt werden Geschenke übergeben. Ein Präsentkorb – damit sich die Kandidatin mit Rostocker Knackwürsten und Greifswalder Honig für den harten Wahlkampf stärken kann – und ein Leuchtturm – damit sie sicher in den Hafen der Kanzlerschaft einfahren kann. Die Identität mit dem Nordosten wird mit jeder Geste beschworen.

Hände schütteln hier – ein aufmunterndes Wort da – Angela Merkel feiert noch lange mit den Parteifreunden - bei Wildschwein am Spieß und Salatbuffet.