Merkels Spiel mit der Verfassung
Die Bundesregierung hat bei den Verhandlungen über den Euro-Rettungsschirm das Parlament nicht ausreichend informiert, warnten zuletzt die Verfassungsrichter. Der Alleingang von Bundeskanzlerin Angela Merkel ist allerdings kein Einzelfall, meint der Publizist Stephan Hebel.
Was hat das Wahlrecht mit der Euro-Rettung gemeinsam? Und mit den Sozialleistungen für Asylbewerber? Und den Regelsätzen für Hartz-IV-Empfänger?
Über all diese Themen musste in dieser Wahlperiode das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Bei allen war auch vor dem Karlsruher Urteil mehr oder weniger klar: Die Regierung hatte gegen das Grundgesetz verstoßen. Und bei allen hatte Angela Merkel die Verfassungswidrigkeit so konsequent ignoriert, dass es schwer fiele, ihr keine Absicht zu unterstellen.
Der Euro ist also das spektakulärste, aber nicht das einzige Beispiel für eine Strategie der Kanzlerin, die die Standhaftigkeit der Karlsruher Richter konsequent zu testen versucht. Und damit auch die Dehnbarkeit der Verfassung, auf die sie geschworen hat.
Natürlich ist es schwer, die europäischen Entscheidungsprozesse in der Finanzkrise mit angemessener Rücksicht auf das Haushaltsrecht des Bundestages zu verbinden. Aber wer wirklich überzeugt wäre von diesem zentralen Bestandteil der parlamentarischen Demokratie; wer wenigstens ein Minimum an Ehrfurcht vor denen hätte, die das Haushaltsrecht vor 200 Jahren mühsam erkämpften; wer also den Eid einer Kanzlerin wirklich ernst nähme, hätte dem Bundestag so viel Information und Mitsprache eingeräumt wie nur möglich - und nicht so wenig, wie er nur kann.
Das Verfassungsgericht hat der Regierung Merkel nun schon mehrfach detailliert erläutert, welche Pflichten sie gegenüber ihren Volksvertretern hat. Am 12. September, wenn die vorläufige Entscheidung zum europäischen Rettungsschirm fällt, wird es nicht anders sein.
Und niemand sollte so naiv sein zu glauben, dass diese wiederholte Notwendigkeit höchstrichterlicher Korrektur ein Zufall sei - oder wenigstens Teil einer ganz normalen, allseits gutwilligen Auseinandersetzung unter unseren Verfassungsorganen. Merkel spricht es nicht so ungeschickt deutlich aus wie der Italiener Mario Monti, aber auch sie setzt mehr auf die Freiheit der Exekutive und weniger auf die Rechte des Parlaments.
Also auf das, was die Publizistin Gertrud Höhler "eine leise Variante autoritärer Machtentfaltung" nennt.
Das höchste Gericht beschäftigt die Kanzlerin offensichtlich in der Hoffnung, Karlsruhe würde irgendwann die Nerven verlieren und die eine oder andere demokratische Bastion zum Vorteil der Regierung räumen. Sie behandelt unsere höchste Instanz, den wichtigsten Wächter der Verfassung, wie einen lästigen innerparteilichen Konkurrenten, den man nur lange genug mürbe machen muss.
Wer es nicht glaubt, mag sich das Beispiel Wahlrecht ansehen. Zweimal entwarf die schwarz-gelbe Koalition Gesetze, die vor allem Merkels CDU eklatant bevorzugt hätten. Zweimal sagten ihr fast alle Juristen, dass die Entwürfe gegen das Grundgesetz verstoßen. Zweimal legte sie es darauf an zu testen, ob Karlsruhe nicht wenigstens ein Restchen übrig lässt von der Selbstbedienung an Wählerstimmen.
Nicht anders war es bei der Höhe der Hartz-IV-Sätze, wo Schwarz-Gelb es zunächst bei der von Rot-Grün eingeführten Willkür der Berechnung beließ, allen Warnungen zum Trotz. Nicht anders bei den Leistungen für Asylbewerber, wo die Politik ebenfalls so lange parteiübergreifend sparte, bis das Gericht sie daran erinnerte, dass im demokratischen Deutschland die Menschenwürde für alle gilt.
Dass die Kanzlerin auf diese Weise systematisch die Demokratie untergräbt, spricht sich offenbar nun auch bei einigen ihrer Parteifreunde herum. Eine Gruppe von Abgeordneten hat gefordert, gleichgeschlechtlichen Paaren neben den gleichen Pflichten wie Eheleuten auch die gleichen Rechte zuzusprechen, etwa bei der Steuer.
Die Begründung enthielt eine klare Warnung vor der Fortsetzung Merkelscher Verfassungs-Ignoranz: Dieses Mal, so hieß es, könne man ja handeln, bevor das Gericht einen zwingt.
Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig.
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Über all diese Themen musste in dieser Wahlperiode das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Bei allen war auch vor dem Karlsruher Urteil mehr oder weniger klar: Die Regierung hatte gegen das Grundgesetz verstoßen. Und bei allen hatte Angela Merkel die Verfassungswidrigkeit so konsequent ignoriert, dass es schwer fiele, ihr keine Absicht zu unterstellen.
Der Euro ist also das spektakulärste, aber nicht das einzige Beispiel für eine Strategie der Kanzlerin, die die Standhaftigkeit der Karlsruher Richter konsequent zu testen versucht. Und damit auch die Dehnbarkeit der Verfassung, auf die sie geschworen hat.
Natürlich ist es schwer, die europäischen Entscheidungsprozesse in der Finanzkrise mit angemessener Rücksicht auf das Haushaltsrecht des Bundestages zu verbinden. Aber wer wirklich überzeugt wäre von diesem zentralen Bestandteil der parlamentarischen Demokratie; wer wenigstens ein Minimum an Ehrfurcht vor denen hätte, die das Haushaltsrecht vor 200 Jahren mühsam erkämpften; wer also den Eid einer Kanzlerin wirklich ernst nähme, hätte dem Bundestag so viel Information und Mitsprache eingeräumt wie nur möglich - und nicht so wenig, wie er nur kann.
Das Verfassungsgericht hat der Regierung Merkel nun schon mehrfach detailliert erläutert, welche Pflichten sie gegenüber ihren Volksvertretern hat. Am 12. September, wenn die vorläufige Entscheidung zum europäischen Rettungsschirm fällt, wird es nicht anders sein.
Und niemand sollte so naiv sein zu glauben, dass diese wiederholte Notwendigkeit höchstrichterlicher Korrektur ein Zufall sei - oder wenigstens Teil einer ganz normalen, allseits gutwilligen Auseinandersetzung unter unseren Verfassungsorganen. Merkel spricht es nicht so ungeschickt deutlich aus wie der Italiener Mario Monti, aber auch sie setzt mehr auf die Freiheit der Exekutive und weniger auf die Rechte des Parlaments.
Also auf das, was die Publizistin Gertrud Höhler "eine leise Variante autoritärer Machtentfaltung" nennt.
Das höchste Gericht beschäftigt die Kanzlerin offensichtlich in der Hoffnung, Karlsruhe würde irgendwann die Nerven verlieren und die eine oder andere demokratische Bastion zum Vorteil der Regierung räumen. Sie behandelt unsere höchste Instanz, den wichtigsten Wächter der Verfassung, wie einen lästigen innerparteilichen Konkurrenten, den man nur lange genug mürbe machen muss.
Wer es nicht glaubt, mag sich das Beispiel Wahlrecht ansehen. Zweimal entwarf die schwarz-gelbe Koalition Gesetze, die vor allem Merkels CDU eklatant bevorzugt hätten. Zweimal sagten ihr fast alle Juristen, dass die Entwürfe gegen das Grundgesetz verstoßen. Zweimal legte sie es darauf an zu testen, ob Karlsruhe nicht wenigstens ein Restchen übrig lässt von der Selbstbedienung an Wählerstimmen.
Nicht anders war es bei der Höhe der Hartz-IV-Sätze, wo Schwarz-Gelb es zunächst bei der von Rot-Grün eingeführten Willkür der Berechnung beließ, allen Warnungen zum Trotz. Nicht anders bei den Leistungen für Asylbewerber, wo die Politik ebenfalls so lange parteiübergreifend sparte, bis das Gericht sie daran erinnerte, dass im demokratischen Deutschland die Menschenwürde für alle gilt.
Dass die Kanzlerin auf diese Weise systematisch die Demokratie untergräbt, spricht sich offenbar nun auch bei einigen ihrer Parteifreunde herum. Eine Gruppe von Abgeordneten hat gefordert, gleichgeschlechtlichen Paaren neben den gleichen Pflichten wie Eheleuten auch die gleichen Rechte zuzusprechen, etwa bei der Steuer.
Die Begründung enthielt eine klare Warnung vor der Fortsetzung Merkelscher Verfassungs-Ignoranz: Dieses Mal, so hieß es, könne man ja handeln, bevor das Gericht einen zwingt.
Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig.
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Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau