Juden, die Jesus nachfolgen
Die messianischen Juden sehen sich als Juden, doch Jesus Christus ist ihr Messias. Mit ihrem Glauben werden sie weder von christlicher noch von jüdischer Seite offiziell anerkannt. Was bedeutet Weihnachten für die rund 5000 messianischen Juden in Deutschland?
Juri Genis:"Ich mag diese Zeit sehr. Ganz andere Menschen, andere Musik, andere Augen, mehr so innere Freiheit, die Menschen einfach spazieren gehen und alles, was ich sehe rund um mich herum, bringt mir nur positive Gedanken und positive Gefühle. Und das finde ich für mich wie eine herrliche Zeit. Ich mag das einfach. Meine Seele nimmt das gern an."
Juri Genis spricht von der Weihnachtszeit. Seit er in den neunziger Jahren aus Moskau nach Deutschland gekommen ist, genießt er jedes Jahr die besondere Atmosphäre in diesen Tagen.
Es ist allerdings keine reine Stimmungssache für ihn. Er nimmt innerlich Anteil an der Geburt des Retters der Welt Jesus Christus, des Messias, wie ihn die Christen verstehen. Auch Juri glaubt an ihn als den Messias, aber er ist Jude wie der Ukrainer Andrei Ignatenko. Beide gehören zur Berliner Gemeinde Beit Schomer Jisrael, übersetzt etwa Haus des Behüters Israels. Andrei Ignatenko sagt:
Andrei Ignatenko: "Wir sind eine jüdisch-messianische Gemeinde und feiern jüdische Feste, und Weihnachten in der Gemeinde feiern wir nicht. Wie freuen uns über Geburt von Jesus, Jeschua, Messias. Wir kommen gern auch zu christlichen Gemeinden und feiern mit, weil diese Freude von seine Geburt überfüllt uns und unsere Herzen und da freuen wir uns auch mit unsere Geschwister aus christlichen Gemeinden."
Sie freuen sich über die Geburt des Messias, aber sie feiern nicht das Fest seiner Geburt.
Sie nennen Christen ihre Geschwister im Glauben, aber Gottesdienste, wie sie in den Kirchen üblich sind, gibt es bei ihnen nicht. Jüdische Christen sind sie demnach nicht. Sind sie christliche Juden? Die messianischen Juden, wie sie sich selbst nennen, sitzen irgendwie zwischen allen Stühlen. In Deutschland gibt es schätzungsweise 5000 von ihnen. Etwa zwei Drittel davon stammen aus der ehemaligen Sowjetunion, vor allem aus der Ukraine. Als sie Anfang der neunziger Jahre von dort kamen und ihre Gemeinden gründeten, stellten sie die Mehrheit. Damals lernte sie der Baptistenpfarrer Uwe Dammann kennen. Sie waren auf der Suche nach Räumen für ihre Gottesdienste und fragten deshalb bei ihm an.
Pfarrer Uwe Dammann: "Es stellte sich dann auch heraus, die konnten also noch gar nicht richtig Deutsch, die sprachen überwiegend Russisch. Und dann sagten sie, ja, für euch sind wir eben Russen, dabei waren es ja Ukrainer. Dann sagten sie, ja für die Ukrainer sind wir Juden, die wollen eigentlich mit Juden auch relativ wenig zu tun haben, für die Juden sind wir Abgefallene, weil wir an Jesus glauben und die Evangelischen wollen mit uns auch nichts zu tun haben, weil sie sonst Ärger mit der jüdischen Gemeinde kriegen. Also wo sollen wir hin? Mich erinnerte das irgendwie an die biblische Weihnachtsgeschichte, da stehen zwei Leute vor der Tür mit Jesus und keiner will sie haben."
Sie sehen sich als jüdische Jünger von Jesus
So nahm er sie eine Weile auf bis sie eigene Räume in Steglitz fanden. Was ihre Zeremonien mit Jesus zu tun haben, ist auf den ersten Blick kaum zu erkennen: Christliche Symbole wie ein Kreuz sind nicht zu sehen. Stattdessen gibt es einen Toraschrein wie in jeder Synagoge. Die Männer tragen die Kippa, manche auch den jüdischen Gebetsschal. Und gefeiert wird am Samstag, die Schabbatfeier.
Andrei Ignatenko: "Bei uns im Schabbat-Gottesdienst haben wir nichts Neues ausgedacht. Es gibt jüdische Liturgie. Wir haben jüdische Gebete, wir haben jüdische Torarollen, wir haben Toradienst. Das jüdische Volk hat das schon Jahrtausende praktiziert."
Schabbes, Schabbat, soll sein auf der ganzen Welt, singt die Gemeinde mit großer innerer Beteiligung. Und als die Torarolle durch die Reihen getragen wird, schwillt der Gesang an, wird geklatscht und getanzt. Woran ist nun die Bindung an den Messias zu erkennen, den die messianischen Juden Jeschua, nach der hebräischen Aussprache für Jesus, nennen?
Andrei Ignatenko: "Man findet in unseren Gebeten, in unseren Predigten, in unserem Lobpreis, man sieht unseren Glaube und hört das. Und da kommt der Name, derjenige, Messias Israel, Jeschua ha maschiach, an den wir glauben, natürlich selbstverständlich kommt das vor. Weil er ist der Licht dieser Welt, er ist Messias Israels."
Sein Name taucht gleich am Anfang im Segensgebet auf: Im Namen Jeschuas heißt es dort.
In der Predigt nach der Toraliturgie ist ausführlich von ihm die Rede, dem König und Retter Israels. Hier wird auch das Neue Testament der Christen zitiert und ausgelegt. Und im anschließenden Lobpreis werden Lieder zu seiner Verehrung gesungen.
Nach dem Lobpreis erzählen manche von Glaubenserlebnissen. Es geht um Erweckungen und Heilungen, die auf die Hilfe von Gebeten zurückgeführt werden. Diese Form der Frömmigkeit erinnert an die so genannter evangelikaler Christen. Ihnen fühlen sich die messianischen Juden verbunden. Beide gehen davon aus, dass jeder Mensch erst durch den Glauben an Jesus sein Heil erlangt. Heißt das nicht Judenmission? Die messianischen Juden meinen: Nein.
Sie wollen aus Juden keine Christen machen, nur jüdische Jünger, Juden, die an Jeschua als Messias glauben und Juden bleiben. Ihr Vorbild sehen sie in der Gemeinde der ersten Jesusjünger. Pfarrer Dammann kann das bestätigen:
Pfarrer Uwe Dammann: "Hochinteressant war, dass man plötzlich in allen Debatten sich auf einmal wieder fand, in Debatten der Apostelgeschichte, im Galaterbrief oder so, wo die jüdischen und frühen christlichen Menschen auf einmal in Konflikte gerieten, also wie ist das Gesetz zu halten und so weiter."
Sie feiern Chanukka und gedenken der Geburt des Messias
Pfarrer Dammann meint die Zeit, als die Jünger herausfinden mussten, was sie von ihrem alten jüdischen Leben trennt und worin sich zeigt, dass sie Jesus als den von ihnen erwarteten Messias ansehen. Die messianischen Juden lösen das Problem, indem sie jüdische Traditionen beibehalten und messianisch deuten. Sie feiern Chanukka und gedenken in dieser Zeit der Geburt des Messias Jeschua-Jesus. In der Schabbatfeier predigen sie auch über Texte des von den Christen so genannten Neuen Testaments, und einmal im Jahr wird am Sederabend das Abendmahl gereicht. So wird das Pessachfest mit dem christlichen Osterfest verbunden. Jesus habe auch die jüdischen Feste gefeiert, heißt es zur Begründung, und seine ersten Jünger hätten weiterhin jüdisch gelebt und gedacht. Die Christen, meinen die messianischen Juden, hätten sich zu weit von ihren jüdischen Wurzeln entfernt. Deshalb sagt Yulia Loeva:
Yulia Loeva: "Es gibt ganz viele christliche Gemeinden, die auch gleiche Vorstellung haben oder ähnliche Vorstellung. Für Juden ist es aber wichtig, dass sie sich quasi wie Zuhause fühlen. Dass sie, wenn sie ... gläubig sind, dass sie auch judische Tradition haben, judisches Leben, dass sie einfach mit Juden zusammen sind. Für Juden und vor allem für Juden, die noch nicht an Jeschua glauben, ist es einfacher, in so eine jüdisch messianischen Gemeinde zu kommen und überhaupt Ohren aufzumachen als in eine doch kulturell andere, normale, sag ich mal, christliche Gemeinde."
Etwa die Hälfte der Mitglieder der Gemeinde Beit Schomer Jisrael sind Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Die übrigen sind einstige Atheisten und Christen. Wer von den Juden seinen Glauben an Jeschua in der Gemeinde deutlich bekennen will, lässt sich taufen. Dabei spricht der messianische Rabbiner nicht ganz die Formel, wie sie in den Kirchen gesprochen wird: "Ich taufe Dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen."
In Anlehnung an den Schluss des Matthäusevangeliums, wo Christus seinen Jüngern die Taufe aufträgt, sagt er: "Deshalb geht und macht Menschen aus allen Völkern zu Talmidim – das ist die hebräische Übersetzung für Jünger - indem ihr sie eintaucht in die Wirklichkeit des Vaters, des Sohnes und des Ruach Ha Kodesch – wie der Heilige Geist auf Hebräisch heißt.
Juden auf diese Weise an Jeschua, den Messias zu binden, an den auch die Christen glauben, ist für messianische Juden keine Abkehr vom Jüdischsein. Das sehen viele Juden anders.
Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama nennt die messianischen Juden eine christliche Sekte. Und viele Christen deuten ihr Vorgehen als Judenmission, die sie ablehnen. Wladimir Pikman aber, der Leiter der Gemeinde Beit Schomer Jisrael, sieht die messianischen Juden als eine Art Brücke zwischen Juden und Christen. Und so werden sie weiter Chanukka feiern und dabei auch an die Geburt des Messias denken. Und sie werden mit befreundeten Christen zum Weihnachtsfest zusammen kommen und auch zu Gast in den Weihnachtsgottesdiensten in den Kirchen sein.