Roberto Simanowski ist Kultur- und Medienwissenschaftler und lebt nach Professuren an der Brown University in Providence, der Universität Basel und der City University of Hong Kong als Medienberater und Buchautor in Berlin und Rio de Janeiro. Zu seinen Veröffentlichungen zum Digitalisierungsprozess gehören „Facebook-Gesellschaft“ (Matthes & Seitz 2016) und „The Death Algorithm and Other Digital Dilemmas“ (MIT Press 2018).
Virtuelle Welten
Hinter der 3D-Brille schwitzend ins Metaverse? Das sei nur ein technisches und lösbares Problem, sagen die Freunde von Roberto Simanowski. © IMAGO / Westend61 / IMAGO / Eugenio Marongiu
Immobilienboom im Metaverse
Grundstücke, Konzertbesuche, Accessoires - das wird längst auch schon in der virtuellen Welt gehandelt. Das Metaverse ist die Zukunft, heißt es im Freundeskreis des Medienphilosophen Roberto Simanowski. Höchste Zeit für ihn, sich dort umzuschauen.
Neulich bei meinen Freunden. Sie schwärmen von einem Konzert mit der schwedischen Sängerin Zara Larsson auf der Videogames-Plattform Roblox. Sie kauften virtuelle Zara-Larsson-Sonnenbrillen für ihre Avatare und machten ein Selfie mit der Künstlerin, beziehungsweise ihrem Avatar, auf dem ihre eigenen Avatare schon die neue Sonnenbrille tragen.
Das virtuelle Konzert ist die Zukunft der Eventkultur, erfahre ich. Überhaupt sei das Metaverse die Zukunft. Sagen meine Freunde. Sie wollen sich ein Grundstück kaufen, auf Sandbox, einer anderen virtuellen Plattform, wo Ende 2021 jemand umgerechnet 450.000 US-Dollar für ein virtuelles Grundstück gezahlt hat, das neben dem virtuellen Grundstück des US-Rappers Snoop Dogg liegt.
Das sei inzwischen sicher eine halbe Million Wert, sagt sie. Ach was, eher 600.000, sagt er. Ich aber frage mich, ob die Zukunft gerade ohne mich stattfindet.
Code stinkt so wenig wie Geld
Klar, das Metaversum. So ungefähr weiß ich, wovon sie reden. Ist ja in aller Munde, seit Facebook sich im Oktober letzten Jahres in Meta umbenannte.
Dort also wollen meine Freunde Land kaufen und darauf ein Haus bauen. Kostet natürlich alles, so wie in der wirklichen Welt auch, nur dass in der virtuellen nichts nach Mörtel riecht, weil nichts auf Stein gebaut ist. Alles Code, und der stinkt so wenig wie Geld.
Wer in seinem virtuellen Haus auf seinem virtuellen Grundstück mehr als eine simple Deckenlampe haben möchte, aber keine Zeit hat, einen detailreichen Kronleuchter zu bauen, kann diesen auch kaufen. Im plattformeigenen Laden. Auch im Metaverse ist Zeit Geld.
Egal wie man zum Kronleuchter kommt, entscheidend ist, dass er an der Decke hängt, wenn man seinen Avatar-Freunden in seinem virtuellen Haus virtuelle Getränke offeriert. Denn darum geht es im Metaverse genauso wie in der Welt „draußen“: Dass man zeigen kann, was man hat.
Kommst du uns mal besuchen?
Ich schaue mich um in der Wohnung meiner Freunde, die eher spartanisch eingerichtet ist; jedenfalls ohne Kronleuchter. Kommst du uns mal besuchen, im Metaverse? Fragen sie und füllen mein Weinglas auf. Klar, sage ich zögernd. Dann frage ich, ob wir uns auch noch hier oder in unserer Lieblingskneipe treffen können. Gern, sagen sie, wenn es sein muss.
Ich fühle mich plötzlich sehr alt. Sollte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, den Großteil des Tages mein Gesicht in eine schwitzende 3D-Brille zu pressen, um im Metaverse unterwegs zu sein?
Es ist die Zukunft, höre ich, während wir anstoßen. Du kannst dich ganz neu erfinden. Du kannst deinen Avatar ganz nach deinen Wünschen kreieren: Körpertyp, Alter, Geschlecht, Kleidung, Augen-, Haar- und Hautfarbe. Was immer dir gefällt. Und dann kannst du eine Menge anderer Avatare kennenlernen, aus der ganzen Welt, denn im Metaverse spielt die räumliche Distanz keine Rolle mehr.
Super, denke ich, fremde Länder, Kulturen, Menschen haben mich schon immer interessiert. Keine Sorge, sagen meine Freunde, denen meine Skepsis nicht entgeht: Die schwitzende 3D-Brille ist nur ein technisches Problem, das wird mit der Zeit verschwinden und dann ist der Bildschirm am Gesicht zehnmal attraktiver als das Smartphone in der Hand. Du wirst das Metaverse gar nicht mehr verlassen wollen.
Keine Ahnung von der Zukunft
Als ich mich von meinen Freunden verabschiede, es war spät und ich hatte noch eine lange Fahrt mit dem Rad vor mir, wünschte ich, ich könnte mich wie im Metaverse einfach von A nach B beamen. Ging aber nicht. So fuhr ich durch die warme Nacht, an den Kneipen vorbei, die noch offen waren, und überlegte bei jeder, ob ich anhalten und mich dazusetzen sollte.
Ich tat es nicht. Ich wollte nach Hause und mehr über das Metaverse erfahren. Ich wollte wissen, zu welchen Konditionen man dort Immobilien erwerben kann.
Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass all die Leute, die da jetzt noch in den Kneipen saßen, keine Ahnung von der Zukunft haben. Ich wollte unbedingt vermeiden, einer von ihnen zu sein.