#MeToo
Seit #MeToo machen immer häufiger Frauen sexuelle Übergriffe öffentlich. Für die mächtigen Männer habe das meist wenig Konsequenzen, kritisiert unsere Kommentatorin. © imago / ingimage /
Warum sind wir immer noch verliebt in mächtige Männer?
Unter #MeToo haben Frauen ein erschreckendes Ausmaß an sexuellen Übergriffen im Filmgeschäft öffentlich gemachten. Seit Jahren werde über das Problem diskutiert, verändert habe sich so gut wie nichts, kritisiert Kulturwissenschaftlerin Sonja Eismann.
Die öffentliche Meinung ist erbarmungslos. Das Internet vergisst nichts. Jedes noch so kleine Fehlverhalten von Prominenten wird abgestraft. Wenn Männer Frauen ungefragt anmachen, werden sie gecancelt. Das sind die Erzählungen, die wir in den letzten Jahren wieder und wieder gehört haben.
Weinstein-Skandal legte Machtstrukturen offen
Im Zuge der #MeToo-Enthüllungen und des Skandals um Harvey Weinstein schien eine Zeitenwende eingeläutet: Vor allem im Filmbusiness wurden erschreckende Machtstrukturen offengelegt, Kommissionen eingerichtet, Schutzmaßnahmen eingeführt. Viele hielten diesen Wandel für lange überfällig. Anderen, die wie einige französische Schauspielerinnen nach wie vor „das Recht darauf, belästigt zu werden“, einforderten, ging er viel zu weit.
Doch was, wenn gar kein massiver Umbruch stattgefunden hat? Sondern nur ein vorübergehender medialer Hype, der weder an den Strukturen noch an der öffentlichen Meinung Maßgebliches geändert hat?
Johnny Depp hat sein Prozess nicht geschadet
Johnny Depp trat dieses Jahr als strahlender Sieger in Cannes auf. Er spielte die Hauptrolle im Eröffnungsfilm, während seine Ex-Frau Amber Heard – beide hatten sich gegenseitig häusliche Gewalt vorgeworfen – völlig aus dem Rampenlicht verschwunden ist. Kevin Spacey zierte unlängst das Titelbild des "Zeit"-Magazins und schwärmte von der ungebrochenen Zuneigung seiner Fans. Er sehe sich bereit für eine Rückkehr auf die große Bühne – kurz vor einem weiteren Prozess wegen sexueller Übergriffe.
Vorwürfe gegen Til Schweiger und Till Lindemann
Die Vorwürfe gegen Til Schweiger, er verhalte sich an seinen Filmsets oft gewalttätig, sind erst einmal im Sande verlaufen. Sie wurden medial durch die Causa Rammstein abgelöst – und auch deren Fans halten trotz Schilderungen junger Frauen, wie missbräuchlich Sänger Till Lindemann mit ihnen umgegangen sei, mehrheitlich eisern zu ihm.
Vor Kurzem hat die französische Schauspielerin Adèle Haenel aus Protest gegen den von ihr wahrgenommenen Täterschutz ihren Rückzug aus dem Filmbusiness verkündet. „Sie haben all ihre Kräfte gebündelt, um das Gesicht von Gérard, von Roman, von Dominique zu wahren. Es stört sie, dass die Opfer zu laut sind. Sie hätten es lieber, dass wir einfach verschwinden und in völliger Stille sterben“, schrieb sie in einem Brief an das Magazin Télérama.
Wo bleiben die Konsequenzen von #MeToo?
In Deutschland ist #MeToo – oder auch eine konzertierte Aktion gegen jede Art von Machtmissbrauch im Showbusiness - nie wirklich in Gang gekommen. Man schiebt in der Branche hinter vorgehaltener Hand Namen hin und her, von deren Fehlverhalten angeblich alle wissen. Doch wer sich öffentlich beschwert, muss damit rechnen, dass die Karriere vorbei ist – und zwar nicht die eines Aggressors, sondern die der Person, die Anklage erhebt.
Dass das so ist, ist nicht nur die Schuld von Akteuren und Akteurinnen, die sich in den Machtstrukturen eingerichtet haben. Es ist auch die Schuld von uns allen. Denn wenn wir weiterhin bereit sind, alle Vorwürfe zu vergessen, weil wir weiterhin von den großen Männerfiguren beeindruckt sind, die uns mit ihren Blockbustern oder Arthouse-Hits ins Kino locken, wird sich nichts ändern.
Denn unabhängig von den juristischen Fragen ist das Schockierende an der Rückabwicklung von #MeToo vor allem, dass wir uns nach wie vor am liebsten an mächtigen Männern orientieren: Dass wir lieber ihnen glauben, ihnen zuhören, ihnen zusehen. Dass die Meinungen, Aussagen und Werke von allen anderen – und hierbei vor allem Frauen - nach wie vor so viel weniger wert zu sein scheinen. Das ist ein so tief sitzender Sexismus, dass es noch lange dauern wird, ihn abzubauen. Deswegen sollten wir lieber heute als morgen damit anfangen.
Sonja Eismann ist Mitbegründerin und -herausgeberin des „Missy Magazine“ und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie schreibt, referiert und unterrichtet zu Themen rund um Feminismus und Popkultur. Zuletzt gab sie im März 2019 gemeinsam mit „Missy“-Chefredakteurin Anna Mayrhauser die Literaturanthologie „Freie Stücke. 15 Geschichten über Selbstbestimmung“ heraus.