Sexismus im Operationssaal
"Wer so aussieht wie Sie, muss doch nicht Medizin studieren." – Solche Sprüche müssen sich manche Medizinstudentinnen anhören. Überkommene Geschlechterbilder und offener Sexismus sorgen dafür, dass es Frauen in medizinischen Berufen besonders schwer haben.
Die Charité Berlin ist – wie das Krankenhaus an sich – eine hierarchisch strukturierte Institution mit klarer Rollenverteilung. Eine "Antisexistische Aktionswoche" klingt an so einem Ort erstmal unerwartet. Doch bei dieser Veranstaltungsreihe befinden wir uns.
Sarah Müller ist Medizinstudentin an der Charité. Sie absolviert momentan ihr praktisches Jahr und sammelt seit einigen Monaten Erfahrungen in der Chirurgie. Sie ist zum Vortrag gekommen.
"Operieren sollst du wie ein Mann"
"Jetzt wo man mehr in der Klinik ist, ist man ständig mit dem Thema Diskriminierung konfrontiert. Beispielsweise, dass mir gesagt wurde: Du kannst im Leben alles machen wie eine Frau, aber operieren sollst du wie ein Mann."
Ein paar Stunden, bevor sie zum Vortrag kommt, steht sie noch im OP. Während der Operation macht der Oberarzt einen Witz. Nur, dass Sarah den nicht lustig findet.
"Genau, der Arzt meinte, er müsse auch mal abgesaugt werden und da meinte der andere Arzt zu ihm. Das kann ja die junge Kollegin machen."
70 Prozent der Mitarbeiterinnen wurden sexuell belästigt
So wie Sarah Müller, die eigentlich anders heißt und ihren richtigen Namen lieber nicht nennen möchte, geht es vielen Beschäftigten an der Berliner Charité. Einer aktuellen Studie vom Oktober zufolge sind über 70 Prozent der weiblichen und über 60 Prozent der männlichen Mitarbeitern von sexistischer Belästigung betroffen.
Bei den männlichen Mitarbeiter sind es in der Regel Pfleger, die von Patientinnen belästigt werden. Im Klinikalltag werden Klischees bemüht, unerwünschte Flirtversuche gestartet und es wird wohl auch gegrabscht.
Christine Kurmeyer ist Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Berliner Charité. Sie hat dafür gesorgt, dass in der Universitätsklinik Maßnahmen ergriffen werden.
Gehaltsabzug und Entlassung als Sanktionen
"Das Klima, das im OP herrscht, ist nicht mehr adäquat. Wir können auch ganz vernünftig miteinander umgehen, sodass sich niemand diskriminiert fühlt."
Die Klinik- und Institutsleitungen müssen gleichberechtigte Verhältnisse zwischen den Geschlechtern schaffen. Wird dieses Ziel nicht erreicht, ist die erste Konsequenz ein Gehaltsabzug, sagt Kurmeyer, aber es hat auch schon härtere Sanktionen gegeben.
"Für Menschen, die notorisch Grenzen überschreiten und diskriminieren, werden Wege gesucht, diese aus dem aktiven Dienst zu entfernen."
"Sie können sich auch gern dazu ausziehen..."
Lisa Wernicke, Fredericke Sonntag und Marie Römer sind Teil der Aktivistinnen-Gruppe "Medical Students for Choice". Sie haben im Sommer einen Aufruf gestartet. Medizin-Studierende aus ganz Deutschland haben sich daraufhin gemeldet und in insgesamt 200 Kommentaren von ihren Sexismus-Erfahrungen berichtet.
Einige Beispiele stehen seit wenigen Tagen online. Eine Studentin berichtet dort etwa:
"Ich frage, ob ich die Waage in der Praxis mal verwenden kann. - Arzt: Niemand hier hat ein Problem damit. Sie können sich auch gern dazu ausziehen, das wäre auch nicht schlimm."
Eine weitere Studentin diesmal von der Charité schreibt:
"Junger Chirurg zieht mich (Praktikantin) kurz vor OP-Beginn ganz dicht an sich heran und sagt dabei: Komm kuscheln! Ich stand bereits nah bei ihm, da es ein kleines OP-Gebiet war, und hatte eine gute Sicht auf den OP Tisch."
Häufig bekommen angehende Ärztinnen von älteren Kollegen den Spruch zu hören:
"Wer so aussieht wie Sie, muss doch nicht Medizin studieren. Sie können es sich leichter machen im Leben."
Frauen haben in der Chirurgie kaum Chancen
Statt junge Ärztinnen zu unterstützen, wird ihnen oftmals der Wunsch nach Karriere von vorne rein ausgeredet. Lisa Wernicke wollte eigentlich später mal als Chirurgin arbeiten.
"Uns wurde ziemlich klar gesagt, dass man als Frau überhaupt keine Chance hat. Ich bräuchte mich erst gar nicht bewerben, weil Frauen nicht so robust seien wie Männer und dann sowieso Kinder kriegen. Letztendlich habe ich mich entschieden, Psychiatrie zu wählen, weil mir dort solche Kommentare eher noch erspart werden."
Kurmeyer erklärt, was hier zutage trete, sei eine Kombination aus sexistischer Grundhaltung, Hierarchiedenken und vorherrschenden Geschlechterstereotypen, wonach der Mann der Halbgott in Weiß und die Frau Schwester ist.
Der respektlose, vulgäre Ton im Klinikalltag habe auch etwas mit der Tatsache zu tun, dass Ärzte ständig in die Intimsphäre von anderen einschreiten müssten, so Kurmeyer.
"Die Patientinnen und Patienten müssen sich entblößen, um eine korrekte Diagnose stellen zu können. Da ist die Gefahr, dass diese Grenzüberschreitungen zu Verletzungen führen, extrem hoch. Das befördert eine Kultur, dass an ganz vielen Stellen Grenzen überschritten werden, weil man nicht immer darauf aufpasst, wo man besonders vorsichtig sein muss."
Talentierte Ärztinnen werden beruflich ausgebremst
Das hat fatale Folgen für die Studierenden. Sarah Müller berichtet, wie sie sich nach dem anzüglichen Spruch vom Kollegen im OP gefühlt hat.
"Ich habe dann erstmal fünf Sekunden gebraucht, bis ich verstanden habe, was er gesagt hat und dann ist meistens der Moment schon vorbei, um zu reagieren. Das ist schwierig."
Reporterin: "Glaubst du, dass das Auswirkungen auf deine berufliche Entwicklung hat?"
"Ja, das ist ein Umfeld, in dem ich mich nicht wohlfühle und deswegen wähle ich für die Zukunft eine Disziplin, in der ich eher akzeptiert werde."
So werden etliche talentierte Ärztinnen beruflich ausgebremst. Die Charité ist eine der ersten Universitätskliniken, die das erkannt hat und versucht dagegen vorzugehen. Doch der Wandel ist noch längst nicht Wirklichkeit.