Sexismus, Drugs and Rock’n’Roll
07:36 Minuten
Karrieren im Musikbusiness werden meist von Männern gemacht. Talentierte Musikerinnen berichten immer wieder von Machtmissbrauch. Andrea Rothaug, Präsidentin des Bundesverbandes Populärmusik, rät ihnen sich zu vernetzen und mutig und laut zu sein.
Carsten Beyer: Es ist eine Geschichte, wie sie vermutlich schon Tausende Male passiert ist: Eine junge, begabte Musikerin schickt ihre Songs an einen älteren, bekannteren männlichen Kollegen, der hört sich die Sachen an, ist tatsächlich oder vielleicht auch nur vorgeblich ganz begeistert, bietet seine Hilfe an auf dem weiteren Karriereweg. Es gibt allerdings einen kleinen Haken an der Sache, denn der Kollege erwartet auch eine Gegenleistung sexueller Natur. Und plötzlich wird aus dem erhofften Sprung auf der Karriereleiter eine traumatisierende Erfahrung über die Machtverhältnisse im Popgeschäft. Wie gesagt, das Ganze, so muss man annehmen, ist leider traurige Routine im Musikbusiness. Zuletzt wurde ja viel über den Fall des US-Rockers Ryan Adams gesprochen, dem genau dieses Verhalten von gleich mehreren Frauen vorgeworfen wird.
Wie die Situation in Deutschland ist, das möchte ich jetzt mit Andrea Rothaug besprechen. Sie ist Präsidentin des Bundesverbandes Populärmusik, sitzt in Hamburg und hat dort schon viele Frauen im Musikbusiness gecoacht.
Frau Rothaug, Ryan Adams hat ja offenbar gegenüber jungen Musikerinnen seine Machtposition ausgespielt – für seine Hilfe, so die Anschuldigung, hat er eben sexuelle Gegenleistung erwartet. Sind Ihnen solche Fälle auch in Deutschland schon untergekommen?
"Der Pop ist männlich"
Andrea Rothaug: Also wir beobachten das natürlich seit vielen Jahren, erfahren das auch seit vielen Jahren. Ich bin eine Frau in einer Führungsposition und coache Frauen, die ins Musikbusiness einsteigen, also Frauen und Männer. Und es ist klar: Egal ob in den Charts, auf Festivals, im Radio, in Vorständen, in Aufsichtsräten, in der Technik, in Unternehmen Spitzenpositionen oder gar am Dirigentenpult – der Pop ist männlich. Im Übrigen auch die Klassik und der Jazz. Und da entwickeln sich natürlich solche Strukturen schneller als in Branchen, wo man vielleicht mal ein Fifty-Fifty angestrebt hat.
Das ist natürlich einer der Punkte. Das heißt bei einer Kräfteverteilung, die in Entscheidungspositionen 90 Prozent Männer vorsieht, können wir uns ungefähr vorstellen, dass wir hier alles finden, was wir uns lieber nicht vorstellen wollen. Das heißt, Frauen werden im Musikbusiness ebenso bedrängt oder benutzt wie in anderen Gewerken der Kreativ- und Medienbranche. Und damit ist immer wieder klar, dass das berufliche Fortkommen von Frauen oder Musikern und Musikerinnen eben stärker an Bedingungen geknüpft ist in der Musikbranche als bei Männern. Weibliche Stars sind natürlich auch Fleisch gewordene Verheißung – wenn wir uns das Phänomen Helene Fischer mal angucken.
"Vernetzt euch! Sprecht darüber! Seid mutig! Seid laut!"
Beyer: Wenn wir aber jetzt mal konkret an diesem Beispiel bleiben, was würden Sie denn persönlich einer jungen Musikerin raten, die in einer solchen Situation sich befindet? Soll man das publik machen, möglicherweise sogar Anzeige erstatten? Oder reicht es, einfach nur zu sage: Nein danke, auf diese Art der Unterstützung kann ich nun wirklich verzichten.
Rothaug: Für uns ist sehr wichtig – ich hab ja vorletztes Jahr die Music Women Germany gegründet, die eben im ganzen Bundesgebiet lokale Netzwerke haben, und da kann man hingehen. Das heißt, wir coachen natürlich Frauen in die Richtung, dass wir sagen: Vernetzt euch! Sprecht darüber! Seid mutig! Seid laut! Und redet auch mit den Männern über diese Vorkommnisse, damit sie vielleicht gar nicht erst passieren. Das ist extrem wichtig, aber das lässt sich nicht über Nacht regeln. Sich zu verstecken, bringt gar nichts. Darüber reden ist wichtig, aber eben auch und immer mit den Männern, damit die Zusammenarbeit und der Dialog eben da vorangehen.
Beyer: Es gab vor wenigen Tagen einen ganz interessanten Artikel im Musikmagazin "Pitchfork", da wurde drüber spekuliert, wie viele musikale Karrieren von Frauen durch solche männlichen Beutejäger, nenn ich sie jetzt mal, zerstört worden sind. Da wurde beispielsweise der Fall einer jungen Musikerin zitiert, die nach der Begegnung mit Ryan Adams ihre Karriere an den Nagel gehängt hat. Gibt es das wirklich Ihrer Beobachtung nach, dass da vielversprechende Karrieren bereits im Keim erstickt werden?
"Diese Abhängigkeiten werden bewusst geschaffen"
Rothaug: Also wenn wir eine Branche haben, in der die Männer in entscheidenden Positionen sitzen – das heißt, sie buchen Artisten ins Programm, in die TV-Show, auf Festivals und so –, dann wissen wir, wir haben eine protektionistische Industrie, die Karrieren, Träume, Wege von Frauen, also Künstlerinnen genauso wie Businessfrauen, beenden, wenn sie sich querstellt – nicht alle, aber immer wieder.
Das heißt, in dieser Branche ist es tatsächlich so, dass aus jungen, leuchtenden Menschen dann oftmals andere Produkte gemacht werden oder Produkte gar nicht zustande kommen. In dem Moment, hat man die Verwischung von Beruf und Privatem. Man hat die Sensibilität der Musiker und Musikerinnen in Kombination, gerade mit so einer Abhängigkeit von einem Produzenten oder Inhaber einer Plattenfirma oder Produktmanager, was es auch immer ist, und diese Abhängigkeiten werden natürlich bewusst geschaffen. Und dann fällt man schnell mal aus dem System und ist Spielverderber oder Spielverderberin. Das heißt, natürlich gibt es hunderte von Artisten, die nicht weiterkommen, wenn sie sozusagen nicht im System passend gemacht werden können. Es gibt aber Gott sei Dank mehr, bei denen das anders ist.
"Ohne Männer kriegen wir keine Veränderung hin"
Beyer: Es hat ja in den letzten Jahren da durchaus einen Paradigmenwechsel gegeben oder zumindest die Anfänge eines Paradigmenwechsels, nicht zuletzt durch die MeToo-Debatte. Es galt ja vor nicht allzu langer Zeit durchaus als schick, zumindest bei manchen Frauen, mit möglichst vielen Rockstars geschlafen zu haben, oder auch bei Männern diese ganze Groupie-Kultur, die ja noch aus den 60er- und 70er-Jahren stammt. Was hat sich da verändert im Bewusstsein der Frauen?
Rothaug: Ich würde sagen, es hat sich sowohl im Bewusstsein der Frauen als auch der Männer etwas verändert. Anders geht es ja gar nicht. Ohne Männer kriegen wir keine Veränderung hin. Deswegen ist die Beteiligung maßgeblich. Wie es sozusagen in den Backstage-Räumen aussieht, mag ich nur hier auf lokaler Ebene zu beurteilen. Und wie es tatsächlich aussieht, ich weiß nicht, ob die jetzt alle über Tinder gehen … Aber letztlich ist das ein Business, was immer schon Sex, Drugs and Rock’n’Roll hieß und sich auch diesbezüglich zwar etwas abgeschwächt hat, aber ich glaube, ein bisschen von dem Hauch wird immer mitschwingen.
"Es ist schon ein Generationswechsel da"
Beyer: Wie kommt man an diese Leute vielleicht auch ran, die es immer noch schick finden oder hipp finden, sich relativ bedingungslos da hinzugeben?
Rothaug: Ich kenn solche Leute ja nicht. Also ich muss ehrlich sagen, ich saß 30 Jahre im Backstage-Raum, ich hab so wenig Frauen getroffen, die sich tatsächlich bedingungslos hingeben. Ich halte das ehrlich gesagt für einen Mythos.
Aber natürlich ist es spannend, mit Rockmusikerinnen und Rockmusikern zusammenzusitzen, zu sprechen, zu trinken und was weiß ich was, Drogen zu nehmen oder wie auch immer – und zwar egal, welcherlei Geschlechts.
Das, was ich spannend finde wirklich, ist, dass tatsächlich viel Bewegung in das Thema gekommen ist. Es haben sich viele Netzwerke und Kampagnen gegründet, viele Spokeswomen sitzen Vereinigungen vor, die das Thema ansprechen. Und immer mehr Männer scheuen dieses Thema auch nicht. Es ist schon ein Generationswechsel da, stelle ich fest. Und mit den Music Women Germany, die wir 2017 gegründet haben, haben wir Netzwerke geschaffen, die hier für Transparenz und auch politisches Basisvokabular sorgen. Das bewirkt natürlich dann eine Veränderung der Situation. Und wenn ich weiß, ich kann irgendwo hingehen und im Vorhinein – bevor ich mich mit einem wildfremden Produzenten abends in einer dunklen Kammer treffe – vielleicht noch mit jemandem sprechen, was meine Rechte und Pflichten sind und was ich machen muss und ob ich vielleicht jemanden mitnehme und so weiter und so fort. Das ist nicht anders als in anderen Branchen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.