Wie der junge Feminismus in Osteuropa tickt
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Laut, schrill und drastisch kämpfen Aktivistinnen von „Pussy Riot“ oder „Femen“ weltweit für Frauenrechte. Was verbindet sie mit dem Feminismus im Westen? Darüber diskutieren die Autorinnen Kateryna Mishchenko und Anke Stelling.
Gewalt gegen Frauen stellt im östlichen Europa laut aktuellen Statistiken ein großes Problem dar - ähnlich wie in westlichen Ländern. Das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern sei im Osten sogar besonders groß, heißt es. Ausgehend von diesen Befunden hat das Goethe-Institut mit weiteren Partnern eine Konferenz zu Feminismus und der #MeToo-Debatte im Ost-West-Vergleich initiiert.
Im Sozialismus war Gleichberechtigung vorgegeben
Der Feminismus in Osteuropa werfe ganz eigene Fragen auf, sagt die ukrainische Autorin, Übersetzerin und Verlegerin Kateryna Mishchenko. Beim Auftakt der Konferenz traf sie in Kiew auf Autorinnen und Künstlerinnen aus Aserbaidschan, Armenien, Georgien und anderen postsowjetischen Ländern, "wo wir eigentlich immer offiziell die Gleichberechtigung hatten", so Mishchenko: "Familien hatten auch eine gute Infrastruktur für die Kinderversorgung. Die Idee im Hinterkopf war immer da, aber die Umsetzung war oft nicht wirklich gut."
Dann kamen Kapitalismus und liberale Demokratie, sagt die Schriftstellerin, und auch der Feminismus habe sich seitdem neu positionieren müssen: "Womit identifizieren sich heute junge Künstlerinnen, die sich als Feministinnen bezeichnen? Welche Themen liegen ihnen nahe, und wie reflektieren sie auch die Prozesse in ihren Ländern?"
Diese und viele weitere Fragen bringen die Teilnehmerinnen mit zu einer weiteren Tagung an diesem Wochenende in Berlin. Unterschiede zwischen Ost- und West-Feminismus seien ja auch innerhalb Deutschlands zu beobachten, sagt die in Berlin lebende Autorin Anke Stelling. Deshalb finde sie es spannend, "noch weiter nach Osten zu gucken und Frauen zu treffen, die von dort kommen."
Es sei doch bemerkenswert, dass die Aktivistinnen der Moskauer Band Pussy Riot und der 2008 in Kiew gegründeten Gruppe Femen inzwischen auch im Westen für viele Menschen das Bild vom heutigen Feminismus prägen, sagt Stelling.
Wie schützt die Gesellschaft die Schwachen?
Durch die spektakulären Protestformen von Femen gerate der feministische Aktivismus allerdings vor allem "als Medienphänomen" in den Blick, gibt Kateryna Mishchenko zu bedenken. Dabei bleibe oft außen vor, "genau zu gucken, wie die Gesellschaft organisiert ist: Was sind die strukturellen Faktoren, die den Alltag von Frauen prägen und wo auch feministische Kritik intervenieren muss?"
Mishchenko, die etwa in ihrem Buch "Ukrainische Nacht" das Leben von Drogenabhängigen, Obdachlosen und anderen Menschen am Rande der ukrainischen Gesellschaft geschildert hat, beklagt eine gewisse Geschichtsvergessenheit vieler Menschen in ihrem Land: Oft werde nicht bemerkt, "wo die Stärken der Reste des Sozialstaats liegen". Dabei sei die praktische Frage, wie eine Gesellschaft sozial Schwache stütze, fördere und versorge, zentral.
"Für soziale Gerechtigkeit spricht niemand", sagt Mishchenko mit Blick auf die Politik in der Ukraine. Sie richte ihre Hoffnung darauf, dass "Feminismus heute eine richtige politische Alternative sein kann, nicht nur für Frauenrechte, nicht nur für Gleichberechtigung. Wir können auch größer denken."
Feminismus als neue Bürgerrechtsbewegung
"Feminismus als Bürgerrechtsbewegung", die nicht allein für Frauenrechte kämpft, sondern die Interessen von Männern mit einschließt, die sich für Gleichberechtigung einsetzen - das erscheint auch Anke Stelling erstrebenswert. Als Schriftstellerin hat sie die Erfahrung gemacht, dass Kritik an Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern, etwa in ihrem Roman "Schäfchen im Trockenen", schnell als "Nestbeschmutzung" aufgefasst wird, gerade im liberalen Milieu der Kulturszene:
"Da sind sich ja alle einig, weil sie intellektuell sind und aufgeklärt und eigentlich für Gleichberechtigung und auch alle Feministen, auch die Männer."
Andererseits beobachte sie, dass sich verschiedene Gruppen mit feministischen Anliegen hierzulande oft an feinen Unterschieden rieben und in gegenseitige Anklagen verfielen, "was die jeweils andere nicht bedacht hat oder nicht macht oder nicht ist". Vom Treffen mit Frauen aus Osteuropa auf der Berliner Konferenz verspreche sie sich einen konstruktiveren Umgang mit den jeweils anderen Perspektiven, sagt Stelling: "Da habe ich ein bisschen die Hoffnung, dass vielleicht die Frauen aus der Ukraine schon einen Schritt weiter sind als wir hier."
(fka)