MeToo in Österreichs Filmbranche
Große Abhängigkeiten: Österreich ist ein kleines Filmland. Umso größer ist die Angst, dass Kritik an Übergriffen und Machtverhältnissen zum Karriere-Aus führt. © dpa / picture alliance / Robin Utrecht
Viele schweigen aus Angst
05:41 Minuten
Ein Instagram-Post deckte sexualisierte Übergriffe in der österreichischen Filmlandschaft auf und ging viral. Ging es anfangs noch um die Branche, verlagerte sich die Debatte bald auf die Ausbildungsstätten. Vor allem eine Hochschule steht im Fokus.
Vergangenen Juni berichtete die österreichische Filmregisseurin Katharina Mückstein auf Instagram von ihren Erfahrungen in der österreichischen Filmbranche. Es ging um Sexismus, Machtmissbrauch und sexualisierte Übergriffe.
Die Beispiele reichten von ersten Filmjobs über das Studium an der Filmakademie Wien „bis hin zu Dingen, die mir heute mit vierzig als etablierte Regisseurin immer noch passieren", erzählt Mückstein.
Übergriffe sind die Regel
Der Post ging viral. In Wien gilt er inzwischen als möglicher Beginn einer MeToo-Bewegung. „Tatsächlich habe ich in den folgenden Tagen Hunderte Berichte über sexualisierte Übergriffe und Machtmissbrauch bekommen", erzählt die Filmemacherin.
Die vielen Berichte zeigen: Sexismus, Machtmissbrauch und Übergriffe sind in der Branche nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Und: Sie geschehen in einem System, das Betroffene davon abhält, sie öffentlich zu machen.
Das sei vielen nicht deutlich, erklärt Marie-Luise Lehner. Sie studiert Drehbuch an der Filmakademie in Wien, einer der renommiertesten Adressen für Filmstudierende in Österreich.
„Ich habe von so einem Zeitungsartikel nichts. Aber wenn ich irgendwelche Namen nenne und irgendwelche rechtliche Konsequenzen habe, weil eine Person sagt, dass das Rufschädigung ist, dann habe ich richtige Probleme - vielleicht sogar über Jahre.“
Kleines Filmland Österreich
Anstatt über konkrete Vorwürfe zu sprechen, erzählt Lehner über das System Filmakademie. Inwiefern begünstigen und ermöglichen die internen Strukturen Gewalt?
„Es ist ein mühsamer und langwieriger Prozess da überhaupt reinzukommen. Es wäre vielleicht was anderes, wenn wir bis jetzt nicht so einen absurd steinigen Weg gegangen wären“, sagt Lehner.
Da sind die Aufnahmeprüfungen: Langwierig, hart, genommen werden nur eine Handvoll Menschen. Und da ist ein Meisterklassensystem – man studiert bei einer Koryphäe, in der Regel jemand, der in der Branche sehr viel Ansehen genießt.
Die Dozenten verteilen Ressourcen wie Geld und Equipment für Filme. Und sie haben Zugänge, zum Beispiel zu einflussreichen Menschen. All das macht Widerspruch schwer. Das ist gerade in einem Land, das so klein ist wie Österreich, relevant.
Wie viel Kritik ist möglich?
Bereits im Studium finde „eine Vermischung zwischen Arbeiten in der Branche und Studieren statt“, so Lehner. „Das heißt auch, dass selbst wenn die Machtdynamik während dem Studium runtergeschraubt wäre, gäbe es immer noch die Macht, dass die Branche sehr klein ist und dass es immer wichtig ist, sich mit allen gut zu stellen.“
An der Universität für Musik und darstellende Künste in Wien gibt es einen Arbeitskreis für Gleichbehandlung. Er soll Studierende bei Diskriminierung und Gewalt unterstützen.
Nanna Heidenreich sieht dieses Unterfangen kritisch. Als Professorin an der Universität für angewandte Kunst in Wien versucht sie, die Perspektive der Studierenden nachzuvollziehen: "Da sind dann Professoren und Professorinnen drin oder es ist irgendwie dem Rektorat zugeordnet – das hatte ich alles schon. Wie soll das gehen, Kritik an der Struktur vorzubringen, wenn ich nicht weiß, ob sie vertraulich behandelt wird?“
Zu nah an der Macht oder zu wenig Macht
In Wien gibt es tatsächlich auch eine unabhängige Stelle. Sie heißt: „We do“, zu Deutsch „wir machen“. Menschen, die in der Filmbranche tätig sind, können dort anonym Missstände melden. Diese werden gesammelt und dokumentiert. An den Strukturen jedoch kann der Verein nichts verändern.
Für Nanna Heidenreich ist auffällig: Die unterstützenden Stellen sitzen entweder zu nah an der Macht oder sie besitzen selbst wenig Macht:
„Es beschäftigt mich, weil ich auch möchte, dass es nicht nur an mir als Person hängt. Ich bin auch Teil einer Institution und ich kann nicht davon ausgehen, dass allein nur meine Integrität ausreicht. Es müsste immer depersonalisiert sein. Es müsste Strukturen geben, die nicht nur darauf fußen, dass es einzelne Personen gibt, die sich trauen zu widersprechen oder Gehör schenken.“
Rütteln an der Macht
Im Kern geht es bei MeToo immer um Machtverhältnisse, fest eingeschrieben in ein System voll mit Abhängigkeiten. Was braucht es, um an solchen Systemen zu rütteln? Und was können wir alle dafür tun?
Es sind genau solche machtkritischen Fragen, die jetzt in Österreich auf dem Tisch liegen.