Ein Ökosystem aus Missbrauch und Diskriminierung
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Hochrangige Ubisoft-Mitarbeiter sollen Kolleginnen und Kollegen belästigt haben. In einer Abteilung sei es einem Bericht zufolge sehr anzüglich und unprofessionell zugegangen. Die Firma hat sich jetzt von einigen beschuldigten Mitarbeitern getrennt.
Seit Kurzem hat auch die Gaming-Branche ihr MeToo. Auf Twitter machten Spieleentwicklerinnen ein breites Fehlverhalten öffentlich, das sie in ihrem Arbeitsalltag erleben: von Unprofessionalität in Form von ungewollten Komplimenten bis zu sexueller Gewalt. Im Mittelpunkt der Anschuldigungen steht der französische Spieleentwickler Ubisoft - eines der weltweit größten Unternehmen der Branche.
Konkret hieß es zum Beispiel, dass einer der ranghöchsten Leiter, der Entwickler Maxime Beland, eine Frau in seinem Team auf einer Unternehmensfeier gewürgt haben soll. Sein Chef soll männlichen Kollegen im Aufzug in den Schritt gefasst haben. Einem Marketing-Mitarbeiter wurde eine Vergewaltigung vorgeworfen.
Offenbar handelt es sich dabei nicht nur um individuelles Fehlverhalten, sondern um ein System: Denn die Struktur der Firma hat einigen Mitarbeitern besonders große Macht verliehen. Zentral war laut Bloomberg die "Editorial"-Abteilung. Dort arbeiteten mehrere der beschuldigten Männer und es soll eine Atmosphäre geherrscht haben wie im Klischee einer US-Studentenverbindung: also sehr männlich, sehr anzüglich, sehr unprofessionell.
"Es ist ein Ökosystem von Missbrauch und Wut und dem Schutz der falschen Leute", sagt etwa die Spieleentwicklerin Kim Belair, die lange für Ubisoft gearbeitet hat. "Es ist fast unmöglich, gegen diese Widerstände anzukommen."
Auswirkungen auf den Inhalt der Spiele
Für Belair erklären diese Strukturen auch, warum es in vielen Spielen keine weiblichen Hauptfiguren gibt und warum sich so viele Spiele so schwer tun mit der Darstellung von Frauen und Minderheiten. Zum Beispiel bei "Asassin’s Creed: Odyssey", einem der beliebtesten Spiele der letzten Jahre. Die Entwickler wollten unbedingt eine Frau als Hauptheldin. Aber Serge Hascoët soll gemeinsam mit der Marketing-Abteilung den Wunsch der Entwickler boykottiert haben. Es sollte neben der Frau unbedingt auch ein spielbarer Mann her, ein "Alpha Bro", heißt es in einem der Berichte. In einem anderen "Assassin’s Creed", "Origins", sollte ebenfalls eine Frau eine Hauptrolle übernehmen – stattdessen konnte man sie dann nur in einigen wenigen kurzen Sequenzen spielen.
Nach den aktuellen Vorwürfen hat Ubisoft sich von mehreren hochrangigen Mitarbeitern getrennt, darunter Maxime Beland und Serge Hascoet, die Leiter der "Editorial"-Gruppe. Eine externe Firma soll überdies alle Anschuldigungen überprüfen und es sollen weitreichende strukturelle Änderungen durchgeführt werden, um weitere Missbrauchsfälle zu verhindern.
Es geht nicht nur um Ubisoft
Einigen Mitarbeiter:innen genügt das aber wohl nicht. Denn die Vorwürfe wären intern lange bekannt gewesen, die Beschuldigten seien zum größten Teil Freunde des CEO Yves Guillemot und für ihn gebe es keine Konsequenzen. Außerdem gehe es um mehr als nur um ein Unternehmen: "Ich habe schon mit so vielen Studios gearbeitet und so viele Geschichten gehört", sagt Spieleentwicklerin Belair.
"Weißt du, wenn du Leute fragst, hey, magst du deinen Job? Und du hörst: Oh, das Studio ist super! Aber da gibt es so ein paar Leute, die mich belästigen oder da gibt es diesen einen Typen, der war wohl sexuell übergriffig... und das sind die guten Studios! Es ist echt wild. Unsere Standards sind völlig daneben, weil es so schlimm ist."
Kim Belair findet, jetzt sei der Moment gekommen, in dem die Spiele-Industrie diese Probleme ansprechen müsse. Derzeit sieht es so aus, als würde diese Debatte tatsächlich beginnen.