Ein Spiegel der Gesellschaft
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Seit eine Zuschauerin die Bühne von Comedian Bernd Stelter stürmte und sich über einen sexistischen Witz beschwerte, wird darüber debattiert, ob Sexismus fester Bestandteil des Karnevals sei. Auch im Karneval gelten Regeln, sagt die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger.
"Im Karneval ist zwar vieles erlaubt, was sonst eher Tabu ist, aber das heißt natürlich nicht, dass Übergriffe, die strafrechtlich relevant sind, erlaubt wären. Auch da gibt es natürlich einen Rahmen des Erlaubten und des Verbotenen", sagt Barbara Stollberg-Rilinger. Die Historikerin ist Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin.
Sie kritisiert, dass nach wie vor Witze vor allem auf Kosten von Frauen und Minderheiten gemachten werden. Das müsse aber nicht sein.
"Ich denke, man kann sich ja auch amüsieren, man kann auch über die Stränge schlagen, ohne andere anzugreifen und herabzusetzen. Es wird auch den Karneval nicht grundsätzlich beeinträchtigen, wenn auch da sich ein respektvoller Umgang mit Frauen durchsetzt."
Andere Karneval-Kultur möglich
Doch das gehe nur mit einem generellen Umdenken in der Gesellschaft. Sexistische oder rassistische Witze sind auch unter dem Deckmantel des Karnevals nicht unbedingt harmlos. In vieler Hinsicht zeige sich im Karneval nur das, was in der Gesellschaft alltäglich passiere, erklärt Stollberg-Rilinger:
"Also gerade sexistische oder rassistische Witze spiegeln eigentlich ein latentes Potenzial, was auch sonst in der Gesellschaft ist und sich hier Ausdruck verschafft."
Auch die bekannte Weiberfastnacht sei ein Umkehreffekt, der zeige, wie sexistisch die Gesellschaft eigentlich sei:
"Das zeigt, dass Karneval viele Regeln und Wertvorstellungen der Gesellschaft letztlich spiegelt, also weil die Frauen normalerweise Opfer sexistischer Übergriffe sind, nehmen sie sich das an Weiberfastnacht mal umgekehrt gegenüber den Männern raus. Sie überfallen die Männer und schneiden ihnen die Krawatte ab, was eine Kastrationssymbolik hat. Das zeigt aber, dass in dieser Umkehrung die gesellschaftlichen Werten genau die Umgekehrten sind – auch heute noch. Das hat ja die MeToo-Debatte gezeigt."
(nh)