Die Grenze zwischen Flirt und Übergriff
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In den vergangenen Monaten haben zwei Fälle von Missbrauchsvorwürfen in der Kulturszene Frankreichs eine neue MeToo-Debatte angestoßen. Der Umgang mit Flirts und deren Tradition in Frankreich seien Teil des Problems, sagt die Autorin Pascale Hugues.
Der französische Regisseur Christophe Ruggia wurde am Montag in Polizeigewahrsam genommen. Grund ist der Vorwurf der Schauspielerin Adèle Haene, dass er sie als Minderjährige während eines Filmdrehs sexuell belästigt habe. Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch in einem weiteren prominenten Fall aus der französischen Kulturszene: Die Verlegerin und Autorin Vanessa Springora hat in einem Buch dem Schriftsteller Gabriel Matzneff vorgeworfen, sie als Minderjährige in den 1980er-Jahren verführt zu haben.
Die französische Autorin und Journalistin Pascale Hugues glaubt, dass es zum Teil mit einer Generationenfrage zusammenhängt, dass sich die Frauen jetzt trauen, diese älteren Männer anzuklagen. "Die Frauen, die sich gewagt haben, diese Männer anzuklagen, sind alle jung, unter 40 und manchmal auch jünger." Im Fall von Adèle Haene hänge es auch mit der gesellschaftlichen Position der Schauspielerin zusammen. Sie sei inzwischen so erfolgreich, dass sie keine Karriereeinbußen befürchten müsse.
Die sexualisierte französische Gesellschaft
Die Fälle werden in Frankreich kontrovers diskutiert. Das hänge auch mit dem Umgang mit Sexualität zusammen. Der Flirt habe beispielsweise eine andere Tradition als etwa in Deutschland oder in den USA. "Ich glaube, die französische Gesellschaft ist viel sexualisierter. Also, es wird sehr viel gespielt. Es wird in der Metro - vielleicht nicht mehr jetzt, aber vor ein paar Jahren noch - angeguckt, und auf der Arbeit sagt man, 'Du hast heute ein schönes Kleid' oder 'Wow, hier sieht man deine Rundungen'."
Dieser Umgang zeigte sich auch in einem Gegenaufruf zu "MeToo" der Schauspielerin Catherine Deneuve und 99 weiteren französischen Frauen im Januar 2018. In einem offenen Brief forderten sie eine "Freiheit zu belästigen". Den Grund für diesen Brief sieht Hugues in der Angst vor "amerikanischen Verhältnissen", davor, dass der "neue Puritanismus" nach Frankreich komme.
Wo endet der Flirt, wo beginnt der Angriff?
Der Umgang mit dem, was in Frankreich als Flirt verstanden wird, habe sich aber geändert. Es sei erkannt worden, dass es ein schmaler Grad zwischen einer netten und einer abwertenden Bemerkung sei. In Büros herrsche in Frankreich bei der jüngeren Generation ein anderes Klima - "viel respektvoller, viel auf Augenhöhe, kameradschaftlich".
Zwar wünscht sich Pascale Hugues, dass die Tradition des spielerischen, unschuldigen Flirts nicht ganz verloren geht. Dennoch findet sie: "Junge Französinnen sollten sehr, sehr viel selbstbewusster sein, als meine Generation es vielleicht war."
(kpa)