Die Pubertät des Theaters ist am Ende
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Intendant Klaus Dörr verlässt die Berliner Volksbühne nach Vorwürfen sexualisierter Grenzüberschreitung. Nicht der erste Fall von MeToo an deutschsprachigen Bühnen. Sind Theater besonders anfällig für ein Klima der Angst und Übergriffigkeit?
Es ist schon keine Überraschung mehr: noch ein MeToo-Skandal an einem großen deutschsprachigen Theater. Wir hatten das beispielsweise schon an der Wiener Burg. Diesmal ist es die Berliner Volksbühne. Am 13. März erst hat die taz über die Beschwerden von zehn Mitarbeiterinnen gegenüber der Berliner Kulturverwaltung berichtet. Klaus Dörr, der als Intendant 2018 eingesprungen war, nachdem der glücklose Chris Dercon das Haus verlassen hatte, wird sexistisches, übergriffiges, altersdiskriminierendes Verhalten vorgeworfen.
Latent sexualisiertes Arbeitsklima
Am 15. März dann tritt er selbst zurück. Ganz schnell. Das ist ein Schritt, der durchaus Respekt verdient. Auch Kultursenator Klaus Lederer lässt wissen: "Durch die Freistellung kann der Aufklärungsprozess fortgeführt werden." Gut so – bis der abgeschlossen ist, sollten sich Außenstehende mit der Beurteilung des Falles zurückhalten.
Nur hoffen kann man, dass gründlich aufgeklärt wird, fair – und mit einem Blick für die Strukturen des Theaterbetriebs, die offenbar nach wie vor so hervorragend geeignet sind für ein latent sexualisiertes, mit beruflichen Existenzängsten unterfüttertes Arbeitsklima. Wenn der alleinige Chef an der Spitze der Hierarchie über die Verlängerung kurzer Arbeitsverträge entscheidet und gern einen möglichst persönlichen Umgang mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wünscht, ist es eben immer besonders schwer, ihn mit klar gezogenen Grenzen womöglich vor den Kopf zu stoßen.
Erstaunlich ist nur: Die MeToo-Diskussionen sind nun wirklich nicht neu. Trotzdem: immer wieder solche Vorwürfe. Das Theater hängt immer noch seiner eigenen Vergangenheit als Bürgerschreckinstitution nach. Auf der Bühne sollten die Spießer jahrzehntelang mit radikaler Hemmungslosigkeit geschockt werden.
Gerade die Volksbühne hat dieses anarchische Theater repräsentiert: Schauspielerinnen und Schauspieler, die den Exzess auf den Brettern leben, sich in jeder Hinsicht nackt machen. Und immer dabei dieser Mythos: Hinter den Kulissen geht es bestimmt genauso zu – Sex und Drogen und Ausschweifungen, nur damit kann man doch radikale Bühnenkunst zustande bringen.
Zeit für eine neue Ethik
Anscheinend hat sich dieser Mythos auch bei einigen Theatermachern und -macherinnen bis heute gehalten. Aber viele Aktivistinnen und Verbände wie etwa Pro Quote begehren schon seit längerem auf. Die endlos verlängerte Pubertät des deutschsprachigen Theaters kommt an ihr Ende, der Ernst des Lebens beginnt: Das Theater muss begreifen, dass es auch ein Arbeitsplatz ist, an dem Regeln gelten müssen, an dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschützt sind und respektiert werden – auch wenn es auf der Bühne wild zugeht.
Es wird Zeit, dass aus den großen moralischen Worten der Theater gelebte Praxis wird. Was wir brauchen? Eine neue ernst gemeinte Ethik der Theaterarbeit.