"Das Massaker ist ein Wendepunkt"
Ein Massaker an 43 Studenten zeigt das Ausmaß der Verflechtung zwischen Politik und organisierter Kriminalität in Mexiko. Gibt es dennoch Hoffnung für einen Kampf gegen die mafiösen Strukturen? Ein Gespräch mit der Mexiko-Kennerin Anne Huffschmid.
Nach dem mutmaßlichen Massaker an Dutzenden Studenten halten die Proteste an. Auf dem Zocalo, dem Hauptplatz von Mexiko-City, versammelten sich Tausende zum Protestmarsch.
Die Studenten waren im September in der mexikanischen Stadt Iguala verschleppt worden. Die Wut über das Verbrechen entlädt sich zunehmend auf der Straße. Verwandte und Kommilitonen der Opfer trauen den Behörden nicht mehr. Die Kulturwissenschaftlerin und Mexiko-Expertin Anne Huffschmid, die selbst viele Jahre in dem Land gelebt hat, sagt: "Das ist eine so heftige Mobilisierung, wie ich sie in 25 Jahren nicht gesehen habe." Ihrer Einschätzung nach seien die Proteste nicht nur auf gebildete Bevölkerungsschichten beschränkt, sondern habe die ganze Bevölkerung erfasst.
Schon seit vielen Jahren erlebe Mexiko ein Welle der Gewalt mit Zehntausenden von Toten und Verschleppten, wie man sie sonst nur von mittel- und südamerikanischen Diktaturen kenne, sagt Huffschmid, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin arbeitet. Ein neuer Aspekt sei seit einiger Zeit, dass die Gewalt auch politische Aktivisten treffe.
Zu den weiteren, für die kommende Woche angekündigten Protestmärschen und Demonstrationszügen in allen Teilen des Landes sagte Huffschmid: "Das Massaker ist ein Wendepunkt, es gibt keine Rückkehr mehr zu 'Business as usual'." Dennoch sei sie skeptisch, ob man, in Anlehnung an die arabischen Länder, tatsächlich von einem "mexikanischen Frühling" sprechen könne.
Sie halte es zum einen für sehr unwahrscheinlich, dass der mexikanische Präsident zurücktreten werde, wie vielfach gefordert. Zum anderen werde es "sehr lange dauern, bis die tiefe Vertrauenskrise zwischen dem, was Staat und dem, was Gesellschaft ist, überwunden ist. Da reicht es auch nicht, einfach Figuren aus der politischen Klasse auszuwechseln." Denn alle Parteien, einschließlich der Linken, stünden in Diskredit bei der Bevölkerung.