Mexiko-Roman

Weiblicher Widerstand im Drogenkrieg

Angehörige demonstrieren am 25.11.2003 mit Pappfiguren als Symbole für die getöteten Frauen in Ciudad Juarez. Die mexikanische Grenzstadt Ciudad Juárez erlangte international Berühmtheit - zwischen 993 und 2007 wurden hier 393 Frauen ermordet. "Welthauptstadt der Frauenmorde" ist deshalb das Image, das der Stadt weltweit anhängt.
Demonstration gegen Frauenmorde in Mexiko © picture alliance / dpa / epa Guadalupe Perez
Von Wolfgang Schneider |
Das Mädchen Ladydi wächst in den mexikanischen Bergen auf. Dort sind die Männer verschwunden und die Frauen verstecken ihre Töchter vor den Drogenbossen oder verkleiden sie als Jungen. Doch Ladydi sieht einen Ausweg aus dieser unwirtlichen Welt.
In der Serie "Breaking Bad" wird DEA-Agent Hank Schrader in Mexiko Zeuge, wie eine Schildkröte daherkommt, einen abgeschlagenen Menschenkopf auf dem Panzerrücken. Da wird ihm flau. Die mexikanischen Polizeikräfte um ihn herum aber lachen sich schlapp: Der hat wohl noch nie eine Schildkröte mit abgetrenntem Menschenkopf gesehen…
So ist das in Mexiko: Ein Menschenleben zählt im Drogenkrieg weniger als nichts. Auch Jennifer Clements "Gebete für die Vermissten" hat viel mexikanische Folklore der blutigen Art zu bieten. Der bildkräftig erzählte Roman ist der Abgesang auf eine extrem verrohte Gesellschaft, ruppig und zart zugleich. Hauptfigur ist die junge Ladydi. Ihre Mutter wollte mit dem Namen keineswegs die Prinzessinnenhaftigkeit unterstreichen, im Gegenteil, die Lady ist ihr das Urbild aller von ihren Männern betrogenen Frauen – wie sie selbst.
Jungen verwandeln sich in Mädchen
An Lokalkolorit mangelt es nicht. Eine Schnellstraße mit plattgefahrenen Hunden und Leguanen, Geier in der Luft. Hubschrauber mit bestochenen Piloten, die die Pestizide, die eigentlich die Mohnfelder zerstören sollen, stattdessen über den Dörfern abladen. Es ist eine unwirtliche Gegend, in der nur Jungen geboren werden. Einige davon verwandeln sich mit elf allerdings in Mädchen.
Das hat nichts mit Genderexperimenten oder magischem Realismus zu tun. Vielmehr werden Mädchen häufig entführt und tauchen dann meist nie wieder auf – und wenn doch, verstört und mit Brandwunden am ganzen Körper wie Ladydis viel zu schöne Freundin Paula, die im Harem eines Drogenbarons landet. Deshalb die Devise: Wenn sich das Geschlecht nicht mehr verbergen lässt, sollen die Mädchen wenigsten so hässlich wie möglich ausstaffiert werden. Und wenn sich die SUVs der Drogenhändler nähern, heißt es für sie, schnellstens in Erdlöchern zu verschwinden.
Scheinbare Fluchtmöglichkeit
"Gebete für die Vermissten" kommt als rotziger Pubertätsroman daher, hautnah aus der Ich-Perspektive einer Halbwüchsigen erzählt, die nichts anderes als diese moralisch völlig auf den Hund gekommene Welt kennt. Ihr Vater ist wie die meisten Männer längst jenseits der Grenze in den Vereinigten Staaten. So leben in den mexikanischen Bergen fast nur noch Frauen, die abends auf Berggipfel steigen, um womöglich den langersehnten Anruf des verschwundenen Ehemannes und Familienvaters nicht zu verpassen.
Ladydi eröffnet sich scheinbar ein Ausweg aus dem Elend: eine Stelle als Hausmädchen in Acapulco und die Liebe zu einem Gärtner, der sich als melancholischer Mörder entpuppt. Die Besitzer des Anwesens tauchen monatelang nicht auf, stattdessen stürmt eines Tages die Polizei die Villa und findet ein gewaltiges Waffenlager. Ladydi wird verhaftet, weil sie, ohne es zu wissen, in Drogenschmuggel und einen Doppelmord verwickelt ist. Im Gefängnis gerät sie wiederum in eine reine Frauenwelt. Jede dort hat Geschichten zum Fürchten zu erzählen.
Zu viel Böses für 200 Seiten
Nicht dass man der Autorin unterstellen möchte, sie hätte den mexikanischen Horror belletristisch übertrieben. Clement will zehn Jahre für diesen Roman recherchiert und "hunderte Interviews" mit betroffenen Frauen geführt haben. Vielleicht besteht genau darin das Problem: Sie will all das, was sie zusammengetragen hat, auf 200 Seiten unterbringen. So dass hier am Ende zu viele Blumen des Bösen in einem zu kleinen Beet gedeihen sollen. Weniger wäre mehr gewesen.

Jennifer Clement: Gebete für die Vermissten
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
230 Seiten, 19,95 Euro

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