Mexiko

"Unser Land ist auf dem besten Weg in die Barbarei"

Polizei und Militär arbeiten in Mexiko mit dem organisierten Verbrechen zusammen.
Polizei und Militär arbeiten in Mexiko mit dem organisierten Verbrechen zusammen. © picture alliance / dpa / Yuri Cortez
Von Ellen Häring |
Seit 20 Jahren leitet Abel Barrera ein Menschenrechtszentrum im mexikanischen Bundesstaat Guerrero. Von dort stammen die 43 Studenten, die offenbar ermordet wurden. Insgesamt fanden über 100.000 Menschen in den letzten acht Jahren den Tod. Auf Einladung von Amnesty International besuchte er Deutschland.
Seit 20 Jahren leitet Abel Barrera das Menschenrechtszentrum Tlachinollan im mexikanischen Bundesstaat Guerrero. Seit 20 Jahren beobachtet er, wie die Polizei und das Militär mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeiten, am Anfang versteckt, inzwischen ganz offen. Denn auch die Behörden, die eigentlich kontrollieren sollen, sind unterwandert.
Das Verschwinden der 43 Studenten im September hat das ganze Ausmaß der Verstrickungen offenbart. Die Generalstaatsanwaltschaft ließ neun Tage vergehen, bis sie sich für den Fall zuständig fühlte. Dann präsentierte sie drei Auftragskiller, die in grausamen Details vor laufender Kamera schilderten, wie sie die Studenten zerstückelten, verbrannten und in einen Fluss warfen. Eine Zumutung für alle Mexikaner und ganz besonders für die Angehörigen, meint Abel Barrera:
"Anstatt die Untersuchung gewissenhaft zu führen, wollte man schnell Ergebnisse präsentieren. Die zuständigen Behörden haben sich völlig unglaubwürdig gemacht und es wird ihnen jetzt noch mehr Misstrauen entgegengebracht."
Nach wie vor gibt es keine aussagekräftigen DNA-Abgleiche. Die Angehörigen der Verschwundenen fordern akribische Aufklärung mit internationaler Unterstützung, sie wollen wissen, was mit ihren Söhnen geschehen ist. Unterstützt werden sie nicht nur von Menschenrechtsaktivisten wie Abel Barrera, sondern von einer breiten Protestbewegung.
"Mexiko erlebt einen einzigartigen Moment. Etwas so Schwerwiegendes kann die Zivilgesellschaft nicht durchgehen lassen. Unsere junge Generation wird davon geprägt werden. Wir fühlen uns alle zutiefst verletzt. Diese Grausamkeit, mit der unsere Behörden hier vorgegangen sind, die kann man niemals entschuldigen."
Das Schweigen ist gebrochen
Dabei sind die 43 nur Teil der ganzen Katastrophe: 26.000 Menschen sind in Mexiko verschwunden, über 100.000 wurden in den letzten acht Jahren ermordet. Unzählige Frauenmorde im Norden des Landes sind ungesühnt, genauso wie die allermeisten anderen Verbrechen. Jetzt scheint das Fass übergelaufen zu sein.
"Das Schweigen ist gebrochen. Die Angst ist weg. Die Straflosigkeit muss beendet werden. Die Proteste sind eine Demonstration, die zeigt, dass wir es satt haben, wie wir regiert werden, wie unsere Institutionen missbraucht werden, wie wir alle in Angst und Schrecken leben müssen wegen der ständigen Einschüchterung durch Behörden und durch das organisierte Verbrechen."
Beflügelt werden die Proteste dadurch, dass die internationale Gemeinschaft angesichts der entsetzlichen Vorkommnisse kritisch nach Mexiko blickt. Die europäischen Regierungen müssen erkennen, dass es sich im Falle der Studenten nicht nur um ein lokales Problem handelt, fordert Abel Barrera.
"Man muss eine klare Haltung zeigen. Man kann nicht mit einer Regierung partnerschaftlich zusammenarbeiten, die die Menschenrechte nicht achtet. Die europäischen Regierungen müssen zeigen, dass sie zu den Opfern halten. Und nicht zu den Henkern."
Die deutsche Regierung will an einem Abkommen zur Polizeizusammenarbeit mit Mexiko festhalten, das 2011 geschlossen wurde - trotz der jüngsten Ereignisse. Angesichts der gravierenden Vorwürfe gegenüber der mexikanischen Polizei, protestieren nun auch hier Menschenrechtsaktivesten dagegen, dass Deutschland beabsichtigt ein offenbar korruptes System zu stützen.

Für Abel Barrera ist die internationale Unterstützung der mexikanischen Zivilgesellschaft von enormer Bedeutung.
"Man kann nicht alles zulassen auf dieser Welt. Es gibt Grenzen. Und ich glaube, die mexikanische Zivilgesellschaft hat ihrer Regierung die Grenzen aufgezeigt und auch die internationale Gemeinschaft. Das geht zu weit."
Mehr zum Thema