Meyer sieht "zutiefst freiheitsfeindliche Einstellung" in der Pius-Bruderschaft

Hans-Joachim Meyer im Gespräch mit Dieter Kassel |
Für Hans-Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, ist die Wiederaufnahme von vier Bischöfen der konservativen Bruderschaft Pius X. das Zeichen, dass sich der Papst als Brückenbauer versteht. Allerdings sei fraglich, ob in den Fällen der wiederaufgenommenen Bischöfe die Bereitschaft bestehe, sich in eine vom Zweiten Vatikanischen Konzil geprägte Kirche einzugliedern.
Dieter Kassel: Aus pastoraler Sorge und väterlicher Barmherzigkeit, so wörtlich, hat Papst Benedikt XVI. die Exkommunizierung von vier Bischöfen der konservativen Bruderschaft Pius X. zurückgenommen und hat damit, weil einer dieser Bischöfe auch der Engländer Richard Williamson, ein bekannter Holocaust-Leugner, einen Konflikt heraufbeschworen zwischen der jüdischen und der katholischen Kirche und in Deutschland zwischen dem Zentralrat der Juden und den Katholiken, wenn man das so sehen will, der Zentralrat unterscheidet da allerdings da ganz fein. Er hat Kritik aber auch auf sich gezogen, der Papst, von einigen deutschen Bischöfen, nicht allen, und von zahlreichen Theologen an unterschiedlichen Universitäten, und das nicht nur in Deutschland.

Die große Diskussion um diesen einen der vier Bischöfe ist sicherlich berechtigt. Dabei kommt aber die Diskussion darüber, was überhaupt dieses Zugehen auf eine sehr konservative Splittergruppe innerhalb der katholischen Kirche bedeutet. Und genau darüber wollen wir unter anderem jetzt sprechen mit Hans-Joachim Meyer. Er ist der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Schönen guten Tag, Herr Meyer!

Hans-Joachim Meyer: Schönen guten Tag!

Kassel: Wenn wir jetzt für einen kleinen Moment den Spezialfall Williamson weglassen, war dann die Entscheidung des Papstes, diese vier Bischöfe zu rehabilitieren, zumindest teilweise, eine richtige Entscheidung?

Meyer: Ich würde es einmal so sagen: Sein Bestreben, Menschen, die die katholische Kirche im Konflikt verlassen haben, wieder für die katholische Kirche zu gewinnen, ist sicherlich ein völlig richtiges Motiv, ein Motiv, das auch der Aufgabe des päpstlichen Amtes, Brückenbauer zu sein, entspricht. Es hat ja zu Beginn des Pontifikats von Benedikt XVI. durchaus den Eindruck gegeben, dass er das auch in unterschiedlichen Richtungen tut. Ich erinnere an das Gespräch mit Küng, obwohl es da zunächst um das Feld von Glauben und Naturwissenschaft geht, aber dennoch war es, denke ich, wichtiges Signal. Er hat in ziemlicher Nähe, zeitlicher Nähe, dazu nun auch das Gespräch mit dem jetzigen Chef der Pius-Bruderschaft geführt. Das wurde auch als ein solches Zeichen angesehen. Zunächst einmal ja zu der Aufgabe des Papstes, Einheit in der Vielfalt herzustellen. Und da gibt es dann natürlich zwischen den unterschiedlichen Richtungen und Gruppen da auch nicht völlige Übereinstimmung und auch Spannung und Auseinandersetzung. Das gehört einfach zur Vitalität der Kirche hinzu. Nur, in diesem konkreten Falle muss man leider sich fragen, ob denn aufseiten derjenigen, denen dieses, wie er sagt, väterliche Bemühen gilt, überhaupt eine solche Bereitschaft existiert, in die katholische Kirche, so wie sie das Zweite Vatikanische Konzil geprägt ist – und dieses ist natürlich Fortführung einer langen Tradition –, wie ernst und wie ehrlich dieser Wunsch auch vonseiten der darin nun Aufzunehmenden überhaupt ist. Ich kann das jedenfalls nicht erkennen.

Kassel: Man darf, glaube ich, auch nicht vergessen, dass in diesen Tagen ja verschiedene Dinge passiert sind. Einzelfälle geraten immer in den Mittelpunkt, aber der Papst hat ja auch noch etwas anderes getan, er hat Gerhard Maria Wagner zum Bischof von Linz gemacht entgegen den Empfehlungen des zuständigen österreichischen Kardinals. Ich möchte an dieser Stelle mal ein bisschen Deutschland verlassen und auf den Kommentar einer ausländischen Zeitung verweisen, die dänische Tageszeitung "Information" nämlich hat Gerhard Maria Wagner in ihrem heutigen Kommentar als rechtsextremistischen Prediger bezeichnet. Ich würde mal fast annehmen, so weit wollen Sie möglicherweise nicht gehen, aber passt nicht auch diese Ernennung ein bisschen ins Bild im Moment?

Meyer: Ich weiß offengestanden nicht genug über diesen Mann. Was ich lese, erfüllt mich schon mit Schrecken und Entsetzen. Nun gehe ich davon aus, es gibt genug Bischöfe, Theologen, Laien in der katholischen Kirche Österreichs, die sich dazu in Klarheit äußern werden. Was ich natürlich schon verwunderlich finde, schon vom Prinzip des bischöflichen Amtes her, wäre, wenn es zutrifft, dass dieser Mann zu einem Weihbischof eines Bischofs ernannt wird, der das selbst gar nicht vorgeschlagen hat. Das kann ich mit der Stellung des bischöflichen Amtes in der katholischen Kirche eigentlich nicht in Übereinstimmung bringen. Aber ich sage es noch mal, über diesen Fall weiß ich nicht genug. Das, was ich weiß, erfüllt mich mit großer Sorge.

Kassel: Diese große Sorge, betrifft die unter anderem auch das für Sie natürlich besonders wichtige Verhältnis zwischen katholischen Laien und Bischöfen, Priestern und allen. Man muss ja erklären, dass Ihre Organisation vor allen Dingen für die Laien zuständig ist, und natürlich hat es in der katholischen Kirche immer eine Diskussion gegeben, welche Rolle Laien spielen sollen und spielen dürfen in der Organisation Kirche. Ist diese Diskussion im Moment schwieriger, als sie schon mal war?

Meyer: Ja, sie ist schwieriger, aber sie steht hier doch, wie soll ich sagen, in einem notwendigen geschichtlichen Zusammenhang. Da gab es immer Auseinandersetzungen. Vergessen Sie bitte nicht diese Bewegung, die jetzt ja auch zum Entstehen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken geführt hat, die geht auf das Revolutionsjahr 1848 zurück, wo sich Katholiken in diesem Aufbruch, in diesem revolutionären Aufbruch eindeutig zur politischen und geistigen Freiheit bekannten und darin auch eine Chance sahen, wirkliche Religionsfreiheit, das heißt Unabhängigkeit von Kirche und Staat, und Gewissensfreiheit durchzusetzen. Also da gibt es wie in jeder lebendigen Gemeinschaft lange Linien des Selbstverständnisses und auch von konkurrierenden Elementen dieses Selbstverständnisses. Eins ist ganz sicherlich richtig: Für die Pius-Brüderschaft gibt es Laien nur als hörende und gehorsame Ausführende, die das, was in dem großen Kirchenbeschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils, Lumen gentium, über die Laien und ihre eigenverantwortliche Rolle gesagt wird, da findet sich in dem Denken dieser Leute und ihren Äußerungen kein Wort. Insofern sage ich, ja, wenn diese Leute Einfluss gewinnen sollten in der katholischen Kirche, dann müssten das alle, die für die Rolle der Laien als wichtiges Element des Gottesvolkes, so wie es vom Zweiten Vaticanum beschrieben und eingeschärft worden ist, da müssen sie schon Sorge drum haben und entschieden gegen jeden Versuch auftreten, das zu verändern.

Kassel: Glauben Sie denn, dass der Papst bereit ist, der Bruderschaft aus Angst vor einer Kirchenspaltung zu viel Macht zu geben? Denn ich meine, das Zweite Vatikanische Konzil, das ja in weiten Teilen nicht anerkannt wird von diesen Leuten, das ist ja auch sein Konzil, das ist natürlich immer das Konzil des amtierenden Papstes.

Meyer: Das ist völlig richtig. Er war einer der bedeutenden Theologen, die diesen Prozess beeinflusst haben. Man muss die Texte des Zweiten Vaticanums auch im Zusammenhang sehen mit seinen theologischen Arbeiten, da gibt es wechselseitige Beziehungen, man kann sie auch im Lichte dieser Ausführungen interpretieren und deuten. Da ist sicherlich aber auch das persönliche Motiv für ihn gleichsam, ja, am Ende eines langen und reichen Lebens, eine Wunde zu heilen, die in der Tat ja durch das Zweite Vatikanische Konzil dadurch entstanden ist, dass Erzbischof Lefebvre, der Gründer dieser Pius-Bruderschaft, zunächst einmal nicht das Dekret über die Religionsfreiheit unterschrieb, aber dann auch in der Folge erkennen ließ, dass er sich mit dem ganzen Zweiten Vatikanischen Konzil nicht aussöhnen kann, dass er dem nicht zustimmen kann. Und dann hat er zunächst versucht, innerhalb der Kirche durch die Pius-Bruderschaft dagegenzuwirken. Gut, das war noch, finde ich, noch möglich sozusagen innerhalb des Prinzips "Einheit in der Vielfalt", aber dann hat er ja den Versuch gemacht, eine eigene Kirche zu etablieren, indem er selbst Bischöfe weihte, ohne Zustimmung des Papstes. Das ist ein klarer Widerspruch gegen die Gemeinschaft der Bischöfe unter dem und mit dem Papst. Und dadurch hat er sich selbst und seine Anhänger aus der katholischen Kirche rauskatapultiert. Das ist der Punkt.

Und diese Sache ist eben, da besteht dann ein wirklicher Zusammenhang: Erstens zu seiner Ablehnung wesentlicher Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils, und diese Ablehnung steht nun wiederum in einer Beziehung zu seinen erkennbaren politischen Auffassungen und geschichtlichen Auffassungen, wie er sie hat, aber wie sie auch in den Äußerungen dieser Bischöfe und anderer führender Repräsentanten der Pius-Bruderschaft ja nachzulesen ist. Also wenn ich höre und lese, was Herr Schmidberger, der Chef der deutschen Sektion oder Abteilung dieser Pius-Bruderschaft über Kirche und Gesellschaft, über Staat glaubt äußern zu sollen, da kann ich nur sagen, da gibt es also überhaupt, da gibt es einen wesentlichen Zusammenhang zwischen der Ablehnung der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils und einer zutiefst reaktionären, zutiefst freiheitsfeindlichen Einstellung dieser Leute. Und ich halte es nicht für, ja, nicht für realistisch, ich halte es nicht für wirklichkeitsnah, zu meinen, man öffnet sich diesen Leuten, um zu einem Dialog zu kommen, der wieder zu einer Verständigung führt, das ist ja die Strategie, die diesem Beschluss zu dieser Aufhebung der Exkommunikation zugrunde liegt, ohne ein Anzeichen darauf zu sehen, gleichsam Hoffnungszeichen in den Äußerungen und Verhalten dieser Leute selbst vor der Aufhebung der Exkommunikation. Ich kann nicht verstehen, warum man dort einen solchen Gegensatz aufmacht oder einen solch völligen Unterschied sieht. Das ist natürlich – verstehen Sie, es gehört auch zu den Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils, politische Pluralität innerhalb der katholischen Kirche zu haben – ausdrücklich zu bejahen, aber die Pius-Bruderschaft lehnt ja gerade dies ab.

Kassel: Darauf wollte ich hinaus. Sie nimmt das für sich in Anspruch, wollen es aber anderen nicht zugestehen.

Meyer: Da kann ich nur sagen, Pluralität kann ich nur Menschen zugestehen, die ihrerseits auch anderen Pluralität zugestehen. Also die Möglichkeit, natürlich auf der Basis des gemeinsamen Glaubens, der Lehre der Kirche, auch unterschiedliche Positionen zu vertreten und im Dialog dieser Positionen der Erkenntnis der Wahrheit und dessen, was jetzt geschichtlich richtig ist, näherzukommen. Aber das sind ja alles Verhaltensweisen, Denkweisen, die diese Leute als grundsätzlich ablehnen. Und es gibt überhaupt keinen Hinweis darauf, mir ist keiner bekannt, und wer mehr hinsieht, wird auch, davon bin ich überzeugt, keine finden, dass die Leute bereit sind, sich auf einen solchen dialogischen Prozess überhaupt einzulassen. Im Gegenteil, es hat ja einer dieser Bischöfe, dieser inzwischen nicht mehr exkommunizierten Bischöfe – die damit übrigens nicht total als Bischöfe anerkannt sind, das muss man auch sagen, aber trotzdem, sie sind jetzt, wären jetzt wieder und sind jetzt wieder in der katholischen Kirche –, der hat ja klar erklärt, nein, für uns ist das ja der Beginn der Änderung dieser Kirche.

Kassel: Das ist ja, glaube ich, das große Problem. Und das ist einer der Gründe neben der Holocaust-Leugnung durch Williamson, dass sich die Politik einmischt und diese Frage nun doch noch zur aktuellen Tagespolitik, zurzeit die Kontroverse auch innerhalb der CDU, deren Mitglied Sie ja auch sind, das darf ich an dieser Stelle erwähnen, war es richtig, dass Angela Merkel sich gestern mit so deutlichen Worten geäußert hat? Aus dem Vatikan kommt eindeutig ein Wunsch, dass sie sich da nicht einmischen soll. In Deutschland sind die Meinungen gespalten. Welche Meinung vertreten Sie?

Meyer: Ob es so ganz hilfreich war, weiß ich nicht, denn es ist natürlich richtig, dass man in Rom sagt: Aber wir haben uns, nachdem das bekannt war und auch nachdem diese Aufhebung der Exkommunikation ausgesprochen ist, in aller Klarheit, also der Papst selbst, sich gegen Antisemitismus, gegen die Leugnung des Holocaust und für ein gutes Verhältnis zu den Juden ausgesprochen. Darüber kann kein Zweifel sein, und das steht ja auch in völligem Einklang mit dem, was der Papst sagt und tut als Papst und auch als Kardinal Ratzinger.

Das, worum es jetzt geht, ist in der Tat, ja, muss ich schon sagen, eine innerkirchliche Auseinandersetzung, die natürlich für alle Christen und für alle Menschen, denen es ein Anliegen ist, dass Mitmenschlichkeit und Anerkennung der Menschenwürde bestimmend ist für menschliches Verhalten, wichtig ist, und insofern ist das für alle wichtig und bedeutsam, aber die Auseinandersetzung darum, wie man nun sich mit Leuten umgeht, die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils leugnen und auch nach wie vor offenbar nicht bereit sind, sich auf einen wirklichen Dialog darüber einzulassen, welche Hilfe da eine solche Erklärung ausüben kann, das hat sich mir bisher jedenfalls noch nicht erschlossen.

Kassel: Die Debatte wird auch noch weitergehen. Wir müssen es für diesen Moment belassen. Ich danke Ihnen für das Gespräch. Hans-Joachim Meyer war das, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Danke Ihnen!