Ein Komponist der bewegten Bilder
Mit dem merkwürdigen Western "Wity" begann die Karriere des Kameramannes Michael Ballhaus. Später, in den 80er-Jahren, ging Ballhaus in die USA und arbeitete mit den Großen des Hollywood-Films – Coppola, Redford, Scorsese. Am 5. August 2015 wird er 80 Jahre alt.
"Niemand schenkt dir etwas. Du musst es dir nehmen."
Gut, da ist natürlich der Stones-Titel "Gimme Shelter", der dem Prolog diese Aura von Fieber gibt, da ist die Stimme des zynischen Mafia-Bosses, die Martin Scorseses Film "Departed" am Anfang den Eindruck eines totalitären Gewalt-Kosmos verleiht, aber dass wir den Kopf des Gangsters nur als eine Art bewegten Schattenriss sehen, intensiviert das Beunruhigende, das hier strahlt. Und erst bei Minute vier plus 53 Sekunden sehen wir die Fratze des Bösen in Nahaufnahme. Es ist, als ob Michael Ballhaus für Martin Scorsese nun erst den Vorhang ganz geöffnet hat für dieses dunkle Geschichte. Was für eine Bildkomposition!
"Eine der wichtigsten Eigenschaften ist, dass man versucht, neue Bilder zu finden auch für eine Geschichte."
Sagte Michael Ballhaus einmal.
"Dass man sich überlegt, was kann ich anders machen. Wie kann ich eine Geschichte interessant machen?"
Vielleicht mit solch einer komplexen Bildmontage wie am Anfang von "Departed – Unter Feinden". Oder vielleicht mit einem Kreis, den die Kamera fährt? Wie können Bilder die Attraktion spürbar machen, die zwischen dem Pianisten und der Sängerin entflammt ist. Michelle Pfeiffer im roten Kleid auf dem Klavier; langsam streift Michael Ballhaus' Kamera sie wie in einer Liebkosung und fängt an, sie zu umrunden. Diese Kamerafahrt in "The Fabulous Baker Boys" – 1989 – ist eines der großartigsten Beispiele für den "Ballhaus-Kreis". In der Hollywood-Ausführung.
"Es ist dein Geld. Ich habe dieses Leben geführt für dich. Für uns."
Hanna Schygulla - Michael Ballhaus hat sie als wunderschöne Frau fotografiert in "Die Ehe der Maria Braun" von Fassbinder. Seine Arbeit mit Rainer Werner Fassbinder, die 16 Filme, die er mit ihm gedreht hat, waren der Beginn seiner Karriere – sagt der geborene Berliner.
"Da er halt ein genialer Regisseur war, haben wir halt immer wieder mit ihm gearbeitet. Und ich wäre heute nicht das, was ich bin, wenn ich nicht mit ihm durch diese Schule auch gegangen wäre. Dass muss man immer wieder sagen. Ich habe halt von ihm unglaublich viel auch gelernt."
1974, in Fassbinders Film "Martha", war es dann auch das erste Mal, dass Ballhaus in einem 360-Grad-Kreis die Figuren mit seiner Kamera umrundete. Von da an war der "Ballhaus-Kreis" Markenzeichen seiner Bilderkunst.
Fruchtbare Zusammenarbeit mit Martin Scorese
Als Martin Scorsese 1984 James Foleys Film "Reckless" sah, war er von Ballhaus' Kameraarbeit fasziniert. Ein Anruf, ein Angebot. Ein Jahr später begann mit "Die Zeit nach Mitternacht" die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Ballhaus und Scorsese. Sieben Filme habe sie zusammen gedreht.
Michael Ballhaus: "Es war etwas Großartiges. [...]"
Gefunden hatten sich zwei Besessene.
"[...] Scorsese war ein sehr, sehr disziplinierter Regisseur. Der hat sich unglaublich genau vorbereitet auf seine Arbeit. Und hat dann auch ein ganz präzises Bildkonzept entwickelt. Und das war dann für mich ein fabelhafter Fahrplan. Und dann habe ich diese Liste durchgearbeitet. Und dachte, wunderbar. Das sind tolle Ideen."
Die Ballhaus für Scorsese grandios umsetzte wie zuletzt vor neun Jahren in "Departed". Als Zwanzigjähriger, erzählte Michael Ballhaus einmal, erlebte er die erste Faszination für den Film, als er bei den Dreharbeiten zu Max Ophüls "Lola Montez" zuschauen durfte.
"Wie die Kamera sich bewegt, wie die durch den Raum schwebte und das war für mich einfach die Erfüllung. Das ´Über-Theater´ sozusagen. Und da war es um mich geschehen."
Die Kamera, die sich frei bewegt, die zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel wird: Dieses Ziel hat Michael Ballhaus in vielen Filmen, die er fotografierte, erreicht. Aber der legendäre "Ballhaus-Kreis"? Nun, Ballhaus benutzte die von ihm entwickelte Kamerafahrt schließlich selbst kaum noch. Zu oft kopiert. Als ästhetisches Mittel abgenutzt, sagt sein Schöpfer.
Ballhaus selber aber konnte auch ganz anders. Wenn man Sherry Hormanns Kampusch-Verfilmung 3096 Tage von 2013 sieht, zeigt der Kameramann in seiner vergleichsweise unspektakulären Bildregie den Kern seiner Kunst, nämlich seine Bilder in den Dienst der Geschichte zu stellen, so wie bei Fassbinder, Scorsese, Robert Redford, Mike Nichol oder bei seiner Lebensgefährtin Sherry Hormann: Michael Ballhaus hat stets die Verbindung von Ästhetik und Inhalt gesucht. Das fiel auf, wirkte aber nicht aufdringlich. Vor einem Jahr nun machte Ballhaus publik, dass er langsam erblindet. Wie furchtbar für diesen Mann der Bilder, denken wir, um umso mehr beeindrukt zu sein, wie gelassen der alte Bildregisseur zurückschaut:
Michael Ballhaus: "Alles hat seine Zeit. Und diese Zeit ist vorbei. Ich traure dieser Zeit nicht mehr nach. Ich kann in meinem Alter auch nicht mehr solche Filme machen. Das hat auch mit meinen Augen zu tun. Aber jetzt ist es vorbei."