Michael Borchard: "Eine unmögliche Freundschaft. David Ben-Gurion und Konrad Adenauer"
Herder Verlag, Freiburg 2019
384 Seiten, 24,00 Euro
Eine nicht selbstverständliche Freundschaft
07:21 Minuten
Die beiden Politiker Konrad Adenauer und David Ben-Gurion verband eine Freundschaft, die grundlegend für das deutsch-israelische Verhältnis nach dem Holocaust wurde. Michael Borchard hat eine differenzierte Darstellung vorgelegt.
Zwei alte Herren in Anzügen, beide lächelnd, sitzen nebeneinander, der eine legt seine Hand vertraulich auf den Arm des anderen: Dieses Foto, aufgenommen 1960 im New Yorker Waldorf Astoria Hotel, ist ikonisch geworden. Es dokumentiert das erste Treffen zwischen dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Ministerpräsidenten Israels, David Ben-Gurion.
Zu sehen ist es auf dem Umschlag des Buches "Eine unmögliche Freundschaft", in dem das Verhältnis der beiden Staatsmänner erkundet wird. Der Autor, Michael Borchard, Politikwissenschaftler und Historiker, legt ein gut recherchiertes Buch vor, das inhaltlich weit über das Verhältnis zwischen Ben-Gurion und Adenauer hinausgeht.
Zwei sehr unterschiedliche Leben
Borchard beginnt mit einer ausführlichen Schilderung der Beziehung Adenauers zum Judentum im Köln der Weimarer Republik. Er stellt dar, dass der katholische Rheinländer vielfach politische und freundschaftliche Beziehungen zu Juden pflegte. Auch nach 1933 erwiesen sich diese als tragfähig.
In einer Zeit des latenten und später staatlich verordneten Antisemitismus spielten Glauben oder Herkunft für Adenauer keine Rolle. Er schätzte Persönlichkeit und Charakter. Bereits 1927 wurde er Mitglied des deutschen Komitees "Pro Palästina", dem auch Martin Buber und der Rabbiner Leo Baeck angehörten. Seine offen zur Schau getragene Sympathie für die zionistische Bewegung brachte Adenauer den Vorwurf der Nazis ein, selbst "Blut-und Zersetzungsjude" zu sein.
Auch nach dem Krieg bemühte Adenauer sich um Juden. 1945 schickte er als wiedereingesetzter Bürgermeister städtische Busse in die Konzentrationslager, um Kölner Juden in ihre Heimatstadt zurückzubringen.
Gegenseitiges Vertrauen unter Staatsmännern
Mehrere Kapitel des Buches befassen sich mit der Biografie Ben-Gurions. Hier beginnt Borchard tatsächlich im polnischen, bei Ben-Gurions Geburt zum Zarenreich gehörenden Plonsk.
Über weite Strecken verbindet der Autor Ben-Gurions Leben mit dem Kampf für einen jüdischen Staat. Er geht detailliert auf die innerjüdischen Konflikte im Mandatsgebiet Palästina ein, wie auch auf Ben-Gurions Haltung zu den Flüchtlingen aus Europa und zum Holocaust. Dabei stützt er sich auf israelische wie deutsche Quellen.
Zwei Drittel des Buches aber zeichnen die Entwicklung der deutsch-israelischen Beziehungen bis in die Gegenwart nach. Deren Grundlage ist in der charakterlichen Stärke, dem politischem Kalkül, dem vernunftgesteuertem Pragmatismus und dem gegenseitigem Vertrauen der beiden Staatsmänner zu finden.
Weitblick und Empathie
Immer wieder verweist Borchard auf die Gemeinsamkeiten der beiden Politiker - bei aller Unterschiedlichkeit von Herkunft und Sozialisation, Alter, Religion und historischer Position. Differenziert stellt er die Stadien der Annäherung dar, die Schwierigkeiten, die beide in ihren Ländern zu überwinden hatten, um schließlich diplomatische Beziehungen zwischen dem Land der Täter und dem der Verwandten und Nachfahren der Ermordeten herzustellen.
Es ist ein großes Verdienst dieses Buches, dass es dabei weder Adenauer noch Ben-Gurion idealisiert und auch ihre Limitierungen kritisch erwähnt. Gerade auch dadurch macht Borchards umfassender Essay noch einmal bewusst, wie wenig selbstverständlich ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Deutschland und Israel ist. Und dass es dies nicht gäbe ohne den politischen Weitblick, den persönlichen Einsatz sowie ein hohes Maß an Empathie der beiden Staatsmänner.