Michael D. Gordin: "Am Rande"
© Konstanz University Press / Wallstein Verlag
Wie Pseudowissenschaften entstehen
05:59 Minuten
Michael D. Gordin
Aus dem Englischen übersetzt von Uwe Hebekus
Am Rande. Wo Wissenschaft auf Pseudowissenschaft trifftKonstanz University Press / Wallstein Verlag, Göttingen 2022156 Seiten
24,00 Euro
Von der Astrologie über die Eugenik bis zur Ufologie: Der Historiker Michael D. Gordin untersucht, wie Pseudowissenschaften entstehen – und wo sie an Wissenschaften grenzen. Ein aufschlussreicher Streifzug durch die Wissenschaftsgeschichte.
Egal, ob Astrologie, Spiritismus, Eugenik, Ufologie oder Flache-Erde-Theorien: Pseudowissenschaften sind so faszinierend wie unheimlich, weil sie in abseitige Denksysteme führen und die etablierten Wissenschaften herausfordern. Manche werden von abstrusen, aber weitgehend harmlosen „Mad Scientists“ betrieben, andere wiederum sind im Bund mit höchst gefährlichen Verschwörungstheorien.
Von Nessie bis zu Verschwörungstheorien
Aber was genau macht eine Pseudowissenschaft aus, wie lässt sie sich von echter Wissenschaft unterscheiden, und können wir aus dem geschichtlichen Prozess ihres Entstehens etwas lernen?
Diese Fragen stellt der US-amerikanische Historiker Michael D. Gordin, der an der Princeton University lehrt und sich quer durch die Wissenschaftsgeschichte mit abtrünnigen Lehren, politischer Instrumentalisierung und vermeintlichen Rebellen beschäftigt. Sein 150 Seiten schmales Buch „Am Rande. Wo Wissenschaft auf Pseudowissenschaft trifft“ bietet eine Art Stichwortverzeichnis der Pseudowissenschaften, denn es fasst die Merkmale der jeweiligen Doktrin knapp und präzise zusammen.
Wer wissen will, was es mit der Kryptozoologie auf sich hat, erfährt auf drei Seiten, dass ihre Anhänger an die Existenz von Tieren glauben, die von der „Mainstream-Wissenschaft“ nicht anerkannt werden. Die berühmtesten Fälle: Nessie, das Ungeheuer von Loch Ness, oder Bigfoot, der Yeti mit den großen Fußabdrücken.
Das Abgrenzungsproblem
Zunächst einmal umreißt Gordin aber das erkenntnistheoretische Problem, das mit der Frage nach der Unterscheidbarkeit von Wissenschaft und Pseudowissenschaft verknüpft ist. Das Abgrenzungsproblem – ein Begriff, der auf den Philosophen Karl Popper zurückgeht – steht am Anfang seiner Überlegungen: Wenn es ein „allgemein anerkanntes wie praktikables Abgrenzungskriterium“ gäbe, wäre die Aufgabe einfach. Doch das von Popper eingeführte Abgrenzungskriterium der Falsifizierbarkeit hat sich als nicht praktikabel erwiesen, führt Gordin aus.
Er schlägt vor, nicht nach einem generellen Abgrenzungskriterium zu suchen, sondern die sehr unterschiedlichen Pseudowissenschaften „lokal“ und aus der Perspektive der Wissenschaftsgeschichte zu betrachten. Gerade, weil Wissenschaft sich durch ihre „enorme Dynamik“ auszeichnet, muss das Vorhaben, die Pseudowissenschaften abzugrenzen, immer unvollkommen bleiben.
Der Schatten der Wissenschaft
Statt nach einem allgemeingültigen Abgrenzungskriterium zu suchen, benennt Gordin also verschiedene pseudowissenschaftliche Gruppen – wie etwa die „Rudimentären Wissenschaften“, zu denen er Astrologie und Alchemie zählt: Lehren, die aus den Resten einer älteren, längst widerlegten Wissenschaft entstanden sind. Weitere Gruppen sind die „Hyperpolitisierten Wissenschaften“, die politische Machtansprüche untermauern sollen, oder Bewegungen, die gegen die „etablierte Wissenschaft“ kämpfen und dabei die Strukturen eben dieser etablierten Wissenschaften nachahmen.
„Die Pseudowissenschaft ist der Schatten der Wissenschaft“, hält Gordin schließlich fest – ein unvermeidliches Nebenprodukt der regulären Wissenschaften. Wer wissenschaftsgeschichtlich zurückblickt, kann aber immerhin die Muster ihres Entstehens erkennen und benennen.