Als wir im Hinterhof die Leute kommen sahen, wir wohnten im Vorderhaus, da haben wir uns den Stern abgerissen. Wir sind mit dem Fahrstuhl runter. Und die kamen die Treppe hoch. Im Haustor standen sie schon in voller Montur. Und da ging meine Mutter dann – wir mussten durch dieses Haustor durch – sofort auf ihn zu und fragte: ‚Sagen Sie mal, was ist denn hier los?‘ Und der guckt sie an und sagt: ‚Gehen Sie weiter, das geht Sie nichts an.‘ Und das haben wir uns nicht zweimal sagen lassen, ist ganz klar. Aber diese Courage hatte meine Mutter. Die ging aufs Ganze.
Zum Tod von Michael Degen
Stand schon als 14-Jähriger als Statist auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin: Michael Degen (1932-2022). © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
Ein Leben voller Härte und Glück
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Michael Degen war ein großartiger Charakterdarsteller auf der Bühne, scheute sich aber auch nicht, Rollen in TV-Serien anzunehmen. Als Kind entkam er dem Naziterror. Nun ist der Ausnahmeschauspieler im Alter von 90 Jahren gestorben.
Über seine Kindheit in Berlin hat Michael Degen erst spät gesprochen. Mit 67 Jahren veröffentlichte er seinen autobiografischen Roman „Nicht alle waren Mörder“. Ein Buch darüber, wie er und seine Mutter als Juden in Berlin den Nationalsozialismus überlebten. 1943 entkamen sie nur knapp einer Razzia der SS:
Vier Jahre zuvor hatte die Gestapo Degens Vater ins KZ Sachsenhausen verschleppt und schwer misshandelt. Zwar gelingt es seiner Mutter, ihren Mann wieder freizubekommen, helfen kann sie ihm aber nicht mehr. Kurz nach der Entlassung stirbt der Vater an den Folgen seiner Verletzungen.
Anna Degen und ihr Sohn Michael überleben den Naziterror mit Hilfe couragierter Bürger, die sie auf Dachböden, in Wohnungen und Gartenlauben verstecken.
Vom Statisten zum Engagement
„Meine Mutter wollte eigentlich, dass ich Musik studiere.“ Aber Michael Degen treibt es nach dem Krieg auf die Bühne. Ohne seiner Mutter davon zu erzählen, bewirbt sich der 14-Jährige als Statist am Deutschen Theater Berlin. Der Intendant Wolfgang Langhoff erkennt, dass mehr als ein Komparse in ihm steckt und lässt ihn vorsprechen:
„Und dann engagierte man mich. Da brauchte ich die Einwilligung meiner Mutter, weil ich ja nicht volljährig war. Das ergab große Schwierigkeiten.“
Mit 17 emigriert der Schauspieler nach Israel, kehrt jedoch nach zwei Jahren in seine Heimat zurück. Auch, weil er in Tel Aviv die Vielfalt der deutschen Theaterlandschaft vermisst hat. Von der, muss er, wieder in Berlin, feststellen, ist nach dem Krieg allerdings wenig übriggeblieben:
„Ich hatte auch mit einer Generation zu tun, die teilweise noch beeinflusst war von dieser nationalsozialistischen Theatralik, die grässlich war. Ich glaube, als ich anfing, mit Hans Bauer zu arbeiten, als ich mit dem Kontakt bekam, da ging für mich eigentlich erst das Theater, so wie ich es verstand oder wie ich es ersehnte, los.“
Hamlet und Don Juan
In den folgenden Jahrzehnten begeistert Degen das Theaterpublikum als Hamlet, Don Juan und Dorfrichter Adam. Auch in zeitgenössischen Stücken überzeugt er durch seine vielschichtige Darstellung. Etwa als Lageraufseher Gens in Joshua Sobols „Ghetto“ oder als „Onkel“ in George Taboris „Die Kannibalen“.
Anders als viele Bühnenkollegen hat Degen keine Skrupel, gleichzeitig Fernsehrollen anzunehmen. Er habe eine Familie zu ernähren, begründet der vierfache Vater seine Ausflüge in die Niederungen der TV-Unterhaltung. Und verkörpert in Krimis und Serien à la „Diese Drombuschs“ und „Donna Leon“ – immer mit einem Hauch von Ironie – graumelierte Galane, honorige Ärzte, Mörder und Polizisten.
Anonyme Drohbriefe
Sein Leben lang ist Michael Degen ein politischer Mensch: 1983 gibt er aus Protest gegen ein Treffen ehemaliger SS-Angehöriger in Bad Hersfeld den Preis zurück, den die Stadt ihm 14 Jahre zuvor verliehen hat.
„Ich kam in die Zeitung und es war ein Riesentrubel. Und dann bekam ich die ersten Drohbriefe. Anonym. ‚Du alte Judensau, raus aus dem deutschen Fernsehen, raus aus dem deutschen Theater‘ und so weiter.“
Wenig später verwüsten Rechtsradikale seine Hamburger Wohnung. Als er daraufhin ausziehen will, beschwören ihn seine Nachbarn, zu bleiben. Abwechselnd schieben sie Wache, damit sich ein solcher Übergriff nicht wiederholt.
Michael Degen hat beides erlebt: Antisemitismus und Verfolgung, Freundschaft und Solidarität. Davon berichtet er in den Romanen, die er im Alter geschrieben hat.
Mit seinem Tod geht ein Leben voller Härte und schwieriger Phasen zu Ende, aber auch voller Glück, Befriedigung und Erfolg. Ein Leben, in dem sich ein Jahrhundert deutscher Geschichte spiegelt.
Jörg Taszman über Filme mit Michael Degen
12.04.2022
05:53 Minuten
"Insgesamt bleibt es unverständlich, warum die großen deutschen Filmregisseure so einen großen Bogen um Michael Degen gemacht haben", sagt der Filmkritiker Jörg Taszman. Degen zeigte seine Kunst bei den "Buddenbrooks" (1979), "Manila" (2000), "Babij Jar" (2001-03) und "Hannah Arendt" (2012). 2006 wurde Degens autobiografischer Bericht "Nicht alle waren Mörder" von Jo Baier für das Fernsehen erfolgreich verfilmt, mit Nadja Uhl als Mutter.