Michael Donkor: "Halt"
Edition Nautilus, Hamburg 2019
320 Seiten, 25 Euro
Londons kulturelle Vielfalt − eine Innenansicht
16:54 Minuten
Michael Donkors Debütroman „Halt“ wurde in England für zwei Literaturpreise nominiert. Als Sohn ghanaischer Einwanderer kenne er den Generationenkonflikt, der mit der kulturellen Anpassung der Einwandererkinder einherginge, erzählt Michael Donkor.
Als er begann, seinen Roman "Halt" zu schreiben, war ihm überhaupt nicht bewusst, dass er einen Roman schreibe, der fast ausschließlich unter Frauen spielt und dass er aus weiblicher Perspektive erzähle, obwohl er ein Mann sei. Ihn habe einfach die Geschichte von Belinda interessiert.
"Ich war sehr zuversichtlich, dass es mir gelingen würde, mich in die Perspektive einer jungen Frau zu begeben, weil ich unter Frauen aufgewachsen bin. Ich bin mit meiner Mutter und zwei älteren Schwestern aufgewachsen und auch in der Schule hatte ich auch in erster Linie Freundinnen."
Hinzu komme, dass in Ghana immer alles aus männlicher Perspektive erzählt werde. Man erzähle die Geschichten erfolgreicher Männer und deren Probleme. Er habe mal die Perspektive wechseln wollen. Die Männer in seinem Roman sind daher nur Nebenfiguren und bleiben im Hintergrund.
London als Chance
Ein Leben, wie es die beiden ghanaischen Hausmädchen Belinda und Mary führten, sei gar nicht so ungewöhnlich. Die Romanfiguren arbeiten im Haus einer ghanaischen Familie, die zur Einwanderergeneration gehört. Die kamen in den 1970er Jahren nach London oder auch nach New York oder Deutschland, und im Alter gehen sie wieder zurück nach Ghana. Dort könnten sie sich mit ihren Ersparnissen ein relativ wohlhabendes Leben ermöglichen.
Belinda bekommt in dem Buch die Möglichkeit, mit einer anderen ghanaischen Familie nach London zu gehen und dort zu arbeiten. Das ist für sie, die aus einem kleinen Dorf stammt, eine Chance – denn plötzlich ist sie in einer der pulsierendsten Metropolen der Welt.
Auf der anderen Seite soll sie sich um Amma, die etwas schwierige Tochter ihrer Dienstfamilie, kümmern. Sie soll aus dem rebellischen, ghanaisch-britischen Teenager eine ganz andere Person machen. Und damit lastet auf Belinda eine große Verantwortung.
Das sei auch typisch für seinen Roman, sagt Donkor: Einerseits gebe es Möglichkeiten, andererseits seien diese mit Einschränkungen verbunden. Das solle auch der Buchtitel "Halt" zeigen, sagt Donkor. Belinda lebe eben mit andauernden Einschränkungen.
Belinda reagiert völlig entsetzt
Die rebellische Amma gesteht Belinda in einer Schlüsselszene des Romans dann, dass sie sich in ein anderes Mädchen verliebt und mit diesem auch Sex gehabt habe. Belinda reagiert völlig entsetzt auf dieses offen lesbische Bekenntnis.
Donkor gesteht, in dem Fall sei es ihm schwer gefallen, darüber zu schreiben. "Ich habe lange über diesen Punkt nachgedacht. Die Beichte, wenn man das so nennen will, die Amma dort leistet, die Art, wie Belinda reagiert, ist aber doch letztendlich sehr realistisch."
Belinda komme eben aus einem Dorf mit einem sehr traditionellen Hintergrund. In ihrer Welt stehen Männer für gewisse Werte und Frauen stehen auch für gewisse Werte. Und Belinda habe Schwierigkeiten mit jemandem, der anders ist und von diesem Bild abweicht. Sie habe keine Erfahrung im Umgang mit Menschen, die von dieser Norm abweichen; sie kenne nichts anderes als Heterosexualität.
Außerdem ist London für Belinda absolut positiv besetzt. London ist für sie die Chance weiterzukommen. "Und plötzlich ist an diesem Ort, der ihr so viele Chancen gibt, noch eine andere Komponente, nämlich etwas dunkles, diese sündige Seite", sagt Donkor.
Diese Seite komme für sie völlig unerwartet, sagt der Autor. Hinzu komme, dass sie sich irgendwie schuldig fühle; und meint, dass mit ihr etwas nicht stimme, dass sie selber gesündigt habe und dass sie Amma in gewisser Weise beschmutzt habe.
Respekt vor der älteren Generation
Amma hingegen, so Donkor, habe, wie viele junge Ghanaer eine klare Vorstellung davon, was ihre Eltern von ihr erwartet in Bezug auf ihre berufliche Entwicklung, ihren Lebensstil und auch in Bezug auf die Wahl ihres Partners. Aus Respekt vor der älteren Generation wolle keiner dieser jungen Ghanaer seine Eltern enttäuschen. Und Amma weiß, ihre Eltern wären unglücklich, wenn sie offen über ihre Sexualität sprechen würde.
Was aber für jemanden wie Amma noch schlimmer sei als ihre Homosexualität, sagt Donkor, sei, dass sie überhaupt keine Chance habe, darüber zu sprechen. Die Eltern schweigen zum Thema Sexualität und das sei für Ghanaer typisch – ganz egal, ob sie in Ghana bleiben oder als Einwanderer im Westen leben würden. "Dieses Schweigen ist etwas sehr Belastendes", meint Donkor.
Sprachliche Vielfalt Ghanas
Beim Schreiben des Buches habe er auch die sprachliche Vielfalt der ghanaischen Kultur wiedergeben wollen. Twi, eine der ghanaischen Amtssprachen, sei ganz typisch für die Ghanaer, die in Großbritannien aufgewachsen sind. Das ghanaische Englisch sei auf eine Weise einmalig.
Es speise sich aus den Einflüssen amerikanischer Musik oder Fernsehserien. Hinzu komme noch ein altmodisches, koloniales Englisch, das auch Belinda im Buch spreche, als sie noch in Ghana lebt. Diese Vielfalt der Sprache und Dialekte habe er zeigen wollen.
In England gebe es einige Autoren, die dieses koloniale Erbe beschäftigten. Zadie Smith etwa interessiere sich ebenfalls sehr für die Multi-Ethnizität Englands. "Ich glaube auch, dass es sich in der britischen Literatur weiter ausbreiten wird, dass sich Autoren damit auseinandersetzen, auch eben Ghanaer, die nach Großbritannien gekommen sind."