Eigentlich sollte diesem Buch eine Warnung vorangestellt sein, eine Art Haftungsausschluss, ein Disclaimer: Achtung! Dies ist keine der trockenen, aber wissenschaftlich ausgewogenen Abhandlungen über historische Ereignisse, Entwicklungen und Zusammenhänge. Wer Geschichte neu erzählen will, so demonstriert Michael Harriot in seiner laut Untertitel „wahren Geschichte der USA“, der sollte dieser Erzählung auch eine entsprechend neue Form geben.
Es wäre ein Leichtes, die Geschichte Amerikas auf den Kopf zu stellen und die Kolonisatoren als die Bösen darzustellen. Doch die Männer, die sich an Bord der Susan Constant, Discovery und Godspeed begaben, waren viel zu unfähig, um sie als böse zu bezeichnen. Obwohl sie in ihrer Heimat noch niemals etwas erwirtschaftet oder errichtet hatten, waren diese Clowns fest davon überzeugt, sie könnten übers Meer segeln und einen ganzen Kontinent erobern. Von allen erobernden Kulturen weltweit sind die Engländer vielleicht die unqualifiziertesten. Aber von Einbildung verstanden sie etwas, das muss man ihnen lassen.
Michael Harriot in "Black as F***. Die wahre Geschichte der USA"
Was also von Beginn an überrascht, ist der Ton dieser Erzählung. Er ist spöttisch, ironisch, manchmal sarkastisch, dann wieder so behutsam, wie man einem Fünfjährigen erklärt, was damals wirklich passiert ist und welche Absichten darin zutage traten.
Wie die USA zur Weltmacht aufstieg
Aber sehr bald überraschen auch die Zutaten dieser Erzählung und die Kühnheit des Autors, sie zu einem neuen, ganz anderen Narrativ zu arrangieren. Die Tölpelhaftigkeit der europäischen Königshäuser etwa, die tatsächlich glaubten, mit einem Federstrich die ganze Welt, die damals bekannte wie auch die noch unbekannte, unter sich aufteilen zu können. Die Strategie hinter dem Bürgerkrieg, in dem es viel weniger um die Befreiung der Sklaven und die Abschaffung der Sklaverei ging als um den Ausbau einer politisch mächtigen, schlagkräftigen Union.
Oder der Heldenmut der afroamerikanischen Frauen, unter denen die nachmals berühmte Rosa Parks nur eine von vielen war, die sich 1955 in Montgomery, Alabama, eine nach der anderen auf einen für weiße Fahrgäste reservierten Platz im Bus setzten, mutwillig ihre Verhaftung provozierten – bis die Empörung über Rassismus weite Teiles des Landes erfasst hatte. Galten nicht bislang ganz andere, auffälligere Persönlichkeiten als die großen Helden der Bürgerrechtsbewegung?
Im Gegensatz zu den Frauen, die für ihre Rechte eingestanden waren, hielt sich Reverend Martin Luther King jr. zurück. Er wünschte sich eine unauffälligere Position, mit der er die Führungsriege der Stadt nicht gegen sich aufbringen würde. Als Leiter der Montgomery Improvement Association MIA verlangte King nicht, dass die Stadt die Segregation in den Bussen aufhob. Stattdessen forderte die MIA die Sitzplatzvergabe nach Verfügbarkeit sowie mehr afroamerikanische Busfahrer auf den vorrangig von Schwarzen genutzten Strecken und einen höflichen Umgang mit Schwarzen Fahrgästen.
Michael Harriot in "Black as F***. Die wahre Geschichte der USA"
Harriot spottet also. Erzählt Geschichten aus seiner Kindheit, zitiert aus der Bibel, rechnet vor, wie viele schwarze Wähler für welchen Präsidenten gestimmt haben, streut eine Episode mit seiner Großmutter ein, die ihn mit nächtelangen Gebeten und einem wirklich sehr ungewöhnlichen Zaubertrank von einem Frosch im Hals befreit, und verrät sogar das geheime Rezept seiner Tante Phyllis für Brathühnchen; die Zutaten: 34 Prozent Einfallsreichtum, 94 Prozent Exzellenz und 100 Prozent Schwarzsein.
Harriot führt neue Helden und Lernkontrollen ein
Und ja, manchmal übertreibt er es. Manchmal nervt die Aussicht schon beim nächsten Umblättern wieder auf einen Fragebogen und Hausaufgaben wie in der Schule zu stoßen oder auf die queere Sängerin und Gitarristin Sister Rosetta Tharpe, die den Rock'n'Roll erfunden haben soll und zum Idol für Eric Clapton wurde.
Aber vielleicht ist das alles anders nicht auszuhalten: die legalisierte Unterdrückung der Schwarzen, die Dummheit und Arroganz einer bis heute virulenten Kultur des Rassismus, der fortgesetzte Einfluss des Ku-Klux-Klans oder die unfassbare Grausamkeit der Lynchjustiz, die vielleicht Geschichte ist, aber gar so lange auch wieder nicht zurückliegt.
David Walker wurde getötet, weil er respektlos mit einer weißen Frau sprach, was 1908 in Hickman, Kentucky, ein Tabu war. Der Mob durchlöcherte Walkers Frau Annie und ihr jüngstes Kind mit Kugeln, als sie aus ihrem brennenden Haus flohen. Dann erschossen die Männer drei weitere von Walkers Kindern. Da der älteste Sohn sich noch im Haus befand, setzten die nächtlichen Eindringlinge es sicherheitshalber auch noch in Brand. Sehen Sie? Es gibt immer einen Grund.
Michael Harriot in "Black as F***. Die wahre Geschichte der USA"
Was Trump und die USA gemeinsam haben
Der Maßstab dieser ungewöhnlichen Form der Geschichtsschreibung ist: Bekommt Michael Harriot die Fäden am Ende wieder zusammen? Ergibt sich daraus eine plausible, funktionierende, vielleicht sogar notwendige Alternative? Die Antwort: Doch, es lohnt sich zumindest mal, sehr intensiv darüber nachzudenken.
Donald Trump gelangte genau so zu seinem Reichtum, wie auch Amerika es geschafft hatte: durch die Aneignung von Land, durch Profit aus illegalen Finanzgeschäften, das Hereinlegen der Massen und die Weigerung, Schwarze und dunkelhäutige Menschen für ihre Arbeit zu bezahlen. Er wurde durch ein System, das die weißen Menschen für ihr Weißsein belohnt, zum mächtigsten Mann im mächtigsten Land der Erde. Er besitzt keine außergewöhnliche Intelligenz oder Expertise, sondern hat seine weißen Mitverschwörer schlichtweg davon überzeugt, dass sie nur erfolgreich sein können, wenn sie den Menschen, die anders aussehen als sie, mit dem Fuß den Hals zudrücken. Donald Trump ist Amerika.
Michael Harriot in „Black as F***. Die wahre Geschichte der USA“
Zum Schluss, alle Prüfungsfragen zum Thema Bürgerrechtsbewegung und Rassismus, zur Rolle der Kirche und dem Anteil der Sklaven am Reichtum des Landes sind gestellt, da präsentiert Harriot eine Aufgabe, deren Lösung alles, vom Beginn der Sklaverei über die Widerstandskämpfe, den Bürgerkrieg, die Bürgerrechtsbewegung bis in die Gegenwart der neuen Ära Trump – alles noch einmal auf den Kopf stellen würde. Sie lautet: "Erschaffen Sie ein post-rassistisches Amerika." Na, viel Erfolg!