"Michael Jackson hat so nicht existiert"
Nach dem Tod des Musikers Michael Jackson trauere die Welt um einen Menschen, den es so nicht gegeben habe, sagt der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Von Jackson existiere ein konstruiertes Bild, zusammengesetzt aus Videoclips, Geschichten um Missbrauchsprozesse und PR-Strategien.
Dieter Kassel: Vor neun Tagen war Michael Jackson ein Mensch, der im Fernsehen höchstens noch dann vorkam, wenn es Sendungen über die schlimmsten missglückten Schönheitsoperationen der ehemaligen Promis gab. Man erinnerte gelegentlich daran, dass er mehrmals vor Gericht stand wegen angeblicher Kinderschändung, und man stellte gelegentlich fest, dass es eigentlich schon ein Vierteljahrhundert her ist, dass er die letzte richtig gute Platte gemacht hat. Wie gesagt, das war Michael Jackson vor neun Tagen. Seit ziemlich genau einer Woche ist das anders. Seit ziemlich genau einer Woche ist er wieder der King of Pop, sein Song "Thriller" stieg von null auf eins in die britischen Charts. Das war der Anfang einer Entwicklung, inzwischen gibt es neun Songs in den britischen Top 40 von ihm. In Deutschland, in den USA, überall auf der Welt sieht das nicht anders aus. Eigentlich wundert das auch nicht, denn das ist ja so, wenn Prominente sterben, dann werden sie zum Mythos und dann sind sie oft erfolgreicher als jemals zu Lebzeiten. Aber warum eigentlich? Darüber wollen wir jetzt mit Bernhard Pörksen reden. Er ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen und Co-Autor der Bücher "Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung" und "Medienmenschen: Wie man Wirklichkeit inszeniert". Schönen guten Tag, Herr Pörksen!
Bernhard Pörksen: Ich grüße Sie, hallo!
Kassel: Als Sie, sei es vielleicht noch spät Donnerstag Nacht oder irgendwann Freitag früh erfahren haben letzte Woche, Michael Jackson ist tot, war Ihnen da schon klar, dass es genauso kommen müsste, wie es jetzt gekommen ist, oder hätt’s auch noch die Möglichkeit gegeben, dass alles anders läuft?
Pörksen: Nein, das war völlig absehbar. Sie sehen daran, Medien interessieren sich für Extreme, der Tod ist natürlich ein Extrem. Medien berichten nicht über Alltag, sondern über den Bruch mit dem Alltag, dem Bruch mit der Normalität. Und dieses war, auch wenn es vielleicht etwas zynisch klingen mag, noch einmal die ideale Gelegenheit, alles auszubreiten, was es um diesen bizarren Menschen und sein merkwürdiges Leben, das wir ja nur aus den Medien kennen, zu berichten gibt oder zu berichten geben mag. Das Interessante ist für mich, es wird offenbar global um einen Menschen getrauert, den es in gewissem Sinne gar nicht gegeben hat, der nie existiert hat, der nur in unserem Kopf besteht, der sich zusammensetzt aus Videoclips, aus Geschichten um Missbrauchsprozesse, aus Strategien seiner PR-Leute, seiner PR-Leute aus scheinbar authentischen Enthüllungen von irgendwelchen Leuten, die auch jetzt wieder zu Wort kommen und die ihn angeblich gut kannten. Also wir trauern um einen Menschen in einem globalen Maßstab, den es so nicht gegeben hat, das kann man gewiss sagen, und den wir allenfalls aus den Medien kennen. Das heißt auch, Medien organisieren unsere Gefühle, sie organisieren uns als Erregungs- und Gefühlsgemeinschaft.
Kassel: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Tod, denn wir wissen ja immer noch nicht genau, ob es nun Medikamentenmissbrauch war, Selbstmord, Unfall, was auch immer?
Pörksen: Der Tod ist, ja, das maximale Extrem, über das berichtet werden kann, und er hat vor allem – das ist bei Stars dieser Größenordnung immer wieder der Fall, immer wieder zu beobachten – eine Art Informationsvakuum erzeugt oder hinterlassen. Denn man weiß nicht genau, was passiert ist. Jetzt ist die Frage, was machen Medien mit diesem Informationsvakuum, wie reagieren sie darauf? Das Einzige, was wir sicher wissen, ist, Michael Jackson ist tot. Und was jetzt passiert, das wäre meine These dieses Informationsvakuums: Wie ist er eigentlich zu Tode gekommen, was ist genau der Hintergrund, hat sich der Arzt problematisch verhalten, waren die Krankenschwestern oder die Ärzte nicht schnell genug da? Dieses faktische Informationsvakuum wird jetzt gefüllt durch etwas, was man eine Konfliktprojektion nennen könnte. Also man weiß nicht genau, was passiert ist, aber man kann jetzt lernen, wenn man die Medien beobachtet, wie Medien eigentlich funktionieren. Auf einmal ist die Rede von Kriminalität und Verbrechen, es kursieren die ersten Verschwörungstheorien, wir denken nach über die Sexualität Michael Jacksons, über die Zeugung seiner Kinder, es ist die Frage, wie das Verhältnis zu seinem Vater war, der merkwürdige Arzt wird als Hintergrundfigur ins Spiel gebracht. All dies sind Konfliktprojektionen, um auf ein Informationsvakuum zu reagieren, das sich immer dann ergibt, wenn ein Megastar stirbt und nicht mehr lebt.
Kassel: Nun könnte man gerade auch wegen der Verschwörungstheorien, die Sie erwähnt haben, jetzt sofort nach dem Internet fragen, weil wir wissen, das ist das Eldorado sämtlicher Verschwörungstheoretiker. Andererseits – ich tu das jetzt mal nicht – andererseits, wenn wir einen Fall wie Elvis Presley nehmen, also als er gestorben ist, gab es kein Internet und es gab auch noch sehr viel weniger andere Medien als jetzt, aber auch da setzten doch die Verschwörungstheorien sofort ein. Bis heute gibt es Menschen, die behaupten, dass Elvis Presley noch lebt, sie haben ihn auch selber gesehen. Also ist das vielleicht nicht nur ’ne Mediengeschichte, sondern fast schon menschliches Bedürfnis, sich so was zu erfinden?
Pörksen: Ja, Verschwörungstheorien sind natürlich ja klar tolle Erklärungsmuster. Man hat ein klares Gut-Böse-Schema in der Regel und man kann eine Verschwörung nicht beweisen, also ist sie wahr. Wie will man beweisen, dass eine Verschwörung nicht stimmt? Das Indiz dafür, dass man sie nicht beweisen kann, ist ja gleichzeitig auch ein Indikator für die besondere Raffinesse der Verschwörer, die eben so raffiniert vorgehen, dass sie alle Spuren verwischen. Also Verschwörungstheorien sind Muster, um Komplexität zu reduzieren und Erklärungen für Phänomene zu haben, für die man eigentlich keine Erklärung hat. Was sich aber zeigt im Unterschied, wenn Sie denken, im Unterschied Michael Jackson und Elvis Presley, ist eine ganz andere, gleichsam globale Medienmaschine. Bei Elvis Presley waren, wenn ich richtig informiert bin, etwa 80.000 Leute zur Beerdigung. Hier reden wir darüber, ob vielleicht 750.000 oder eine Millionen Menschen zusammenkommen und eine Weltgemeinde, eine Art globales Dorf nun einem solchen Trauergottesdienst oder was immer es nun werden wird, beiwohnt. Und wir haben vor allem das Netz, also wir haben die Unmittelbarkeit, die Schnelligkeit der Berichterstattung, die eine ganz neue Dimension erreicht hat.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über das Phänomen "Star tot, Mythos lebt". Anlass ist Michael Jackson, aber wir haben jetzt schon Elvis Presley als Vergleich gehabt, lassen Sie uns mal nicht ganz so weit zurückgehen. Kommen wir doch mal zum Tod von Prinzessin Diana. Auch damals, gerade hier die Beerdigung erwähnt, ein Massenereignis. Es sind aber jetzt auch schon wieder über zehn Jahre her. Was war damals so ähnlich wie das, was wir jetzt erleben, und was war ganz anders?
Pörksen: Also ganz anders war, dass es nach diesem Todesfall, der ein Unfall war, massive Medienkritik gab. Wir haben intensiv debattiert darüber, was die Schuld der Paparazzi angeht. Die Frage war, ob sie diese Leute nun in den Tunnel hineingejagt haben und den Unfall mit verursacht haben. Es gab auch sehr viel schneller Verschwörungstheorien, es war eine sehr viel klarere Mythologisierung dieser Figur möglich. Das arme gejagte Wild, um metaphorisch zu formulieren, das von diesen schrecklichen Fotografen und von dieser Medienmeute zu Tode gehetzt wird. Michael Jackson ist eine sehr viel ambivalentere Figur. Er ist ein grandioser Musiker, ein wunderbarer Künstler, aber gleichzeitig ein offenbar – auch das wissen wir nur aus den Medien – offenbar ein sehr bizarrer Mensch. Vergleichbar ist, es handelt sich um Megastars, deren Leben in einer völlig exzessiven Weise ausgeleuchtet wurde, deren Leben unter Kamerabeobachtung stattfand, unter Medienbeobachtung stattfand. Das ist die große Gemeinsamkeit. Und Sie haben sehr viel getan, um sich zu schützen, um die Darstellung ihrer Person in einer bestimmten Weise zu konstruieren. Sie waren Medienmenschen, und wir haben – das wäre die weitere Gemeinsamkeit – keine Möglichkeit gehabt, sie tatsächlich kennenzulernen, das ist ein weiteres Merkmal. Also die Möglichkeit der persönlich-privaten Authentizitätskontrolle, wer war eine Lady Di tatsächlich, wer war Michael Jackson wirklich, die hat es nicht gegeben.
Kassel: Es gibt ganz einfache Phänomene in diesem Zusammenhang, die wie viele einfache Phänomene auf den zweiten Blick, finde ich, gar nicht so ganz leicht zu erklären sind. Am Freitag vergangener Woche, an dem Tag, an dem dann langsam irgendwann jeder wusste, dass Michael Jackson gestorben ist, da gab’s plötzlich CD-Läden in Deutschland, auch woanders auf der Welt, da war die CD "Thriller" ausverkauft. Die hatten auch nicht so viele, eigentlich gingen die gar nicht mehr so gut. Aber eigentlich ist es nicht so logisch. Warum haben Menschen plötzlich, weil da jemand tot ist, viel stärker das Bedürfnis, seine Musik zu hören als vorher? Ist das auch etwas, was die Medien erzeugen?
Pörksen: Absolut, das kann man sagen. Aufmerksamkeit setzt sich um in Geld oder in Geschäft. Deshalb gibt es jetzt auch gerade im Zuge dieses Todesfalles so ein Riesenbusiness. Eine globale Medien- und Unterhaltungsindustrie steigt sofort ein, weil sie weiß, dass Aufmerksamkeit sich in Geld verwandeln lässt. Es herrscht eine Art Aufmerksamkeitspiraterie auf dem Medienmarkt, könnte man sagen, und selbst der Vater von Michael Jackson hat das ja verstanden und ist hingegangen und hat zuerst sein neues Musiklabel präsentiert, um dann über den Tod seines Sohnes zu sprechen. Das heißt, Aufmerksamkeit lässt sich verwandeln und in Kaufhandlungen transformieren. Und das ist das, was es für Stars und Sternchen oder für wen auch immer, der etwas verkaufen will, so attraktiv macht, ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu geraten. Man kann ganz simpel damit Geld machen.
Kassel: Am Freitagabend, an diesem Tag, als wir es alle wussten, da hat das erste Fernsehprogramm sein Programm geändert, es gab um 21.45 Uhr eine kurze Sondersendung über Michael Jackson, und dann hat man in voller Länge, ich glaube 105 Minuten lang, ein altes Konzert von ihm von 1992 aus Bukarest gezeigt. Das Erste Deutsche Fernsehen, die ARD. Was sagen Sie als Medienwissenschaftler: Eine angemessene Reaktion, weil es ein relevantes Ereignis ist, das viele Leute interessiert, oder hat man da beim Spiel mitgespielt, wo vielleicht ein öffentlich-rechtlicher Sender nicht mitspielen sollte?
Pörksen: Also ich bin skeptisch bei einer sehr einfachen Medienkritik, denn wir müssen uns ja immer eine Art Beziehungsdreieck vorstellen. Wir haben auf der einen Seite das Publikum, das diese Information offenbar will und für hoch relevant hält, wir haben den Prominenten selber oder jetzt in dem Fall seine Familie, die in das Vermarktungsbusiness einsteigt, und wir haben die Medien. Also diese drei Größen muss man gerechterweise, dieses Beziehungsdreieck muss man sehen, und da funktionieren einfache Schuldzuweisungen nicht. Was man aber sehen kann oder was man zeigen kann, ist, dass der Nachrichtenfaktor Prominenz sehr, sehr hoch gehängt wird, dass also Prominentenberichterstattung en vogue ist und dass es natürlich auch eine Gefahr ist für den Journalismus selbst, dass hier Relevanzhierarchien in einer ganz merkwürdigen Weise verdreht werden und dass die Geschwindigkeit immer weiter steigt, dass es eine ganz große Hetze gibt nach dem immer neuen Scoop und dann irgendein CNN-Reporter auf der Ranch steht und zitternd vor Aufregung aus dem Testament vorliest, da fragt man sich in der Tat nach der Relevanz solcher Informationen. Aber ich würde warnen vor einer ganz einfachen Schuldzuweisung, weil alle sind beteiligt. Wenn ich da noch mal an eine Schlüsselszene des Todes von Lady Di erinnern darf: Da gab es auch sehr viele Menschen, die nun Blumen vor dem Palast abgelegt haben oder Luftballons haben steigen lassen oder Ähnliches mehr. Und vor allem aber auch ganze Gruppen von Menschen, die ihre Wut artikuliert haben auf diese schrecklichen Paparazzi, sich ungeheuer empört haben. Das Interessante war für mich, dass diese Menschen unter ihrem Arm eine Boulevardzeitung trugen oder Boulevardzeitungen überhaupt trugen, die genau diese Fotos enthielten, deren Zustandekommen sie nun aufs Äußerste empört attackierten. Also wir müssen wirklich versuchen, da in Wechselkreisläufen und in wechselseitigen Abhängigkeiten zu denken, auch wenn es die Schuldzuweisung mitunter etwas schwieriger macht.
Kassel: Ich danke Ihnen für das Gespräch. Das war der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über den Fall Michael Jackson und das, was erwartungsgemäß in der vergangenen Woche passiert ist. Danke schön!
Pörksen: Danke auch!
Bernhard Pörksen: Ich grüße Sie, hallo!
Kassel: Als Sie, sei es vielleicht noch spät Donnerstag Nacht oder irgendwann Freitag früh erfahren haben letzte Woche, Michael Jackson ist tot, war Ihnen da schon klar, dass es genauso kommen müsste, wie es jetzt gekommen ist, oder hätt’s auch noch die Möglichkeit gegeben, dass alles anders läuft?
Pörksen: Nein, das war völlig absehbar. Sie sehen daran, Medien interessieren sich für Extreme, der Tod ist natürlich ein Extrem. Medien berichten nicht über Alltag, sondern über den Bruch mit dem Alltag, dem Bruch mit der Normalität. Und dieses war, auch wenn es vielleicht etwas zynisch klingen mag, noch einmal die ideale Gelegenheit, alles auszubreiten, was es um diesen bizarren Menschen und sein merkwürdiges Leben, das wir ja nur aus den Medien kennen, zu berichten gibt oder zu berichten geben mag. Das Interessante ist für mich, es wird offenbar global um einen Menschen getrauert, den es in gewissem Sinne gar nicht gegeben hat, der nie existiert hat, der nur in unserem Kopf besteht, der sich zusammensetzt aus Videoclips, aus Geschichten um Missbrauchsprozesse, aus Strategien seiner PR-Leute, seiner PR-Leute aus scheinbar authentischen Enthüllungen von irgendwelchen Leuten, die auch jetzt wieder zu Wort kommen und die ihn angeblich gut kannten. Also wir trauern um einen Menschen in einem globalen Maßstab, den es so nicht gegeben hat, das kann man gewiss sagen, und den wir allenfalls aus den Medien kennen. Das heißt auch, Medien organisieren unsere Gefühle, sie organisieren uns als Erregungs- und Gefühlsgemeinschaft.
Kassel: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Tod, denn wir wissen ja immer noch nicht genau, ob es nun Medikamentenmissbrauch war, Selbstmord, Unfall, was auch immer?
Pörksen: Der Tod ist, ja, das maximale Extrem, über das berichtet werden kann, und er hat vor allem – das ist bei Stars dieser Größenordnung immer wieder der Fall, immer wieder zu beobachten – eine Art Informationsvakuum erzeugt oder hinterlassen. Denn man weiß nicht genau, was passiert ist. Jetzt ist die Frage, was machen Medien mit diesem Informationsvakuum, wie reagieren sie darauf? Das Einzige, was wir sicher wissen, ist, Michael Jackson ist tot. Und was jetzt passiert, das wäre meine These dieses Informationsvakuums: Wie ist er eigentlich zu Tode gekommen, was ist genau der Hintergrund, hat sich der Arzt problematisch verhalten, waren die Krankenschwestern oder die Ärzte nicht schnell genug da? Dieses faktische Informationsvakuum wird jetzt gefüllt durch etwas, was man eine Konfliktprojektion nennen könnte. Also man weiß nicht genau, was passiert ist, aber man kann jetzt lernen, wenn man die Medien beobachtet, wie Medien eigentlich funktionieren. Auf einmal ist die Rede von Kriminalität und Verbrechen, es kursieren die ersten Verschwörungstheorien, wir denken nach über die Sexualität Michael Jacksons, über die Zeugung seiner Kinder, es ist die Frage, wie das Verhältnis zu seinem Vater war, der merkwürdige Arzt wird als Hintergrundfigur ins Spiel gebracht. All dies sind Konfliktprojektionen, um auf ein Informationsvakuum zu reagieren, das sich immer dann ergibt, wenn ein Megastar stirbt und nicht mehr lebt.
Kassel: Nun könnte man gerade auch wegen der Verschwörungstheorien, die Sie erwähnt haben, jetzt sofort nach dem Internet fragen, weil wir wissen, das ist das Eldorado sämtlicher Verschwörungstheoretiker. Andererseits – ich tu das jetzt mal nicht – andererseits, wenn wir einen Fall wie Elvis Presley nehmen, also als er gestorben ist, gab es kein Internet und es gab auch noch sehr viel weniger andere Medien als jetzt, aber auch da setzten doch die Verschwörungstheorien sofort ein. Bis heute gibt es Menschen, die behaupten, dass Elvis Presley noch lebt, sie haben ihn auch selber gesehen. Also ist das vielleicht nicht nur ’ne Mediengeschichte, sondern fast schon menschliches Bedürfnis, sich so was zu erfinden?
Pörksen: Ja, Verschwörungstheorien sind natürlich ja klar tolle Erklärungsmuster. Man hat ein klares Gut-Böse-Schema in der Regel und man kann eine Verschwörung nicht beweisen, also ist sie wahr. Wie will man beweisen, dass eine Verschwörung nicht stimmt? Das Indiz dafür, dass man sie nicht beweisen kann, ist ja gleichzeitig auch ein Indikator für die besondere Raffinesse der Verschwörer, die eben so raffiniert vorgehen, dass sie alle Spuren verwischen. Also Verschwörungstheorien sind Muster, um Komplexität zu reduzieren und Erklärungen für Phänomene zu haben, für die man eigentlich keine Erklärung hat. Was sich aber zeigt im Unterschied, wenn Sie denken, im Unterschied Michael Jackson und Elvis Presley, ist eine ganz andere, gleichsam globale Medienmaschine. Bei Elvis Presley waren, wenn ich richtig informiert bin, etwa 80.000 Leute zur Beerdigung. Hier reden wir darüber, ob vielleicht 750.000 oder eine Millionen Menschen zusammenkommen und eine Weltgemeinde, eine Art globales Dorf nun einem solchen Trauergottesdienst oder was immer es nun werden wird, beiwohnt. Und wir haben vor allem das Netz, also wir haben die Unmittelbarkeit, die Schnelligkeit der Berichterstattung, die eine ganz neue Dimension erreicht hat.
Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über das Phänomen "Star tot, Mythos lebt". Anlass ist Michael Jackson, aber wir haben jetzt schon Elvis Presley als Vergleich gehabt, lassen Sie uns mal nicht ganz so weit zurückgehen. Kommen wir doch mal zum Tod von Prinzessin Diana. Auch damals, gerade hier die Beerdigung erwähnt, ein Massenereignis. Es sind aber jetzt auch schon wieder über zehn Jahre her. Was war damals so ähnlich wie das, was wir jetzt erleben, und was war ganz anders?
Pörksen: Also ganz anders war, dass es nach diesem Todesfall, der ein Unfall war, massive Medienkritik gab. Wir haben intensiv debattiert darüber, was die Schuld der Paparazzi angeht. Die Frage war, ob sie diese Leute nun in den Tunnel hineingejagt haben und den Unfall mit verursacht haben. Es gab auch sehr viel schneller Verschwörungstheorien, es war eine sehr viel klarere Mythologisierung dieser Figur möglich. Das arme gejagte Wild, um metaphorisch zu formulieren, das von diesen schrecklichen Fotografen und von dieser Medienmeute zu Tode gehetzt wird. Michael Jackson ist eine sehr viel ambivalentere Figur. Er ist ein grandioser Musiker, ein wunderbarer Künstler, aber gleichzeitig ein offenbar – auch das wissen wir nur aus den Medien – offenbar ein sehr bizarrer Mensch. Vergleichbar ist, es handelt sich um Megastars, deren Leben in einer völlig exzessiven Weise ausgeleuchtet wurde, deren Leben unter Kamerabeobachtung stattfand, unter Medienbeobachtung stattfand. Das ist die große Gemeinsamkeit. Und Sie haben sehr viel getan, um sich zu schützen, um die Darstellung ihrer Person in einer bestimmten Weise zu konstruieren. Sie waren Medienmenschen, und wir haben – das wäre die weitere Gemeinsamkeit – keine Möglichkeit gehabt, sie tatsächlich kennenzulernen, das ist ein weiteres Merkmal. Also die Möglichkeit der persönlich-privaten Authentizitätskontrolle, wer war eine Lady Di tatsächlich, wer war Michael Jackson wirklich, die hat es nicht gegeben.
Kassel: Es gibt ganz einfache Phänomene in diesem Zusammenhang, die wie viele einfache Phänomene auf den zweiten Blick, finde ich, gar nicht so ganz leicht zu erklären sind. Am Freitag vergangener Woche, an dem Tag, an dem dann langsam irgendwann jeder wusste, dass Michael Jackson gestorben ist, da gab’s plötzlich CD-Läden in Deutschland, auch woanders auf der Welt, da war die CD "Thriller" ausverkauft. Die hatten auch nicht so viele, eigentlich gingen die gar nicht mehr so gut. Aber eigentlich ist es nicht so logisch. Warum haben Menschen plötzlich, weil da jemand tot ist, viel stärker das Bedürfnis, seine Musik zu hören als vorher? Ist das auch etwas, was die Medien erzeugen?
Pörksen: Absolut, das kann man sagen. Aufmerksamkeit setzt sich um in Geld oder in Geschäft. Deshalb gibt es jetzt auch gerade im Zuge dieses Todesfalles so ein Riesenbusiness. Eine globale Medien- und Unterhaltungsindustrie steigt sofort ein, weil sie weiß, dass Aufmerksamkeit sich in Geld verwandeln lässt. Es herrscht eine Art Aufmerksamkeitspiraterie auf dem Medienmarkt, könnte man sagen, und selbst der Vater von Michael Jackson hat das ja verstanden und ist hingegangen und hat zuerst sein neues Musiklabel präsentiert, um dann über den Tod seines Sohnes zu sprechen. Das heißt, Aufmerksamkeit lässt sich verwandeln und in Kaufhandlungen transformieren. Und das ist das, was es für Stars und Sternchen oder für wen auch immer, der etwas verkaufen will, so attraktiv macht, ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu geraten. Man kann ganz simpel damit Geld machen.
Kassel: Am Freitagabend, an diesem Tag, als wir es alle wussten, da hat das erste Fernsehprogramm sein Programm geändert, es gab um 21.45 Uhr eine kurze Sondersendung über Michael Jackson, und dann hat man in voller Länge, ich glaube 105 Minuten lang, ein altes Konzert von ihm von 1992 aus Bukarest gezeigt. Das Erste Deutsche Fernsehen, die ARD. Was sagen Sie als Medienwissenschaftler: Eine angemessene Reaktion, weil es ein relevantes Ereignis ist, das viele Leute interessiert, oder hat man da beim Spiel mitgespielt, wo vielleicht ein öffentlich-rechtlicher Sender nicht mitspielen sollte?
Pörksen: Also ich bin skeptisch bei einer sehr einfachen Medienkritik, denn wir müssen uns ja immer eine Art Beziehungsdreieck vorstellen. Wir haben auf der einen Seite das Publikum, das diese Information offenbar will und für hoch relevant hält, wir haben den Prominenten selber oder jetzt in dem Fall seine Familie, die in das Vermarktungsbusiness einsteigt, und wir haben die Medien. Also diese drei Größen muss man gerechterweise, dieses Beziehungsdreieck muss man sehen, und da funktionieren einfache Schuldzuweisungen nicht. Was man aber sehen kann oder was man zeigen kann, ist, dass der Nachrichtenfaktor Prominenz sehr, sehr hoch gehängt wird, dass also Prominentenberichterstattung en vogue ist und dass es natürlich auch eine Gefahr ist für den Journalismus selbst, dass hier Relevanzhierarchien in einer ganz merkwürdigen Weise verdreht werden und dass die Geschwindigkeit immer weiter steigt, dass es eine ganz große Hetze gibt nach dem immer neuen Scoop und dann irgendein CNN-Reporter auf der Ranch steht und zitternd vor Aufregung aus dem Testament vorliest, da fragt man sich in der Tat nach der Relevanz solcher Informationen. Aber ich würde warnen vor einer ganz einfachen Schuldzuweisung, weil alle sind beteiligt. Wenn ich da noch mal an eine Schlüsselszene des Todes von Lady Di erinnern darf: Da gab es auch sehr viele Menschen, die nun Blumen vor dem Palast abgelegt haben oder Luftballons haben steigen lassen oder Ähnliches mehr. Und vor allem aber auch ganze Gruppen von Menschen, die ihre Wut artikuliert haben auf diese schrecklichen Paparazzi, sich ungeheuer empört haben. Das Interessante war für mich, dass diese Menschen unter ihrem Arm eine Boulevardzeitung trugen oder Boulevardzeitungen überhaupt trugen, die genau diese Fotos enthielten, deren Zustandekommen sie nun aufs Äußerste empört attackierten. Also wir müssen wirklich versuchen, da in Wechselkreisläufen und in wechselseitigen Abhängigkeiten zu denken, auch wenn es die Schuldzuweisung mitunter etwas schwieriger macht.
Kassel: Ich danke Ihnen für das Gespräch. Das war der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über den Fall Michael Jackson und das, was erwartungsgemäß in der vergangenen Woche passiert ist. Danke schön!
Pörksen: Danke auch!