Michael Köhlmeier, Konrad Paul Liessmann: "Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist, Adam? Mythologisch-philosophische Verführungen"
Hanser, München 2016
224 Seiten, 22 Euro
Mythologische Verführungen
Aus den tradierten Geschichten entfalten die Autoren menschliche und philosophische Grundfragen. "Wer hat dir gesagt, dass Du nackt bist, Adam?" von Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann erklärt die Welt der Mythen.
Seit Platon sind die Dichter im Reich der Philosophie nicht unbedingt wohlgelitten. Dichten und Denken standen immer wieder in unguter Konkurrenz zueinander, und es waren die Ausnahmen, wenn etwa Heidegger mit Hölderlin der Dichtung hinterherdachte oder Nietzsche nicht nur mit dem Hammer, sondern auch mit seiner Lyrik philosophierte. Dabei handelt es sich beim Dichten und beim Denken doch um zwei verwandte Arten, dem Wissen oder vielmehr der Weisheit näherzukommen, im Dichten mittels Unschärfe und Bedeutungsvarianz der Worte, im Denken mittels Klarheit der Begriffe.
Menschliche und philosophische Grundfragen
Nichts ist deshalb so verführerisch wie die Begegnung von Literatur und Philosophie oder, wie in diesem Fall, von Erzählung und ihrer Deutung. Es sind menschliche und also philosophische Grundfragen wie die nach dem Ich, nach der Freiheit, nach Schönheit, Lust oder Gewalt, die der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier und der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann jeweils aus ihrem Metier heraus angehen. Zu Begriffen wie "Neugier", "Geheimnis", "Macht" oder "Rache" gibt es zuerst eine Geschichte aus dem Reservoir der griechischen Götter-Mythen, des Alten Testaments oder der Märchen – auf die dann eine philosophische Annäherung folgt. Köhlmeiers Nach- und Neuerzählungen sind das Primäre und Wesentliche. Doch Liessmann schafft es ein ums andere Mal, mit seinen Interpretationen den Bedeutungsraum zu erschließen und zu erweitern. Auf das Geheimnis der Mythen antwortet er mit dem Abenteuer des Denkens.
"Die Musen verstehen es, in allen Dingen der Welt das Schöne zu sehen"
Ob in der Geschichte von Adam und Eva, die mit dem Fall Luzifers aus dem Paradies abgeschlossen wird, oder der Geschichte von Hiob, in der Luzifer Gott in eine Wette ums Seelenheil seines Gefolgsmannes zwingt – stets bietet Köhlmeier überraschende Abweichungen oder apokryphe Anreicherungen der kanonischen Stoffe. Den Mythos des Wettkamps von Apoll mit dem Satyr Marsyas, die um die Wette musizieren, endet bei ihm nicht nur damit, dass der Gott der Künste dem armen Herausforderer auf bestialische Weise die Haut abzieht, sondern mit der Ungerührtheit der Musen, die die Jury bilden und die das Geschrei des Opfers als Musik hören. Denn, so heißt es bei Köhlmeier, "die Musen verstehen es, in allen Dingen der Welt das Schöne zu sehen." Mit solchen Pointen liefert er bereits im Erzählen eine Deutung mit. Mythen transportieren ein Wissen, das immer schon da ist und nur noch ergriffen werden muss.
Wissen, das noch ergriffen werden muss
Liessmann beginnt jede seiner Lesarten mit der Formel: "Nichts ist so verführerisch wie …" Verführerisch ist mal die Vollkommenheit, dann der Blick auf das eigene Selbst, mal ist es die Aussicht, die Natur zu überlisten oder es sind die Tränen einer schönen Frau. Jedes Mal ist man geneigt, dem Philosophen zu folgen. Doch die zwölffache Wiederholung des "nichts als" enthält zugleich eine Mahnung: Nichts ist so verführerisch wie das Denken, das sich an sich selbst berauscht. Die Lust am Lesen und am Denken, die dieses spielerische Buch auslebt, bleibt davon aber unberührt.
Menschliche und philosophische Grundfragen
Nichts ist deshalb so verführerisch wie die Begegnung von Literatur und Philosophie oder, wie in diesem Fall, von Erzählung und ihrer Deutung. Es sind menschliche und also philosophische Grundfragen wie die nach dem Ich, nach der Freiheit, nach Schönheit, Lust oder Gewalt, die der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier und der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann jeweils aus ihrem Metier heraus angehen. Zu Begriffen wie "Neugier", "Geheimnis", "Macht" oder "Rache" gibt es zuerst eine Geschichte aus dem Reservoir der griechischen Götter-Mythen, des Alten Testaments oder der Märchen – auf die dann eine philosophische Annäherung folgt. Köhlmeiers Nach- und Neuerzählungen sind das Primäre und Wesentliche. Doch Liessmann schafft es ein ums andere Mal, mit seinen Interpretationen den Bedeutungsraum zu erschließen und zu erweitern. Auf das Geheimnis der Mythen antwortet er mit dem Abenteuer des Denkens.
"Die Musen verstehen es, in allen Dingen der Welt das Schöne zu sehen"
Ob in der Geschichte von Adam und Eva, die mit dem Fall Luzifers aus dem Paradies abgeschlossen wird, oder der Geschichte von Hiob, in der Luzifer Gott in eine Wette ums Seelenheil seines Gefolgsmannes zwingt – stets bietet Köhlmeier überraschende Abweichungen oder apokryphe Anreicherungen der kanonischen Stoffe. Den Mythos des Wettkamps von Apoll mit dem Satyr Marsyas, die um die Wette musizieren, endet bei ihm nicht nur damit, dass der Gott der Künste dem armen Herausforderer auf bestialische Weise die Haut abzieht, sondern mit der Ungerührtheit der Musen, die die Jury bilden und die das Geschrei des Opfers als Musik hören. Denn, so heißt es bei Köhlmeier, "die Musen verstehen es, in allen Dingen der Welt das Schöne zu sehen." Mit solchen Pointen liefert er bereits im Erzählen eine Deutung mit. Mythen transportieren ein Wissen, das immer schon da ist und nur noch ergriffen werden muss.
Wissen, das noch ergriffen werden muss
Liessmann beginnt jede seiner Lesarten mit der Formel: "Nichts ist so verführerisch wie …" Verführerisch ist mal die Vollkommenheit, dann der Blick auf das eigene Selbst, mal ist es die Aussicht, die Natur zu überlisten oder es sind die Tränen einer schönen Frau. Jedes Mal ist man geneigt, dem Philosophen zu folgen. Doch die zwölffache Wiederholung des "nichts als" enthält zugleich eine Mahnung: Nichts ist so verführerisch wie das Denken, das sich an sich selbst berauscht. Die Lust am Lesen und am Denken, die dieses spielerische Buch auslebt, bleibt davon aber unberührt.