Michael Kumpfmüller: "Die Erziehung des Mannes"
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2016
316 Seiten, 19, 99 EUR
Der indifferente Mann
Georg, angehender Musikwissenschaftler und Held von Michael Kumpfmüllers Roman "Die Erziehung des Mannes" ist ein Opportunist – zumindest was Frauen angeht. Ausgestattet mit einem Mangel an männlicher Identität, durchlebt er einen langwierigen Sorgerechtsprozess.
"Die Erziehung des Mannes" lautet der Titel des neuen Romans von Michael Kumpfmüller und nimmt somit Gustave Flauberts berühmtes Werk "Die Erziehung des Herzens" auf. In beiden Fällen handelt es sich um Entwicklungsromane, in beiden Fällen steht ein Protagonist im Zentrum, dessen Charakter schwer greifbar und dessen Haupteigenschaft die Indifferenz ist.
Bei Flaubert bezog sich der Opportunismus nicht zuletzt auf politische Überzeugungen. Georg indes, ein Musikwissenschaftler unserer Tage und Kumpfmüllers Held, wird vor allem dann zum Opportunisten, wenn er als Liebhaber und Ehemann gefragt ist.
Die Frauen, mit denen er zu tun hat, sind nicht nur stärker als er. Sie geben die Richtung vor – und Georg folgt. Sie wissen, was sie wollen, er will es insofern auch, als ihm kraftvolle Gegenargumente fehlen.
Sieben Jahre lang führt er eine Beziehung mit Katrin, die nicht mit ihm schläft. Warum? Georg erfährt und begreift es nicht.
Dauerkrieg ums Sorgerecht
Das siebenjährige Mönchstum endet, als Julika, Jule genannt, sein Leben betritt und es entschlossen in Richtung Familiengründung lenkt. Nach der Scheidung, und nach Georgs zunächst gelingender Neubeziehung mit Sonja, erklärt Jule ihm den Dauerkrieg. Das elterliche Sorgerecht wird zu dessen Schauplatz, die drei gemeinsamen Kinder dienen als Beutemasse.
Ein jahrelanges menschliches und juristisches Gemetzel, das weite Teile der Romanhandlung beansprucht und nicht weniger gesellschaftspolitische Realität spiegelt als das Kernthema des Romans: Georgs Mangel an Männlichkeitsbildern, männlicher Identität und männlichen Rollenerwartungen. Aus seiner Indifferenz spricht der historische Abgesang des Patriarchats.
Michael Kumpfmüllers Männerroman ist nicht der erste und wird nicht der letzte sein, der sich mit den Konflikten dieses Schauspiels befasst. Man darf ihn in eine Reihe mit Thomas Hettches "Die Liebe der Väter" (2010) oder mit Ralf Bönts "Das kurze Leben des Ray Müller" (2015) stellen, die sich ebenfalls mit der Defensivposition des männlichen Geschlechts und der Schieflage des Sorgerechts befassten.
Wie in all seinen Romanen bewährt sich Kumpfmüller auch hier als eindringlicher, aber nie kalter Menschenerzähler. Dies zeigt sich nicht nur am Porträt von Georgs Vater, einem autoritären Bilderbuchscheusal, der dennoch das Recht auf seelische Nuancen erhält.
Hauptfigur bleibt blass
Es zeigt sich insbesondere bei der Darstellung von Georgs Kindern, die, jedes für sich, zu vollgültigen literarischen Figuren entfaltet werden. Gerade weil der Roman das Ensemble seiner Nebenfiguren so hell und überzeugend ausleuchtet, wird Georgs Blässe zu einem gewissen Erzählproblem. Er versteht nicht, weshalb Sonja, bis dahin eine wunderbare Stiefmutter und innig liebende Frau, von einem Tag auf den anderen aus seinem Leben entschwindet. Er versteht nicht, dass seine Indifferenz auch eine grausame Seite besitzt.
Sein Mangel an Selbstkenntnis entspricht zwar seinem Dilemma, dem Mangel an Selbstbildern. Aber ausgestattet mit dem Instrument der Ich-Erzählung müsste er in eben diesem Dilemma etwas tiefer bohren.