"Michael Morgner. Lebenslinien"
Kunstsammlungen Chemnitz
bis 31. Oktober 2022
Öffnungszeiten: dienstags, donnerstags bis sonntags und feiertags 11 bis 18 Uhr, mittwochs 14 Uhr bis 21 Uhr
"Keine Wiedervereinigung unter Künstlern"
11:02 Minuten
Zu Michael Morgners 80. Geburtstag widmen ihm die Kunstsammlungen Chemnitz eine Retrospektive. Trotzdem fühlt sich Morgner heute als Künstler zweiter Klasse. Als wirkliche "Künstler des Ostens" würden vor allem frühere "Polit-Strichjungen" gefeiert.
Seine allerfrühsten Kindheitserinnerungen? Bilder seines zerbombten Heimatdorfes Einsiedel. 97 Prozent des Ortes, der heute als Stadtteil zu Chemnitz gehört, seien im Zweiten Weltkrieg zerstört worden, erzählt der 1942 geborene Künstler Michael Morgner. Dass diese Erfahrung seinen Lebensweg mit gelenkt hat, wie Morgner sagt, zeigen nun vier Bilder in der Ausstellung "Lebenslinien" in den Kunstsammlungen Chemnitz, die ihm zum 80. Geburtstag gewidmet ist.
Fehlende Wiedervereinigung unter Künstlern
Als Mitbegründer der Künstlergruppe Clara Mosch sieht sich Morgner nicht als DDR-Künstler, sondern als Künstler "in der DDR". Er hat auch die Galerie "Oben" in Chemnitz mitgegründet. Was man seiner Meinung nach aber auch mal sagen müsse: "Ich habe immer Aufträge bekommen, ich habe immer machen können, was ich wollte, ich hab' bloß viel Ärger gehabt."
Mit Blick auf das Ende der DDR sagt Morgner: "Ich leide heute unter den Umständen, dass es unter den Künstlern Deutschlands in meinem Alter überhaupt keine Wiedervereinigung gegeben hat." Erst habe man zusammen "geheult", sich "beglückwünscht", abends zusammen gefeiert. Dann, nach etwa drei Jahren, sei wohl einigen klar geworden, dass die Künstler aus der DDR nun "geschäftsschädigend" werden könnten, so Morgner.
"Und dann ist noch der unglückliche Satz gefallen, dass wir alle Arschlöcher sind. Wer so etwas von sich gibt, ist ein Arschloch aus eigener Kraft", so Morgner. Die Beschimpfung von sich gegeben hatte der Maler und Bildhauer Georg Baselitz, der die DDR 1957 gen Westen verließ. 1990 nannte er in der Kunstzeitschrift ART die DDR-Künstler pauschal „Arschlöcher“. "Leider Gottes hat er das nie zurückgenommen", bedauert Morgner.
Nur das Einwickelpapier "wirklicher" Künstler
Von sich selbst sagt Morgner, kein Netzwerker zu sein, weder in der DDR noch heute: "Ich hatte einen leichten Größenwahn und dachte, ich brauche keine Verbindungen. Aber jetzt stellt sich raus, dass man sie braucht." Und über die heute 80- bis 85-jährigen Künstler der DDR stelle sich für Morgner heraus: "Wir sind immer noch das Einwickelpapier von wirklichen Künstlern." Man sehe das bei Versteigerungen.
Morgner findet das traurig. Gleichzeitig bedauert er, dass Künstler wie Willi Sitte und Bernhard Heisig - die damaligen "Polit-Strichjungen", wie er sagt - jetzt "groß aufgebaut" würden als die "Kunst im Osten". "Und wir stehen jetzt wieder in der Mitte und müssen uns nach zwei Seiten verteidigen", sagt Morgner über sich selbst und andere subversive Künstler in der DDR.
Heute träumt Michael Morgner davon, noch ein Einheitsdenkmal zu schaffen. Seinen "Schreitenden" würde er gern in allen vier Himmelsrichtungen platzieren. In Ahrenshoop, im Norden, steht er schon, im Osten in einer Behindertenwerkstatt, im Süden, in München, auch. Es fehle noch der Westen.