Michael Naumann: Handelt Hans Barlach im Auftrag anderer?

Michael Naumann im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Vor dem Hintergrund des Rechtsstreits der Suhrkamp-Eigentümer Ulla Unseld-Berkéwicz und Hans Barlach äußert Michael Naumann sein Unverständnis über dessen Engagement. Es sei denn, es gebe das Interesse, Suhrkamp einem größeren Konzern anzugliedern. Barlach selbst habe "null verlegerische Erfahrung".
Liane von Billerbeck: Es klingt ziemlich bedrohlich, was in diesen Tagen über den Suhrkamp Verlag zu lesen und zu hören ist. Die beiden Gesellschafter des Verlages, der vor knapp drei Jahren aus Frankfurt am Main nach Berlin gezogen ist, haben bei einem Gerichtsverfahren in Frankfurt am vorigen Mittwoch den Ausschluss des anderen Teilhabers verlangt, und da war schon vom Ende des Suhrkamp Verlages die Rede. Und gestern nun hat das Landgericht Berlin überraschend Verlagschefin Unseld-Berkéwicz entmachtet. Sie wurde als Geschäftsführerin abberufen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, aber was es für den Suhrkamp Verlag bedeuten könnte, das wollen wir jetzt mit Michael Naumann besprechen. Wir kennen ihn aus vielen Tätigkeiten, er war auch Verleger zwischen 1985 und '95, als verlegerischer Geschäftsführer bei Rowohlt. Grüß Sie, Herr Naumann!

Michael Naumann: Ja, guten Tag, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: Ulla Berkéwicz als Suhrkamp-Geschäftsführerin abberufen, auch wenn das noch nicht rechtskräftig ist, das gestrige Urteil, aber – was bedeutet das für Suhrkamp?

Naumann: Lassen Sie mich ganz kurz ausholen: Wenn man den Suhrkamp Verlag mit einer Bachschen Fuge vergleicht, dann ist Herr Barlach der Mann mit der Fahrradklingel. Er hat null verlegerische Erfahrung, Buchverlagserfahrung, und scheint eher aus der Region von merges und acquistion zu stammen, die auch in Hamburg blüht. Was er mit dem Verlag will, ist mir unbekannt. Mir ist übrigens auch die Rechtsgrundlage nicht völlig klar, warum eine mehrheitsbesitzende Verlegerin, in diesem Fall also Frau Berkéwicz, abgesetzt werden kann, obwohl ihr der Verlag wirklich gehört. Der Anteilseigner Barlach scheint irgendwie davon auszugehen, dass der Verlag, wenn die Verlagsspitze, inklusive übrigens auch der ebenfalls verurteilten, zu Geldstrafen oder Geldrückzahlungen verurteilten Spitzenlektoren des Hauses, den Laden verlassen, dass dann ihm der Rest gewissermaßen in den Schoß fällt. Da unterschätzt er aber die Loyalität der Autoren. Es wäre, falls wirklich das Ärgste geschieht, Frau Berkéwicz zu raten, einfach einen neuen Verlag zu gründen, und Sie können davon ausgehen, dass die Mehrzahl der Autoren und übrigens auch der Rechteinhaber der sogenannten Backlist ihr folgen würde.

von Billerbeck: Bleiben wir mal bei Hans Barlach. Er ist ja Minderheitengesellschafter bei Suhrkamp, hat 39 Prozent, Ulla Unseld-Berkéwicz 61 – wer ist dieser Gesellschafter eigentlich? Da steht immer unter seinen Fotos "Galerist und Medienunternehmer" und er hat ja auch angeboten, die Mehrheitsanteile von Ulla Berkéwicz zu übernehmen. Da muss man doch einigermaßen flüssig sein. Was ist das für ein Mann, und womit verdient der sein Geld?

Naumann: Nun, in der Vergangenheit hat er vor allem sein Geld verdient durch die Weiterverwertung von Abgüssen seines Großvaters Barlach. Das kennt man also aus den Anzeigen für gebrauchte Autos und ähnliches. Da gibt es überall Abgüsse, von dem singenden jungen Mann bis zu trauernden Witwen, also all die großen Werke sind in Reproduktionen mannigfacher Art auf den Markt geworfen worden von ihm, und ich glaube, eine Menge Käufer haben nun zu Hause einen Abguss, vergrößert oder verkleinert, von Barlach zu Hause liegen, und damit hat er sicherlich sein – nachvollziehbar jedenfalls – sein Geld verdient. Was er sonst noch und wer sonst noch ihn finanziert und ob überhaupt noch jemand ihn finanziert, das ist alles unbekannt. Und auch das macht es ganz deutlich, dass der Verdacht nicht völlig aus der Welt ist, dass der in Wirklichkeit im Auftrag von anderen handelt. Das ist also mein Verdacht, bitte schön, sonst nichts.

von Billerbeck: Was vermuten Sie denn dahinter oder wen vermuten Sie dahinter?

Naumann: Keine Ahnung, nicht wahr. Es gibt ja durchaus Möglichkeiten, sich in einen großen Verlag einzukaufen und ihn zu übernehmen in der Annahme, dass damit Geld zu verdienen ist. Wobei das heute sicherlich nicht mehr so einfach sein wird. Aber Tatsache ist: Was ihn nun so bewegt, gegen die Frau Berkéwicz anzugehen, ist mir völlig schleierhaft. Außer, noch einmal, es gibt ein großgeschriebenes Interesse hinter ihm, den ganzen Verlag zu übernehmen und vielleicht einem größeren Konzern anzugliedern. Das ist eine Möglichkeit. Das kann auch ein Hedgefonds-Manager aus dem Ausland sein. Weiß der Teufel – insgesamt ist dies eine sehr unappetitliche Geschichte, und ich finde sie auch außerordentlich taktlos gegenüber dem ganzen Verlag. Dieses sind alles bedeutende Schriftsteller, die zur deutschsprachigen Kultur, aber nicht nur zur deutschsprachigen, auch zur spanischen Kultur zählen, die in Deutschland verlegt werden seit vielen Jahren von diesem Haus. Das ist ein – ich halte es schon für einen ziemlich radikalen Angriff auf den Verlag. Und diese über die Hintertür gewissermaßen des Handelsgesetzbuches und des Bürgerlichen Gesetzbuches Einfluss geltend zu machen in der Verlagsspitze, ist das sicherlich Ungewöhnlichste, was es nach dem Krieg gegeben hat im deutschen Verlagsgewerbe, sehen wir einmal davon ab, dass Suhrkamp selber, als er sich vom Fischer-Verlag trennte, auch nicht ganz so fabelhaft sauber gehandelt hat, wie das heute den Eindruck macht.

von Billerbeck: Fragen wir doch mal danach, Sie haben ja jetzt mehrheitlich auf Hans Barlach, den Minderheitengesellschafter eingedroschen, sag ich mal so ungerührt – welche Fehler hat denn die Verlagsführung, hat denn möglicherweise auch Geschäftsführerin Ulla Unseld-Berkéwicz gemacht? Dass es eben zu diesen ganzen Auseinandersetzungen ja auch kommen konnte. Denn unser Kollege Jörg Plath, der hat das Verfahren gestern beobachtet und Radiofeuilleton, Deutschlandradio Kultur (MP3-Audio) hat gesagt, beide Seiten betrachten sich als Inkarnation des Bösen.

Naumann: Also ich kenne Herrn Barlach nicht persönlich, ich kenne Frau Berkéwicz sehr gut, seit weit über zehn Jahren. Und habe auch verfolgt, mit wieviel, man muss wirklich sagen, Ressentiment ihr Antritt als Verlegerin in Nachfolge ihres Mannes beobachtet worden ist in den Medien. Es stellt sich aber heraus, sie macht einen sehr guten Job, hat ein erstklassiges junges Lektorat. Die Bücher, die sie veröffentlicht, sind nicht nur kommerziell tragfähig, wie die Bestsellerliste zeigt, sondern sie verkörpern weiterhin den hohen Anspruch des Hauses. In wenigen Worten, ihre verlegerischen Fehler kann ich nicht erkennen. Das Einzige, was man ihr vorwirft, ist, dass sie die Villa in Berlin-Zehlendorf unter anderem auch auf Kosten des Verlages betreibt.

von Billerbeck: Dafür muss sie, soll sie ja jetzt auch Schadensersatz zahlen, weil dort Lesungen in ihrer Privatvilla für den Verlag stattgefunden haben.

Naumann: Ja, nicht deswegen, sondern weil sie dafür Miete in Anschlag gebracht hat. Tatsache ist aber, dass diese Lesungen tatsächlich stattfinden mit bis zu 100 Gästen. Und das kann ich auch Herrn Barlach, ich nehme an, dass er auch in einer großen Villa wohnt, nicht zumuten, niemandem kann man das zumuten. Und diese private Atmosphäre zu gewährleisten auf der einen Seite und auf der anderen Seite so viele Gäste einzuladen. Das alles aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Das ist so unüblich eigentlich nicht, dass Verlage oder Verleger, denen der Verlag gehört, in diesem Falle mehrheitlich gehört, sagen wir mal, ihre privaten Ausgaben, die sie tätigen für Verlagsveranstaltungen, dem Verlag selber in Rechung stellen. Das muss erlaubt sein, aber offenkundig scheint es dieser Richter in Berlin nicht so zu sehen. Aber noch ist das ja nicht rechtskräftig.

von Billerbeck: Nun haben wir gestern das Verfahren erlebt, das jetzt erst mal damit geendet hat, dass Ulla Unseld-Berkéwicz als Geschäftsführerin abgelöst werden soll. Peter Raue, der Anwalt von Suhrkamp, der hat gestern bei uns im Programm dazu Folgendes gesagt:

Peter Raue: Wir haben Halbzeit. Und in der Halbzeit hat er das Tor geschossen, das ist gar keine Frage, indem das Gericht festgestellt hat, dass die Anmietung ohne die Zustimmung von Barlach nicht hätte erfolgen dürfen. Mit der Folge, dass deswegen die Geschäftsführer abberufen werden. Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Sie ist daher momentan ohne jede Wirkung. Und dann müssen wir sehen, was in der zweiten Instanz geschieht. My Worst-Case-Szenario, wenn die Geschäftsführer wirksam abberufen würden, ist das ja nicht das Ende des Verlages. Dann wird man einen anderen Geschäftsführer einsetzen, der die Verlagspolitik weitermacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein solches Urteil ergeht und dass das erstinstanzliche Bestand hat, aber auch das ist nicht das Ende des Verlages. Den Verlag wird es geben.

von Billerbeck: Michael Naumann, sehen Sie das auch so wie Peter Raue?

Naumann: Sagen wir mal so, den Verlag wird es zweifellos nicht geben in der Art, in der er bisher da ist, wenn die bisherigen Spitzenlektoren und Geschäftsführer mit einer so harten Strafe belegt werden – schon allein die Vorstellung, dass die das zahlen können, ist absurd –, aber der Richter hat wohl keine Vorstellung, wie gering im deutschen Verlagsgewerbe die Gehälter von Lektoren sind. Davon abgesehen, verkörpert Frau Unseld-Berkéwicz inzwischen, nach all den Ressentiments, die ihr am Anfang entgegengeströmt sind, sehr wohl die Qualität des Verlages in altgewohnter Manier. Also ich kann nicht glauben, dass der Verlag der gleiche bleibt. Es gibt doch sehr viele persönliche Loyalitäten von Autoren zu Verlegern, in diesem Fall zur Verlegerin. Und es kann also durchaus passieren, wenn sie den Kram hinschmeißt, auch in zweiter Instanz verliert, dass sie einen neuen Verlag aufmacht, und die jungen Autorinnen und Autoren des Hauses mitnimmt. Dann stünde Herr Barlach gewissermaßen mit einer leeren Hülle da und mit einer sogenannten Backlist-Liste inklusive dem "Steppenwolf", die selber auch zum Großteil noch urheberrechtlich gebunden sind an entweder die Erben oder die noch lebenden älteren Autoren. Und es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass die dann ebenfalls unter Berücksichtigung oder Rücksichtnahme auf diverse Paragrafen, die in solchen Verlagsverträgen immer stecken, ebenfalls sagen: Dann gehen wir! Das kann also durchaus passieren. Dann hätte Herr Barlach gewissermaßen eine leere Hülle sich erstritten mithilfe der deutschen Gerichtsbarkeit, ohne in Wirklichkeit etwas gewonnen zu haben.

von Billerbeck: Das sagt der ehemalige Verleger Michael Naumann über den Streit bei Suhrkamp. Danke für das Gespräch!

Naumann: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Links bei dradio.de:

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