Michael Naumann, geboren 1941 in Köthen, war er in seinem Leben schon vieles: Als Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" gründete er das "Zeit Magazin" mit. Er war Verleger bei Rowohlt, von 1998 bis 2001 Kulturstaatsminister und kandidierte 2008 für die SPD für das Bürgermeisteramt in Hamburg. Seit 2012 arbeitet Michael Naumann als Gründungsdirektor der Barenboim-Said Akademie in Berlin an der Verständigung zwischen Musikern aus dem arabischen Raum und Israel.
Es fehlen Visionen und Mut
Friedrich Merz wäre ihm als neuer CDU-Parteichef am liebsten - auch, weil die SPD sich dann wieder besser profilieren könnte. Insgesamt vermisst der ehemalige Kulturstaatsminister Michael Naumann in der deutschen Politik jedoch mutige Ideen à la Macron.
"Für sehr erfrischend", hält unser Studiogast Michael Naumann, ehemaliger SPD-Kulturstaatsminister im Kabinett Schröder und Gründungsdirektor der Barenboim-Said-Akademie, die aktuelle Debatte und die Konkurrenz um den Posten des CDU-Parteichefs (oder –chefin). "Da sind drei Kandidaten, die sich bemühen – ich persönlich hätte mir das auch gewünscht in meiner eigenen, darnieder liegenden Partei."
Danach gefragt, wen er sich als neuen CDU-Chef wünsche, lautet Naumanns Antwort entschieden: Friedrich Merz – "weil ich ihn für einen erfahrenen und erwachsenen Mann halte, mit einer klaren außenpolitischen Position." Merz sei ein "Atlantizist", dem das Verhältnis mit den USA am Herzen liege – und das halte auch er selbst für sehr wichtig.
Jens Spahn finde er sympathisch, aber zu jung für das Amt, Annegret Kramp-Karrenbauer wiederum fehle noch die internationale Erfahrung. Aber ist nicht Friedrich Merz eigentlich ein Mann der Vergangenheit – steht er nicht stellvertretend für ein altes Konzept, das nicht mehr passt und letztlich zur Finanzkrise geführt hat?
Auch Friedrich Merz hat dazugelernt
Naumann ist anderer Meinung: "Die Zeit des entfesselten Finanzkapitalismus ist vorbei – den Banken sind unter Peer Steinbrück Dutzende von Fesseln angelegt worden. Es wird ganz unmöglich sein, zurückzukehren zu diesen wildgewordenen Bankgeschäften der 80er und 90er Jahre. Das weiß Merz natürlich auch – mein Gott, der hat gelernt, genug gelernt, um sich in der neuen Bankenwirtschaft zu bewegen und dabei auch Erfolg zu haben."
Abgesehen davon sei es natürlich auch für die SPD einfacher, sich gegen einen Friedrich Merz zu positionieren. "Aber: Die SPD ist in einer ganz anderen Krise, sie kann sich nicht durch Gegnerschaft definieren."
Die SPD muss sich mehreren Baustellen widmen
Die SPD müsse verschiedene Aufgaben lösen: So müsse endlich die Hartz-IV-Debatte beendet werden – die Partei müsse sich dazu bekennen. Wie Andrea Nahles zu verkünden, man wolle Hartz IV abschaffen, sei sinnlos, denn niemand wolle zu den alten, bürokratischen und ineffektiven Arbeitsamtsverhältnissen zurück. Es gebe noch genug andere Baustellen. "Und ich fürchte ganz einfach, das sage ich ganz offen, dass die mit dieser Parteivorsitzenden nicht alle bewältigt werden können – bei allem Respekt."
Wo sind also die Nachwuchspolitiker, mit denen eine Neuanfang gelingen könnte? Denn dieser sei dringend geboten – und die Gelegenheit dafür sei jetzt, da die SPD so sehr am Boden liege, so gut wie noch nie. Der oder die da komme, müsse "kein Jesus und kein messianischer Führer" sein. Jedoch störe ihn die pessimistische Grundstimmung, die derzeit in der Politik vorherrsche.
"Zum Beispiel gehen wir auf die, wie ich finde, progressiven und intelligenten Vorschläge von Macron in Frankreich nicht ein. Im Gegenteil: Es sieht fast so aus, als ob wir unser Verhältnis zu Frankreich hintergründig ruinieren, in dem wir mehrere Vorschläge – zum Beispiel de facto einen Eurobond-Fonds einzurichten – nicht mitmachen."
Wo sind zündende Ideen in der Politik?
Ist der aktuellen Politikergeneration in Deutschland ihr Politiker-Gen abhanden gekommen?
Nein, sagt Naumann, das könne man den amtierenden Ministern sicherlich nicht pauschal unterstellen. Er vermutet vielmehr eine Unsicherheit aufgrund unklarer Machtverhältnisse und eine Art Schock nach verlorenen Landtagswahlen – sodass sich alle Parteiführungen vor allem fragten: "Was machen wir falsch?" – ohne aber "volle Kraft voraus" zu fahren.
Und noch ein Blick in die Zukunft: "Ich wäre überhaupt nicht überrascht, wenn nach den nächsten Bundestagswahlen die Grünen die stärkste Kraft sind - mit 27, 28 Prozent." Einen erfahrenen Politiker wie Cem Özdemir könne er sich durchaus als Bundeskanzler vorstellen.
(mkn)
(mkn)
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