Michael Naumann über Wut in Deutschland

"Neu ist die Furchtlosigkeit der rechten Schreihälse"

Michael Naumann
Michael Naumann © dpa / Robert Schlesinger
Michael Naumann im Gespräch mit Korbinian Frenzel |
Ex-Kulturstaatsminister Michael Naumann beobachtet, wie rechte Pöbler immer hemmungsloser Gewalt propagieren. Eine Ursache für den Rechtstrend sieht er in der Langeweile, die durch die herrschende Politik des Ausgleichs ausgelöst werde.
Es gebe seit Jahrzehnten einen festen Anteil von etwa zehn Prozent "de facto faschistisch eingestellter Wähler", sagte Naumann unter Hinweis auf Umfragen des Sinus Instituts Heidelberg. Allerdings:
"Was neu ist, ist meines Erachtens die Furchtlosigkeit, mit der sich die von mir als Gosse bezeichneten rechten Schreihälse auf den Marktplatz begeben und in einer Sprache sich äußern bis hin zu de facto Aufrufen zu Schlägereien, um nicht zu sagen: zu Mord und Totschlag."
Naumann verwies dabei auf den AfD-Spitzenkandidaten Alexander Gauland, der gefordert hatte, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), in Anatolien zu "entsorgen". Im Gegensatz zu NPD-Wählern der 1960er-Jahre, die "Ewiggestrige" gewesen seien, wirkten die AfD-Anhänger heute "bürgerlich".

"Höcke ist ein völkisch denkender Idiot"

Aber was diese Menschen bewege, scheine noch immer nicht ganz klar zu sein:
"Insgesamt behaupte ich, dass einige dieser Typen, die da auftreten, de facto aus neofaschistischen Kreisen stammen, aber es ist nicht die Mehrheit. Leute wie Höcke sind zweifellos weit jenseits des Grundkonsenses der Bundesrepublik. Ich habe keine Hemmungen, ihn als einen Neonazi zu bezeichnen - einen völkisch denkenden Idioten, der im öffentlichen Dienst tätig war."
Der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke hatte das Berliner Holocaust-Mahnmal als ein "Denkmal der Schande" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert.
Als eine der wenig beachteten Ursachen für den Rechtstrend in den Umfragen bezeichnete Naumann die Langeweile angesichts einer Politik des Ausgleichs und der Mitte. Politik sei immer auch Schauspiel und "Drama auf der Bühne". Fehle das, setze sich "auch richtig nationale Langeweile" durch: "Das heißt, der Wähler braucht ein bisschen Aufregung, es gibt aber keine. Also macht er sie selbst." Stelle man sich aber die Frage, ob "diese Nation auf der Kippe" sei, müsse er sagen: "Keineswegs".
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