Michael Pauen: "Die Natur des Geistes"

Irren ist menschlich

Die Grafik eines Kopfes, der mit Blitzen durchzogen ist.
Michael Pauen bietet mit seinem Buch einen erfrischenden Blickwinkel über die Natur des Bewusstseins. © imago / Science Photo Library
Von Volkart Wildermuth |
Heftig wird über die Natur des Bewusstseins gestritten. Für die einen gibt es nichts als komplexe Muster von Nervenerregungen, für die anderen schwebt das Erleben in einer eigenen Sphäre, abgetrennt von den Gesetzen der Physik. Jetzt mischt sich Michael Pauen mit "Die Natur des Geistes" in die Debatte ein.
Philosophen und Neurowissenschaftler streiten – oft mit viel Begeisterung – über die Natur des Bewusstseins. Für die einen gibt es nichts als komplexe Muster von Nervenerregungen, für die anderen schwebt das Erleben in einer eigenen Sphäre, abgetrennt von den Gesetzen der Physik. Kompromisse werden nicht gemacht. Die Debatte ist polarisiert. Umso erfrischender, dass der Berliner Philosoph Michael Pauen in seinem Buch "Die Natur des Geistes" für mehr Gelassenheit plädiert. Trotz aller Forscheranstrengungen ist es seiner Meinung nach zu früh, um endgültige Antworten zu geben. Entscheidend sei, zunächst die relevanten Fragen zu formulieren und Denkblockaden aus dem Weg zu räumen.

Denkprozesse als "Rechenleistung"

Sein Buch beginnt Pauen mit einem informativen Schnelldurchlauf durch die Geschichte der "Philosophie des Geistes". Angefangen in der Antike und im Mittelalter, wo die Seele als eine besondere Substanz galt und die entscheidende Frage noch lautete: Woher kommt sie, wohin geht sie? In der Neuzeit ging es dann immer mehr darum, welche Funktionen der Geist hat und wie diese Funktionen realisiert werden. Gerade der rationale Verstand galt als Rätsel, während Emotionen und Empfindungen als vergleichsweise einfach erschienen, weil auch Tiere sie besitzen. Mit dem Aufkommen der Computertechnik kehrte sich das Bild um: Denkprozesse waren plötzlich als "Rechenleistung" vorstellbar. Dagegen weiß niemand, wie man etwa die Empfindung eines Sonnenuntergangs programmieren soll. Seitdem verläuft die Geschichte der "Philosophie des Geistes" nicht mehr linear, sondern ändert ständig ihre Richtung. Daher spräche alles dafür, so der Autor, "dass sich unser Verständnis des Problems grundlegend ändern" könne.

Sich über die eigenen Erfahrungen irren

Es gälte also daher vor allem, offen zu bleiben. Für diese Offenheit streitet Michael Pauen im Rest des Buches beispielhaft anhand der Frage nach dem Stellenwert der Introspektion. Eine prominente Position lautet hier: Jeder weiß selbst am besten, was in seinem Inneren vor sich geht. Die Wissenschaft kann mit ihrem Blick von außen wenig beitragen. Diese Vorrangstellung der Introspektion bestreitet Michael Pauen vehement. Zwar sei der erlebte Moment tatsächlich radikal individuell, aber sobald das Ich über diesen Moment nachdenke, ihn erinnere oder in Worte fasse, beginnen Verarbeitungsschritte, die sich zumindest prinzipiell erforschen lassen, so Pauen. So zeigen Experimente objektiv, dass es möglich ist, sich über die eigenen Erfahrungen zu irren. Hier sei die "Extrospektion" der "Introspektion" klar überlegen. Deshalb, so der Philosoph, könne die Hirnforschung sehr wohl, relevante Beiträge zur Philosophie des Geistes machen.

Erhellende Perspektiven

Michael Pauen bietet mit seinem Buch einen erfrischenden Blickwinkel. Gerade die historische Einführung eröffnet erhellende Perspektiven auf die aktuelle Debatte. Zeigt doch gerade sie, dass sich die Vorstellungen von der Natur des Bewusstseins immer wieder grundlegend verändert haben. Allerdings ist es nicht immer leicht, Michael Pauen zu folgen. Englische Zitate bleiben un-übersetzt und philosophische Gedankenexperimente werden zwar ausgiebig kritisiert, aber nicht immer erklärt. Letztendlich ist dies ein Buch für Leserinnen und Leser, die sich schon länger mit dem Zusammenspiel von Geist und Gehirn beschäftigten.

Michael Pauen: "Die Natur des Geistes"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016
320Seiten, 24,99 Euro

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