Michael Petzel: May-Nachlass ist wissenschaftlich unbedeutend

Moderation: Frank Meyer |
Im Streit um den Verkauf des Karl-May-Nachlasses mahnt Michael Petzel zu mehr Gelassenheit. Der Leiter des Karl-May-Archives in Göttingen glaubt zwar, dass der sächsische Schriftsteller eine immense Wirkung entfaltet habe. Der Wert des Nachlasses sei jedoch objektiv nicht messbar und auch wissenschaftlich eher unbedeutend. Außer den Briefen sei eigentlich schon alles von May publiziert.
Frank Meyer: Michael Petzel ist jetzt für uns im Studio. Er leitet das Karl-May-Archiv in Göttingen und er hat "Das große Karl-May-Lexikon" geschrieben. Michael Petzel, so intensiv, wie Sie sich mit Karl May beschäftigen, da nehme ich stark an, dass das eine Leidenschaft von Ihnen ist, eine Leidenschaft für Karl May. Was sagen Sie denn zu dieser Forderung des Verlegers Lothar Schmid: Ist Karl Mays Nachlass 15 Millionen Euro wert?

Michael Petzel: Na ja, ein Karl-May-Fan, der würde natürlich sagen, das sind 15 Millionen Euro wert. Und wer mit Karl May nichts anfangen kann, der wird sagen, selbst eine Million ist zu viel. Man muss also schauen, gibt es überhaupt objektive Kriterien, diesen Wert zu bemessen. Vielleicht muss man das eine vorweg sagen: Karl May ist natürlich, na, ich sag mal dies hohe Wort, eine nationale Institution, und dafür hat Lothar Schmid, der Karl-May-Verleger, viel getan, denn wir haben keinen anderen Jugendschriftsteller in Deutschland, der diese immense Wirkung erzielt hat.

Über die Qualität von Karl May kann man natürlich allemal mit Fug und Recht streiten, aber es gibt niemanden, der so viel bei jungen Menschen ausgelöst hat über Generationen wie Karl May. Und das ist unser deutscher Harry Potter, ich würde mal sagen, in Deutschland hat er sogar über die Jahre, die Generationen mehr bewirkt als Harry Potter.

Meyer: Das ist die eine Seite, wenn man auf den Wert seines Nachlasses schaut, aber die andere Seite ist ja bei einer Bewertung eines literarischen Nachlasses die Frage, welche neuen Erkenntnisse kann so ein Nachlass überhaupt bringen. Soweit Sie das wissen, die handschriftlichen Fassungen der Bücher von Karl May, die in diesem Nachlass enthalten sind, bergen die Überraschungen, würden die den Blick auf Karl Mays Bücher verändern?

Petzel: Da muss man wohl fast eindeutig nein sagen, denn der Karl May im Urtext, der bei Wissenschaftlern und Fans so heiß gefordert wird und gefordert worden ist, der liegt inzwischen vollständig vor. Es gibt also praktisch keine einzige Zeile von Karl May, die noch im Urtext, im Original zu entdecken ist, das ist alles publiziert. Vielleicht findet man mal noch eine ganz kleine Geschichte. Also von den Handschriften kann man da überhaupt nichts Neues erwarten. Wo noch etwas zu entdecken ist, das ist sicher die Korrespondenz von Karl May, seine zahlreichen Briefe und Postkarten, die er aus aller Welt geschrieben und von seinen späteren Reisen geschrieben hat. Da wird sicher noch was Interessantes zu entdecken sein. Ob das allerdings diesen Preis rechtfertigt, das ist dann auch noch eine andere Frage. Also Neues für die Wissenschaft im Prinzip bis auf die Briefe nicht mehr.

Meyer: Der Verleger Lothar Schmid kommt ja zu seiner Summe von 15 Millionen, das haben wir auch gerade in dem Beitrag gehört, dadurch, dass er die Manuskripte von Karl May vergleicht mit den Preisen auch für Manuskripte von Franz Kafka oder James Joyce. Was halten Sie von diesem Vergleich?

Petzel: Herr Schmid ist natürlich Karl-May-Fan, aber er ist in erster Linie auch Kaufmann, und das ist natürlich da auch sein gutes Recht, diesen Nachlass für gutes Geld zu verkaufen. Er hat, wie gesagt, ja auch viel für Karl May getan. Die Frage ist, gibt es objektive Kriterien, was das wert ist? Da wird es natürlich ganz schwierig. Da kann man natürlich sagen, 15 Millionen Euro ist es wert, wenn ich jemanden finde oder eine Institution finde, die bereit ist, so viel dafür zu bezahlen.

Nun gibt es inzwischen zwei Gutachten auf dem Markt. Das eine von einem renommierten Münchner Auktionshaus, das sagt, sieben Millionen ist das wert. Eine andere Schätzung gibt es von dem ehemaligen Direktor der Handschriftenabteilung Preußischer Kulturbesitz, die sagt, es ist etwas über eine Million wert. Da sehen Sie mal, was man, nun will ich nicht sagen von der Seriosität dieser Schätzungen halten kann, aber doch von der Verlässlichkeit. Es gibt kein objektives Kriterium, dass man sagen kann, eine Postkarte, eine Manuskriptseite ist so viel wert. Sie ist so viel wert, wie jemand bereit ist, dafür zu bezahlen.

Meyer: Können Sie denn einschätzen, wie viel der freie Markt sozusagen bereit ist zu bezahlen, denn Lothar Schmid hat ja eine Art Ultimatum gestellt an den Freistaat Sachsen, bis zum 10. April gilt sein Angebot, der gesamte Nachlass für 15 Millionen. Wenn Sachsen darauf nicht eingeht, dann will er den Nachlass, also der Verleger Lothar Schmid, über Auktion versteigern. Glauben Sie, dass er auf diesem Wege zu seinen 15 Millionen kommt?

Petzel: Also ich möchte mal sagen, der Vergleich mit Kafka ist natürlich nicht treffend, man kann nicht den Wert eines Manuskripts danach bemessen, von wie viel Leuten es gelesen wird. Wie viel wird auf dem freien Markt zu erzielen sein? Da muss man klar sagen, Karl May ist ein deutscher Autor. Es ist in die ganze Welt zu verkaufen, ist völlig illusorisch. Sie können einen Maler - einen Monet, einen Picasso - in alle Welt verkaufen, das ist sozusagen eine Aktie, die frei kompatibel ist.

Das ist bei Karl May nicht so, den werden Sie nur in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich los. Und da gibt es auch eine begrenzte Klientel. Ein Karl-May-Buch, nehmen wir mal das wertvollste, was so auf dem Markt ist, ein roter Fehsenfeld, da kriegen Sie etwa 2.000 Euro für einen roten Fehsenfeld, können Sie ansetzen. Das ist natürlich eine Menge Geld, und es gibt auch Käufer, die das bezahlen. Aber es gibt nicht Käufer, die so etwas auf lange Distanz bezahlen können und so große Summen bezahlen können, das gibt der Karl-May-Markt nicht her.

Sie müssen einfach sehen, sich ein berühmtes Gemälde ins Wohnzimmer zu hängen, das ist eine Prestigesache, da macht man auch eine Million locker, aber wer hängt sich denn eine Textseite vom "Schatz im Silbersee" sozusagen als Renommierobjekt ins Zimmer, für das er viel Geld bezahlen kann? Das sind kleine Fans, die bezahlen sicher eine ganze Menge, aber sie werden - da verwette ich sozusagen mein Skalp in Öl und Essig - nicht 15 und auch nicht mal sieben Millionen Mark auf dem freien Markt erlösen.

Meyer: Also wenn Sie jetzt der Berater wären des Freistaates Sachsen, ich interpretiere Sie jetzt mal, würden Sie sagen, warten wir mal ruhig ab und lassen dieses Ultimatum verstreichen, wir wissen, dass Lothar Schmid dieses Geld auf dem freien Markt nicht holen kann, dann wird er schon wieder auf uns zukommen zu deutlich weniger als 15 Millionen - würden Sie so beraten?

Petzel: Ach nein, das würde ich ja nicht sagen, ich würde ja Herrn Schmid nicht in den Rücken fallen. Er hat ja seine Verdienste und er hat diesen Nachlass zusammengehalten, das ist ja schon was. Ich sage einfach nur, das ist meine persönliche Meinung, ich sage mal, auf dem freien Markt sind diese Preise nicht zu erzielen, nicht in Deutschland und in der Welt schon gar nicht. Es kann nur eine Institution bezahlen. Und ich persönlich würde sagen, aber das ist meine persönliche Meinung, mit 15 Millionen ist es sicher überbezahlt, wenn die offiziellen Schätzungen bei sieben Millionen anfangen. Aber ich würde es Herrn Schmid natürlich gönnen.

Übrigens die Frage, ob sie diesen Nachlass zusammenhalten oder ihn verkaufen, erscheint eigentlich auch irrelevant. Es gibt ja Wissenschaftler, die sagen, wir sollten das geschlossen zusammenhalten. Ich würde mal fragen, warum ist es eigentlich notwendig, die Manuskripte zusammenzuhalten, ein wissenschaftlicher Nutzen wird nicht entstehen. Man könnte ja auch sagen, ich gönne das jedem Karl-May-Fan, dass er eine Originalseite von Karl May in seiner Sammlung hat. Da kann man davon ausgehen, die wird gehegt und gepflegt und geschätzt und geliebt.

Meyer: Also noch ein weiterer Lösungsweg für die Auseinandersetzung um den Karl-May-Nachlass. Ich danke Ihnen für das Gespräch. Michael Petzel, der Leiter des Karl-May-Archivs in Göttingen und Verfasser des großen Karl-May-Lexikons.
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