Michael Pollan: „Kaffee Mohn Kaktus. Eine Kulturgeschichte psychoaktiver Pflanzen“
© Antje Kunstmann
„Boah! Dieser Stoff soll legal sein?“
06:46 Minuten
Michael Pollan
Übersetzt von Thomas Gunkel
Kaffee Mohn Kaktus. Eine Kulturgeschichte psychoaktiver Pflanzen Antje Kunstmann, München 2022285 Seiten
28,00 Euro
Koffein, Opium, Meskalin: Für sein neues Buch gräbt der Journalist Michael Pollan einiges an verschüttetem Wissen über psychoaktive Pflanzen aus. Bei seinen unterhaltsamen Selbstversuchen kommt er sogar manchmal fast vom Pfad der Tugend ab.
Wenn der US-Journalist und Autor Michael Pollan ein neues Sachbuch schreibt, dann sammelt er nicht nur Informationen. Er versucht auf vielfältige Weise, sich seinem Thema zu nähern - trifft Menschen, durchstöbert Archive und probiert alles aus, über das er schreibt.
Für sein neues Buch, das sich mit Pflanzen und ihrer Wirkung auf die Psyche beschäftigt, säht er Schlafmohn im eigenen Garten, versucht an Peyote-Ritualen der Ureinwohner Amerikas teilzunehmen und verzichtet auf Kaffee.
Kaffee als Scheinwerfer für die Psyche
Mit seinem Wirkstoff Koffein schuf die Kaffeepflanze die Grundlage für die europäische Aufklärung. An die Stelle von Schänken, in denen rund um die Uhr Bier und Wein genossen wurde, traten immer häufiger Kaffeehäuser für die bürgerliche Bevölkerung.
Der Kaffee genoss einen guten Ruf, obwohl sein Koffein nicht weniger suchterzeugend ist als andere psychoaktive Substanzen. Kaffee passte zum Arbeitsethos des Kapitalismus und weil das Getränk vor dem Genuss gekocht wurde, erwies es sich als gesünder als Wein, Bier oder das oft mit Keimen belastete Wasser.
Da Michael Pollan, ähnlich wie viele seiner Berufskollegen, täglich Kaffee konsumierte, war ihm die Wirkung des Getränks kaum bewusst. Lediglich als Hilfe beim Wachwerden entfaltete er anscheinend eine gewisse Kraft. Aber der Kaffee kann mehr. Das merkte Pollan, nachdem er sich entschieden hatte, eine Zeit lang darauf zu verzichten. Er spürte: Koffein wirkt wie eine Art Scheinwerfer, der die Wahrnehmung fokussiert.
Ohne das allmorgendliche Aufputschmittel ging seine Motivation bald in den Keller. Das Buchprojekt drohte zu scheitern. Nach und nach schaffte er es doch, ohne Kaffee. Sogar sein Schlaf verbesserte sich. Als er dann zum Kaffee zurückkehrte, spürte er die Wirkung und beschreibt sie mit den Worten: „Boah! Dieser Stoff soll legal sein?“
Gärtnern bis die Polizei kommt
Ganz anders erging es ihm bei seinen Experimenten mit dem Schlafmohn. Er besorgte sich legales Saatgut, kultivierte die Pflanzen in seinem Garten und freute sich an den knallroten Blüten. Soweit, so legal. Als er sich dann aber informierte, wie sich daraus ein wohltuender Tee herstellen lässt, hatte er den Pfad der Tugend verlassen. Denn gewöhnlicher Schlafmohn enthält Opium.
Ein Anwalt teilte ihm mit: Nach dem amerikanischen Gesetz drohten ihm nun Gefängnis und Enteignung. Der US-amerikanische „Krieg gegen die Drogen“ hat merkwürdige Blüten getrieben.
Komplizenschaft beim Lesen
Wie schon in seinen Büchern über das Kochen oder über Bewusstseinserweiterung gelingt es Michael Pollan, seine Leser und Leserinnen zu Reisebegleitern auf seiner persönlichen Suche nach verschüttetem Wissen zu machen, und manchmal auch zu Komplizen.
Getrieben von unbändiger Neugier beschreitet der Journalist immer wieder aufs Neue den schmalen Pfad zwischen seriöser Wissensvermittlung und der verbotenen Welt des Drogenkonsums. Der vorsichtige Blick in den Abgrund der Illegalität macht sicher einen Teil des Reizes aus - und des Vergnügens, das dieses Sachbuch bereitet.