Hörbuch
Michael Sailer: "Schwabinger Krawall: Irrwitzige Geschichten aus der Münchner Vorstadt"
Kunstmann, München 2015, 1 CD Seiten, 75 Minuten, Kunstmann Verlag 2015, 14,95 Euro
Alltäglicher Rausch in der Vorstadt
Die Schwabinger Krawalle waren vor rund 50 Jahren ein erstes Aufleuchten der Studentenunruhen. Das Hörbuch "Schwabinger Krawall" hat indes mit diesen Ereignissen wenig zu tun, Michael Sailer veröffentlicht unter dem Titel kleine Geschichten in der "taz".
Jackie und Hubsi heißen zwei von Michael Sailers Protagonisten. Sie trinken viel, gehen gerne aus, schauen "Hasen" hinterher und wissen oft am nächsten Morgen nicht mehr, wie sie nach Hause gekommen sind, falls sie es überhaupt bis dahin schaffen:
"Am nächsten Vormittag wacht der Jackie mit seinen Socken in der Hand unter einer Sitzbank am Wedekindplatz auf und stellt daheim am Spiegel fest, dass seine Haut am Gesicht deswegen so komisch spannt, weil ihm jemand mit einem Edding-Filzer 'Ich bin ein Depp' auf die Stirn geschrieben hat. Und da hat er sich gedacht, dass er das am besten stehen lässt, weil er dann einen guten Grund hat, die nächsten drei Monate daheim zu bleiben."
Was man sich bei ihm aber nur schwer vorstellen kann. Michael Sailer liest souverän und mit viel Liebe zu seinem Personal, das auch in seinen Kolumnen immer wieder auftaucht:
"Ob er schon mal erlebt habe, dass die Milch durch Tasche und Flasche hindurch sauer geworden ist, fragt sie ihren Mann, der natürlich vor dem Fernseher sitzt, wo er seit Wochen seine Vormittage verbringt. Ob die in dem Geschäft keine Kühlung haben, fragt Herr Hammler zurück. Natürlich aber das Kühlregal könne sie ja nicht mit nach Hause schleppen. Und das sei immerhin ein ganz schöner Weg und sie könne nichts dafür, dass in der näheren Umgebung alle Milchgeschäfte in Telefonläden umgewidmet worden seien, und jetzt gehe sie aber nicht noch einmal los, um eine neue Milch zu holen, die dann gleich wieder sauer werde. Sie solle ruhig sein, sagt ihr Mann."
Krawall-Geschichten
Es gibt sie noch, die einfachen Leute - das ist eine seiner Botschaften. Michael Sailer muss es wissen, er lebt in Schwabing und schreibt seine Krawall-Geschichten über die Menschen aus dem Viertel schon seit rund zwölf Jahren, zuerst für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", später für die Berliner Tageszeitung, die "taz".
"Der Hubsi hat gemeint, dass das mit dem Radl keine gute Idee ist, aber der Jackie hat gesagt, er fährt er auf keinen Fall mit dem Auto auf das Oktoberfest, zumal er seit der letzten Wiesn sowieso keinen Führerschein mehr habe. Also hat der Hubsi nachgegeben und sich auf den Gepäckträger gesetzt, in Neuhausen hat eine Politesse sie aufgehalten und behauptet, dass man nur Personen bis neun Jahre auf dem Gepäckträger mitnehmen darf. Sie könne ihm den Schuh aufblasen, hat der Jackie gesagt, ein Kind unter neun Jahren sei überhaupt keine Person und sie genau betrachtet auch nicht. An der nächsten Ecke sind sie wieder aufgestiegen."
Nette kleine harmlose Lausbubengeschichten sind das. Nicht umsonst wird Michael Sailer hin und wieder mit Karl Valentin und Ludwig Thoma verglichen, was er selbst freilich von sich weist. Lausbubengeschichten also aus der Stadt der Reichen, Schönen und Erfolgreichen, wo aber immer noch Platz ist für Menschen wie Jackie und Hubsi, die ihren Anarchismus an Politessen abarbeiten, weil größere Visionen fehlen und der alltägliche Rausch das Leben auch so ganz lebenswert macht. Da ist auch das Auswandern nach Rio keine wirklich ernsthafte Option:
"Die Dame am Informationsschalter hat gemeint, Betrunkene dürften in Flugzeuge generell nicht einsteigen. Der Jackie hat gesagt, ob sie ihre Tage hat. Und wie dann der Hubsi gebrüllt hat, er sei ein freier Mensch und dürfe hinfliegen, wo er wolle, und wenn man ihm sein Recht verweigere, könne er notfalls auch den ganzen Laden zusammenschlagen, sind fünf Soldaten oder Polizisten gekommen und haben den Jackie und den Hubsi hinaus begleitet und haben ihnen eine Anzeige verpasst, wegen irgendwas, was der Jackie hinterher nicht mehr gewusst hat."
Typen wie Jackie und Hubsi haben in München Tradition, am schönsten immer noch eingefangen in der legendären Fernsehserie "Münchner Geschichten" von Helmut Dietl. Michael Sailers Miniaturen haben einen ähnlichen Charme. Sailer sucht nicht die schnelle, billige Pointe, dafür ist er zu sehr Erzähler, Chronist und Leutebeobachter. Was er hörbar mag, ist das Derbe, was ja auch ein Teil der bayerischen Kultur ist.
"Und wie sie am Dienstagnachmittag wieder in Schwabing angekommen sind und sich ein Bier bestellt haben und der dicke Kerl gefragt hat, ob es schön war in Rio, hat der Jackie gesagt, dass er von so was überhaupt keine Ahnung hat, und dass er am besten sein dummes Maul hält."