Michael Stolleis: Margarethe und der Mönch. Rechtsgeschichte in Geschichten
C.H. Beck, München 2015
352 Seiten, 24,90 Euro
Juristische Fallsammlung aus mehreren Jahrhunderten
Goethes Ururgroßvater, der dafür kämpfte, die Rechnungen seiner geschiedenen Frau nicht bezahlen zu müssen; eine Hofdame, die gegen die Umplatzierung an der fürstlichen Tafel vorging. In "Margarethe und der Mönch" macht Jurist Michael Stolleis Rechtgeschichte anschaulich.
"Von nun an nahmen die Dinge eine gefährliche, nämlich juristische Wendung", heißt es an einer Stelle in Michael Stolleis' "Rechtsgeschichten". Fraglos ist der Rechtsstaat eine große Errungenschaft, doch in seiner Fallsammlung aus mehreren Jahrhunderten zeigt der Rechtshistoriker immer mal wieder, wie kompliziert es werden kann, wenn Juristen das Heft in die Hand nehmen. Auch früher schon zogen sich Prozesse manchmal über ein halbes Leben hin. Goethes Ururgroßvater Johann Wolfgang Textor etwa stritt mit einem Dutzend Gläubiger, weil er Rechnungen seiner geschiedenen Frau nicht begleichen wollte.
Wo darf wer bei Hofe sitzen?
Solche Streitfälle sind uns heute noch geläufig. Eher kurios mutet dagegen der "Wasunger Krieg" an, der immerhin ein Menschenleben forderte, inhaltlich aber nur um die Hofordnung im kleinen Fürstentum Sachsen-Meiningen ging.
Konkret war eine Hofdame durch Umplatzierung an der fürstlichen Tafel so gedemütigt worden, dass daraus eine (Klein)Staatsaffäre wurde, denn die Zurückgesetzte konnte das benachbarte Fürstentum Sachsen-Gotha auf ihre Seite ziehen, das sofort mit den Säbeln zu rasseln begann. Dieser "Duodezkrieg" habe schon für die Zeitgenossen "ein Element von Komik und Theatralik" besessen, schreibt Michael Stolleis. Für den ehemaligen Direktor des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte zeigen solche historischen Geschichten die Fülle der abendländischen Rechtsentwicklung.
Blaise Pascal: "Die Ungewissheit des Rechts"
Die 20 Aufsätze bleiben nicht im Anekdotischen stecken. Auseinandersetzungen mit Literaten wie Jean Paul, Johann Peter Hebel und Hans Christian Andersens finden sich ebenso wie rechtsphilosophische Exkurse zu Machiavelli oder Blaise Pascal. Dessen "Gedanken zur Ungewissheit des Rechts" hinterlassen auch heute noch ein leicht mulmiges Gefühl. Diese Ungewissheit entsteht, wenn man auf die Ableitung des Rechts aus dem Glauben verzichtet, was der tiefgläubige Pascal erstaunlicherweise tat. Umgeben von absolutistischen Herrschaftsverhältnissen stellte der Philosoph aus dem 17. Jahrhundert fest: "Die Gerechtigkeit ist umstritten. Die Gewalt ist sehr klar erkennbar und nicht umstritten."
Heute würde man das vielleicht die "Macht des Faktischen" nennen, der man sich im Rechtsstaat keinesfalls unterwerfen mag. Dennoch bleibt "das Ideal einer klar erkennbaren Gerechtigkeit, ausgestattet mit der Gewalt, sich durchzusetzen, eine Utopie", fasst Michael Stolleis Pascals Gedanken zusammen. "Die zweitbeste Lösung lautet deshalb, man habe als gerecht zu akzeptieren ‚was Gewalt hat'". Keine schönen Aussichten, und so resümiert der Rechtshistoriker, Pascal führe uns in Räume, "die teils museal, teils hochmodern wirken."
Reinheit als Utopie und Gefahr
Hochmodern ist eine andere rechtsphilosophische Frage, die sich vor allem mit dem Rechtstheoretiker Hans Kelsen verbindet, die Frage der Reinheit. Pascals noch schmerzlicher Versuch, sich von der Theologie zu lösen, findet bei Kelsen im 20. Jahrhundert in der "Reinen Rechtslehre" seine Vollendung. Sie hat noch weitere historische Vorläufer wie Descartes, dem in seinem Rationalismus eine Art juristische Mathematik vorschwebte. "Wenn es gelingen sollte, das Recht kompakt und kohärent nach reinen Prinzipien zu ordnen, wären die alte Verworrenheit ebenso beseitigt wie die Mängel der Justi. Außerdem könnte die studierende Jugend ein Recht leichter erlernen, das logischen Gesetzen folgte", schreibt der Leibnitzpreisträger Michael Stolleis.
Indes ist Streben nach Reinheit – ob in Religionen, Ideologien oder wissenschaftlichen Systemen – immer mit einem Hang zum Totalitarismus verbunden. "Auf der dunklen Rückseite der Medaille gipfelte die Französische Revolution im Regime des Terrors. Dieser wurde gerechtfertigt als Verteidigung der Reinheit der revolutionären Prinzipien", so Stolleis. Reinheit strahlt und glänzt, aber sie basiert auf der Vernichtung von allem, was als unrein gilt – und das ist nicht nur Ermessenssache, sondern oft auch den historischen Umständen geschuldet. Was heute unrein sein kann, war gestern noch reine Lehre.
Wohin mit dem verbrauchten Recht?
In der parlamentarischen Demokratie lässt sich Recht einfach schaffen. Es aber wieder loszuwerden, scheint keine ganz einfache Übung zu sein. Dabei muss es nicht einmal Unrecht geworden sein, sondern könnte sich ganz einfach verbraucht haben. "Recht kann durch gesellschaftliche Nichtbeachtung schwächer und schwächer werden, und endlich ganz verschwinden", erklärt Michael Stolleis. "Das englische Verb 'fade', verwendet etwa für das Nachlassen der Sendungsintensität beim Radio (fading), zeigt, was gemeint ist." Gesetze und Verordnungen verblassen, schwellen in ihrer normativen Intensität ab: "Am Ende erlischt die Norm durch Nichtgebrauch." Der Gesetzestext steht allerdings manchmal noch lange wie eine Ruine in der juristischen Landschaft herum. Dann interessieren sich nur noch die Historiker dafür.